Agentinnen des Patriarchats?

FRAGEND Manju Kapurs Roman "Schwierige Töchter" verweist durch seine Fremdheit auf Vertrautes

Ich hatte immer vermeiden wollen, so zu werden wie meine Mutter." Mit diesem Satz eröffnet die indische Autorin Manju Kapur ihren autobiographischen Roman "Schwierige Töchter", in dem sie die Spuren ihrer verstorbenen Mutter Virmati verfolgt.

Es ist ein Auftakt, der vieles zugleich erahnen lässt: das schwierige Mutter-Tochter-Verhältnis, geprägt von Ablehnung, Unverständnis und dem Wunsch nach Anerkennung, von Distanz und dem Ballast des "Erbes der Mütter". Vor allem aber vernehmen wir das leise Bekenntnis der Erzählerin, dem eigenen Lebenswunsch nicht gerecht geworden zu sein. Vielleicht ist es dies innere Eingeständnis, das sie ahnen lässt, dass auch ihre Mutter - "Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der wir gut miteinander auskamen" - zerbrochen ist zwischen den Träumen und den Anforderungen der Realität.

Beides widerspricht sich schon sehr früh in Virmatis Leben: Deren Mutter Kasturi stellt Virmati, die Älteste von insgesamt elf Kindern, früh in die Pflicht, sich um die jüngeren Geschwister zu kümmern. Virmati aber, fasziniert vom Vorbild ihrer als Lehrerin ausgebildeten Cousine Skakuntula, kennt nur einen brennenden Wunsch: zu studieren. Es ist ein ungebührlicher Wunsch für eine junge indische Frau, selbst im liberal-aufgeklärten nördlichen Punjab Anfang 1940, wo auch Frauen eine Schulausbildung erhalten. Doch die eigentliche Berufung einer Frau, so Kasturi, "ist in ihrem Zuhause". Ledig zu sein, ist demnach eine Schande - auch für die Familie. So findet Virmati bei ihrer Mutter, selbst eine gebildete Frau, keinerlei Verständnis. Stattdessen wird sie, mittlerweile 17 Jahre alt, mit einem ihr unbekannten Mann verlobt.

So scheint innerhalb dieser Welt alles seinen gewohnten Gang zu gehen - doch dann verliebt sich Virmati in jenen Professor, der, aus Oxford zurückgekehrt, mit seiner Frau im Haus ihrer Tante zur Untermiete wohnt. Ein Verhältnis beginnt, das zum lebenslangen Verhängnis werden wird. Es offenbart sowohl die Doppelbödigkeit der indischen Gesellschaft als auch die zwiespältigen Selbstlügen und Ambivalenzen, in denen sich die Menschen aufgrund der gesellschaftlichen Regeln wiederfinden. Fünf Jahre wird diese Liebschaft in belastender Heimlichkeit und unter dem Argwohn der Ehefrau geführt. Fünf lange Jahre, in denen Virmati zwar mit dieser Leidenschaft gegen alle Normen verstößt - und dennoch auf nichts anderes hofft und wartet als auf eine legale offizielle Ehe mit diesem Mann. Wegen dieser Beziehung riskiert sie ihre berufliche Karriere - ein Studium in Lahore, dem "Oxford des Ostens", und die Direktorinnenstelle einer Mädchenschule - und verliert schließlich beides. Fünf lange Jahre, in denen dieser Mann ihr zwar die Widersinnigkeit einer gestifteten Ehe verdeutlicht, in denen er zwar auf die ungebildete Frau herabsieht, mit der er im Alter von drei Jahren verheiratet wurde, in denen er aber dennoch nicht offen zu Virmati stehen kann. Bis er sie endlich, auf Drängen eines Freundes, zur Zweitfrau nimmt. Nichts aber wird diese vermeintliche Legalität verbessern. Von ihrer Mutter wird Virmati endgültig verstoßen, im eigenen Haus ist sie eher unwillkommener Gast und kämpft leise aber zäh mit ihrer Rivalin um die Gunst des gemeinsamen Mannes.

Die resignative Selbstverleugnung Virmatis - die doch nur eine tragische Waffe ist, um jenen "exklusiven Kokon" zu erhalten, in den sie sich zugleich wie in einem goldenen Käfig eingeschlossen wähnt - ist dabei auch für die Leserin schwer zu ertragen, nicht allein, weil die Autorin die vielen wichtigen Details dieses Lebensmosaiks eindringlich und anschaulich ausbreitet. Auch Kapur selbst scheint unentschieden, ob sie für dieses Unglück eher die Gesellschaft oder die Individuen verantwortlich zeichnen soll. Vielleicht aber ist dies nichts anderes als der Schmerz der Tochter, nicht die aufbegehrende Frau zur Mutter gehabt zu haben, die sie sich wünschte - und selbst nicht wurde.

Vieles in diesem Buch ist fremd und erschreckend. Vor allem der Verdacht, dass es zeigt, wie wenig entfernt auch wir selbst in aller gewonnenen Freiheit immer noch davon sind, unsere Mütter wie unsere Töchter zu verraten: als stille Agentinnen des Patriarchats.

Manju Kapur: Schwierige Töchter. Aus dem Englischen übersetzt von Anette Grube. Deuticke Verlag. Wien/München 1999. 352 S., 44,- DM

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