Siegerlächeln überall. So entbietet sich die schöne neue deutsche Welt, seit ein "Ruck" durch ihre Mitte ging und eine bessere, eine Berliner Republik proklamiert worden ist. Zukunft um jeden Preis, lautet erneut deren Devise - und wirkt in ihrer aufgesetzten Macher-Mentalität wie ein schlechter Wiedergänger des Wirtschaftswundergespenstes der Nachkriegszeit. Schon damals wuchs eine Erbengeneration heran, deren Geschichtsverlorenheit Kathrin Röggla - selbst Bewohnerin des sich hauptstädtisch gebenden Berlins - bereits in ihrem letzten Roman Abrauschen ironisch als "erbsengeneration" bedachte: Schien sie doch, in einer von Profitgier und Spaßterror erstickenden Welt, wie eingekeilt zwischen sich und dem Leben, vergessen von der Verteilung des Sozialkuchens und noch nicht reif für das "glück der geschichtslosigkeit" der noch kommenden Generation.
Im neuen Band Irres Wetter kratzt Röggla nun - noch hartnäckiger - am Image der "neuen Republik", indem sie das auf Kapitale getrimmte Berlin der Neunziger durchstreift, den Zoom aber auf genau jene öden Orte richtet, die - wie Neukölln oder Kreuzberg - Berlin nicht nur "eine zeitlang grundsätzlich spiegel-tv-fähig" machten, sondern an denen sich heute all jene einfinden, die im Schatten des gesellschaftlichen Modernisierungswahns ein unbehaustes Transitdasein in Sozialämtern und Aldi-Märkten fristen. Hier ist Zukunft nie oder immer schon gewesen, und umso plärrender hallten gerade dort die Rufe nach ihr zurück. Und finden ihren schönsten Widerhall, wenn Röggla, wie schon in Abrauschen, aus solchem Stimmenteppich erneut ein furioses Stimmenpalaver entfacht, das - wie eine Sprechmaschine, gespeist aus Szene-Slangfetzen, Konversationshülsen und Stammtischparolen - ein höhnisches Gelächter anstimmt auf den bundesdeutschen Taumel einer Gesellschaft, die in einem riesigen Freizeitpark des Kapitalismus und der Fun-Kultur als Erlebnisdroge dem Totalausverkauf wie narkotisiert entgegendämmert. Denn das glimmernde Versprechen, durch Geld erlöst zu werden - "eurofitneß" -, konfrontiert und konterkariert Röggla somit zugleich mit der hässlichen Fratze der Realität: "abgreifen, aussaugen, abschöpfen", fasst Röggla die unverhohlen wuchernde Form von ökonomischem und sozialem Vampirismus zusammen, schließlich geht "die volksdroge rendite" um und vermehrt nichts so sehr wie den Sozialneid - kein Wunder, wenn es "nur noch konsumgruppen gibt", doch das "dienstleistungsproletariat" proportional zum Teilhabeanreiz wächst. Geldströme statt Herzströme: Dazu zählt die höchste Zweckerfüllung des Privaten als erlebnisreiches "naherholungsgebiet" ebenso wie der Schlachtzug gegen den Osten, wo nunmehr esoterische Kreativlinge und windige Investmentmanager gleichermaßen ihr Paradies finden.
Leben 2000, das sieht demnach nicht gut aus; "auseinanderbräuche, wohin man blickt", so Röggla. Irres Wetter erweist sich somit bei allem Lokalkolorit - vom "potsdamer platz" über den "würgeengel" bis hin zum "yorckkino" - und bei aller Kleinteiligkeit der eher situationistisch knappen Erzählungen als ein extrem welthaltiges Buch. Denn die von ihr selbst als "mental maps" bezeichneten urbanen Miniaturporträts offenbaren nicht nur eine Stadt mit zwei Gesichtern. Sie erhellen auch: Nirgendwo sonst driften diese zudem so offenkundig auseinander und erfüllen somit auf bedrohliche Weise die politische Rede eines bundesrepublikanischen ÂRucks inmitten der Gesellschaft. Kein "Ich" spricht mehr in Irres Wetter. Stattdessen vernehmen wir zuordbare, aber austauschbare Sprechakte wie in einem anonymen Stimmenarchiv.
Das Zitatensampling aber, das Röggla aus diesem Jetzt destilliert, entspricht nur zu sehr jenem affirmativen Schein, der immer mehr als Lifestyle droht: Medium is the message oder "man muss sich immer nur eine frage stellen: wie bringe ich meine botschaft an den mann". Denn ob "popfraktionen" oder "think-positive-hardliner", ob Betroffenheitsgrammatik oder Geradeausgehabe: nur noch ÂHaltungenÂ, so Röggla, die auf anachronistische Weise nurmehr den futuristischen Jargon der Eigentüchtigkeit beerben und so willkürlich werden wie die modernistische Strategie ironischer Dekonstruktion, mit der noch jeder Widerspruch verschliffen werden kann.
So bleiben nichts als "affirmationsblasen"; Luftgehülse, wie "die aggregatzustände des postmodernen menschen": "nichts genaues, keine reibung, keinen widerspruch. nur verbindungen, fließender übergang - free floating energies". Mit ihren rasanten Bild- und Wortschnitten dagegen und entlarvend witzigen Wortgenerierungen kommen diese so andersartigen Stadt-Bilder nur auf den ersten Blick wie unbekümmert daher. Denn Röggla operiert in ihnen einmal mehr als eine analytisch genaue und poetisch schlagfertige Chronistin dieses Jetzt. Wie in Doppelbelichtung erfassen ihre "mental maps" die Seelenlandschaft von Stadt und Mensch. So sorgfältig, dass noch jeder in dieser Kartographie alles wieder erkennen kann. Und so schön sagen kann: So sind sie, die anderen. Denn das ist ja das eigentliche Dilemma der Moderne: Unerlöstes, Uneingelöstes wohin der Blick schweift: "keine radikalen gesten mehr verfügbar", beklagt Röggla die Absenz eines gesellschaftskritischen Utopias. So "begibt man sich wieder hinein in die geordnete welt der tiere, in ihre langeweile, ihr monotones dasein (...) solide animalität, die uns aus der bahn wirft".
Kathrin Röggla: Irres Wetter. Residenz-Verlag, Salzburg 2000, 168 S., 38,- DM
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