Bilderstürmer der Liebe

GRENZBEGEGNUNGEN Der Debütband von Jagoda Marinic "Eigentlich ein Heiratsantrag"

Sie ist das wohl älteste Sujet der Literatur: die Liebe. Doch zu retten ist sie nicht mehr, wenigstens nicht in den Erzählungen der kroatisch-deutschen Autorin Jagoda Marinic. Denn wovon ihr Debütband Eigentlich ein Heiratsantrag Kunde gibt, sind Begegnungen, die Abschiede, sind Anfänge, die Enden sind: Liebesfluchten.

Erstaunlich kühl nimmt Marinic sie in den meisten Erzählungen ins Visier - Erzählungen, die in ihrer Kürze und nüchternen Deskription den Charakter von Versuchslaboratorien verstrahlen. Und wie ein Vivisekteur scheint Marinic allein interessiert an jenem winzigen, aber entscheidenden Moment, in dem die verklärte Gefühlssphäre zerreißt und die Liebe offenbart, dass Imagination, Illusion und Projektion wie ein Fremdkörper in ihr nisten. Erfüllung ist den Frauen und Männern, den Jungen und Mädchen nicht vergönnt. Vielmehr sehen sie sich meist zurückgeworfen auf die hässliche Frage, was denn da war: Ob das, was man fühlte, der Realität entsprach, vor allem der Realität zweier, die im gleichen Moment das gleiche fühlten. "Vielleicht war's ja ein riesen Ausversehen", resümiert das junge Mädchen in Ich wünschte, er hätte nie geredet davon, daß man nur eine lieben kann, denn die Liebe, an deren Möglichkeit sie für kurze Zeit glaubte, nachdem sie im Zug die Zufallsbekanntschaft eines jungen Mannes gemacht hat, zerstäubt ins Nichts, als er ihr von seiner im Ausland weilenden Freundin erzählt.

Grenzbegegnungen sind es allesamt, die Marinic schildert: Begegnungen, deren Drift sich darin vollzieht, das Trennende, Nicht-Mögliche, das leere und unüberbrückbare Dazwischen zu erfahren. Und fällt doch einmal ein Ja, wie in der Erzählung Sonnenaufgang, wird klar, dass Langeweile und Gleichgültigkeit die Wahl ausgelöst haben: Weil sich das Spiel der Liebe mit jedem unendlich und immergleich wiederholt. Meist aber ist es die Anwesenheit eines Dritten, die die Liebe verhindert, beendet oder zerstört: ein Anderer, eine Andere - vor allem aber jenes Andere der Liebe selbst, wo die Macht der Gefühle sich kreuzt mit dem Kino im Kopf, wo individuelle Sehnsüchte und gesellschaftlich geprägte Erwartungen gleichermaßen den reellen Leib wie eine Leinwand bespielen.

Davon, wie die Bilder, die man sich macht von einem Anderen, den man zu lieben vorgibt, diesen in einem gläsernen Sarg einfrieren, davon weiß Marinic am eindringlichsten zu erzählen. Einfühlsam, in einer der beiden längeren Erzählungen namens Aura fast bis zum Märchen symbolisch überhöht, legt sie den Schrecken und die Leere, die grausame Einsamkeit gerade derer bloß, die die Bilderstürmer der Liebe - und seien es die eigenen Eltern - zu entseelten Schemen degradieren. "Du sollst dir kein Bild machen", lautet das altchristliche Gebot, und in den Erzählungen einer Autorin, die 1977 als Kind kroatischer Eltern in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, schimmert es vielleicht nicht nur durch als Motto einer Liebe, die dem kalten Augensinn als Usurpator misstrauen sollte. Wie zwischen den Zeilen verweist es möglicherweise auf eigene Erfahrung, zumindest aber auf die Sensibilität zu wissen, was es heißt und wie es sich anfühlt, von fixierenden Blicken in die vermeintliche Ordnung der Bilder gesperrt zu werden.

Ob es aber ein Entrinnen gibt - wie im Fall der jungen Frau, die ihren Geliebten im Café entsetzt verlässt, weil sie sich in dessen Loblied auf sie selbst nicht wiederfinden kann? Es macht jedenfalls den stillen Reiz der Erzählungen aus, dass sie an quasi archaische Momente und Muster von Liebe heranreichen und daher auch die zwischen den Generationen selbst nicht aussparen: die Hassliebe zwischen Tochter und Mutter; der Vater, der seinem Sohn die Liebe verweigert, da er seine Frau bei der Geburt verlor und jene tastend-zarte wie innige Zuneigung, die das junge Mädchen im Dorf auf einer Mittelmeerinsel zu dem alten Mann "Josip" erfasst - bis es von der Gemeinschaft in die Stadt verbannt wird, um diese unbotmäßige Liebe zu vergessen.

Das hört sich pathetischer an, als Marinic schreibt. Denn Introspektion wechselt sich ab mit präziser Beschreibung von Situationen und Menschen; mal sind die Geschichten (deren Qualität schwankt) verknappt bis zur Skizze, mal verstrickt Marinic die Leser in das Gedankenmäander ihrer Figuren, deren Sophistik manchmal allerdings etwas maniriert und bedeutungsschwanger wirkt. Selten aber findet sich ein so kunst- wie liebevolles Porträt des Alters, wie in den beiden (vermutlich autobiographisch durchsetzten) Geschichten über Großmütter. Und wie nebenbei vermitteln gerade diese eine Art Philosophie des Lebens: ein Lob des fragilen Augenblicks, eine Hingabe an das vergängliche Jetzt, wie die alte Frau sie in ihrem schlichten und kargen Leben auf einer Mittelmeerinsel zwischen Esel, Hund und Gemüsebeet noch pflegt, anstatt das Leben auf ein "danach" zu verschieben, wie jene Großmutter, die ihrem Mann als Gastarbeiter nach Deutschland folgte und nichts als schwere "Männerarbeit" verrichtet hat, um nun den Lebensabend alleine und verwitwet im selbst gebauten Haus zu verbringen.

In der Erzählung Ich wünschte, er hätte nie geredet davon... verwehren sich die Eltern des jungen Mädchens, selbst Einwanderer in Deutschland, verärgert dagegen, dass es Luxus sei, was sie mit Mühe erreicht hätten.

Jagoda Marinic, 1977 in Waiblingen geboren, die in Heidelberg lebt, eine Vertreterin jener auch in Deutschland wachsenden Gemeinschaft von "Zweistrom"-Menschen, deren kulturelle und nationale Identität nicht mehr so eindeutig festlegbar ist, Marinic scheint - noch in ihren Erzählungen der fehlschlagenden Suche nach Liebe - behutsam dem Luxus zu huldigen, im Jetzt beheimatet zu sein: dort, wo man gerade ist. Das lässt sich wenigstens retten: in die Literatur.

Jagoda Marinic: Eigentlich ein Heiratsantrag. Geschichten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, 128 S., 28,- DM

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