Egal, wie oft man es ausspricht, es klingt nie wie ein Wort, das man gerne ausspricht. Es ist ein ganz lächerliches, völlig unerotisches Wort.« Die Rede ist, und das von der ersten bis zur letzten Seite dieses erstaunlichen Buches, von der ÂVaginaÂ, dem eher klinisch eingestuften Begriff für jenes Geschlecht, von dem die französische Psychoanalytikerin Luce Irigaray einst so treffend sagte, dass es »nicht eins ist«. Immer schon war die - gespaltene - Anatomie das Schicksal der Frauen; auch, was das Verhältnis zu ihrem eigenen Geschlecht anbelangt. Über Liebe reden sie viel; auch über den Sex. Selten aber mit Liebe über jenen Ort ihres Körpers, der für ihren Sexus und Sex zuständig ist. Der ist weit
it weg, auch in ihrer Sprache wie nicht sichtbar. Eine Tatsache, die Eve Ensler - frauenengagierte New Yorker Journalistin und Theaterschriftstellerin - umso beunruhigender fand, als sie an die emanzipatorische, da identitätsbildende Macht der Sprache glaubt: »Was wir nicht aussprechen, wird ein Geheimnis, und Geheimnisse erzeugen oft Scham, Furcht und Legenden.«Wenn in diesem Sinne das Schweigen der Frauen auf die bis zur Gewalt eskalierende Misogynie der männlichen Kultur antwortet, dann sind Eve Enslers Vagina-Monologe eine Art zweite sexuelle Revolution: die der Âvagina dentataÂ, die nun tatsächlich ihre Zähne zeigt und das eigene Antlitz, vielmehr die eigene Stimme erhebt. Denn mit über 200 amerikanischen Frauen von jung bis alt und jeder nationalen und gesellschaftlichen Coleur, »Managerinnen, Sex-Arbeiterinnen, afrikanischen, asiatischen und jüdischen Frauen«, hat Ensler in langen zwei Jahren Gespräche und Interviews über ihre Vaginas geführt - und diese dann, mal durch wörtliche Wiedergabe, mal durch Zitatenmontage, in die vorliegenden Monologe transformiert, die nichts weniger sind als ein frauenpolitisches Manifest fernab aller Verbissenheit und ein Fest der Weiblichkeit fernab aller Selbstbeweihräucherung.Lachen und Weinen, aufklärerischer Ernst und inszenierende Verspieltheit wechseln sich darin als Tonlagen ebenso ab, wie die so unterschiedlichen Erfahrungen und Persönlichkeiten der befragten Frauen. Die jüngste Gesprächspartnerin ist sechs Jahre alt, die ältesten Frauen, die Ensler gegenüber ihre Scham überwanden, sind zwischen 65 und 75 Jahren. »Diese Interviews waren die bittersten von allen«, gesteht Ensler: »Eine der Frauen, sie war zweiundsiebzig, hatte ihre Vagina nie gesehen.« Allein ist sie damit nicht, wie wir aus jenem Monolog erfahren, der der Arbeit von Betty Dodson, einer amerikanischen Pionierin in Sachen weiblicher Orgasmus, gewidmet ist: »Fünfundzwanzig Jahre lang hat Betty Frauen geholfen, ihre Vagina zu entdecken, zu lieben und zu masturbieren.« Wobei es um mehr als nur um sexuelle Lust geht: »Tausenden von Frauen hat sie dabei geholfen, ihren Mittelpunkt wieder zurückzufordern.« Für eine der Frauen ist das, was es dort zu entdecken, ja zu erobern gibt, »ein mystisches Ereignis«, »besser als der Grand Canyon«. Das ist erheiternd und traurig zugleich; eine emotionale Gratwanderung, die tatsächlich viele dieser Monologe - Selbstbekundungen eines viel zu stummen Geschlechts - vollziehen.Eines eint in auffälliger Weise die Texte: dass Ensler in ihnen, noch in der Wahl ihrer formalen Mittel, jeder einzelnen Frau, jeder einzelnen Vagina die ihr beraubte Würde verleiht. Sei es jene Zitatencollage, die »wie ein Chor, eine Art leidenschaftlicher kollektiver Gesang« die kulturell tabuisierte weibliche Menstruation intoniert; sei es jener poetisch verdichtete Monolog, der den bosnischen Frauen gewidmet ist, der Tatsache auch, dass ihre Vergewaltigungen, so Ensler empört, »Teil einer systematischen Kriegsführung« sind, »ohne dass jemand etwas dagegen unternimmt«. Selten, aber dann in unüberhörbarer bestechender Nüchternheit flicht Ensler zwischen die Monologe die »Vagina-Fakten« ein, Beispiele jener lang tradierten Gewalt gegen Frauen, die ein männliches Geschlecht hat und nichts weniger ist als ein kultureller Krieg gegen die - imaginierte wie reale - Magie des weiblichen Körpers: Circa hundert Millionen weltweit genital verstümmelte Frauen; 500.000 vergewaltigte Frauen in den USA pro Jahr; die weiblichen Obdachlosen, die laut Enslers Erfahrungen als streetworker nicht nur meist schon früh miss braucht worden sind, sondern bei erneuter sexueller Gewalt keinerlei Gehör in den Medien finden.Doch trotz solch auch gesellschaftspolitisch kritischer Deutlichkeit ist Ensler klug genug, die Waffe ihrer Texte jene kraftvolle Sprache sein zu lassen, die dem weiblichen Körper doch auch zu eigen ist. Die ertönt nicht nur keck, ja betont sinnlich in jenen anschaulichen Bildern, die Ensler den Frauen mit jenen immer drei gleichen Fragen an sie entlockte: Wenn deine Vagina sich anziehen würde, was würde sie tragen? Wenn deine Vagina sprechen könnte, was würde sie sagen - in drei Worten? Wie riecht eine Vagina? Mit großen (fast ein wenig roten) Ohren lauschen wir auch dem Lautlustspiel »Votze fordern«, das jenes Organ mit Wonne durchbuchstabiert, das - ginge es nur mit rechten Dingen zu - für nichts so sehr gemacht zu sein scheint wie für das weibliche Paradies auf Erden.Davon sind wir Frauen wohl noch ein wenig entfernt. Mit den Vagina-Monologen aber rückt es ein Stück näher. Umso mehr, da Ensler diesen Text von Anfang an als ein Theaterstück entwarf und es zwei Jahre lang mit umwerfendem Presse- und Publikumserfolg nicht nur in einem New Yorker Broadway-Off-Theater unter Starbesetzung wie Glenn Close, Wonona Ryder und Whoopi Goldberg aufführte, sondern auch durch die Welt damit tourte, in Deutschland im Juni vergangenen Jahres. Sie könne eine »vaginafreundliche Landkarte« anfertigen, scherzt Ensler an einer Stelle über ihre eigene Mission. Doch nicht zu überhören ist, wie sehr ihr Projekt von Empathie und Utopie getragen ist, träumt sie doch nicht nur von einer noch fernen Kultur, in der die Vagina »integriert, respektiert und geheiligt« werde. Für heute bereits gilt: eine eigene Sprache, das Eigene über die Sprache zu finden, da, so Ensler, »unser Überleben als Frau abhängt von diesem Dialog«. Ein Anfang ist gemacht. Let's talk about: vagina.Eve Ensler: Die Vagina-Monologe. Mit einem Nachwort von Gloria Steinem. Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Staatsmann und Bettina Schültke. Edition Nautilus, Hamburg 2000, 117 S., 24,80 DM
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