AM ANDEREN ENDE Arbeit im Call Center: Streß, Ungeduld der Kunden, schlechte Bezahlung, aber immer schön freundlich bleiben - der ideale Job für Frauen
Quelle Call Center, guten Tag, was kann ich für Sie tun? (...) Die Kinderbodies in mint, Größe 10 bis 12? Ich schau' mal nach (...). Da haben wir im Moment ieferschwierigkeiten, das dauert etwa zehn bis zwölf Tage (...). Ja, dann brauch' ich mal Ihre Kundennummer(...).«
Anneliese O. ist seit 17 Jahren beim Versandhaus Quelle beschäftigt, zunächst als kaufmännische Angestellte, dann als Verkäuferin in einem »Quelle Kaufhaus« einer westdeutschen Großstadt, seit zwei Jahren jetzt am Bildschirm im »Call Center«. Zusammen mit 200 Kollegen und Kolleginnen nimmt sie täglich in der Zeit von 7 bis 22 Uhr, samstags bis 18 Uhr, Anfragen, Bestellungen und Beschwerden der Kundschaft entgegen. Sie arbeitet im »Full Service
Service« mit 37,5 Wochenstunden, bearbeitet neben Bestellungen auch Reklamationen und macht Produktberatung. Im Schnitt heißt das 50 Anrufe pro Schicht, je nach »Kundendichte«. Fünfzigmal sich auf neue Stimmen einstellen, fünfzigmal konzentriert zuhören, fünfzigmal freundlich bleiben, auch wenn der Kunde oder die Kundin am anderen Ende ausfallend oder ungeduldig werden, fünfzigmal schnell und kompetent weiterwissen, damit die Leitung für die nächsten KundInnen frei wird. Um Anfragen zu Teppichböden, Spülmaschinen oder Kinderwäsche korrekt und schnell beantworten zu können, hat sie eine ständig aktualisierte Informationsmappe neben ihrem PC liegen.»Dann bräuchte ich mal die Nummer von Ihrem Lieferschein. War keiner dabei? Das dürfte wirklich nicht vorkommen. Können Sie mir Ihre Kundennummer nochmal nennen?« Anneliese O., die Mikrofon-Kopfhörer-Kombination über'm Haar, hat den Blick vom Bildschirm abgewandt. Um ihre Augen zu schonen, spricht sie scheinbar in den leeren Raum neben ihrem Schreibtisch, ist dabei aber voll konzentriert. Reklamationen können knifflige Angelegenheiten sein, vor allem, wenn am anderen Ende der Leitung eine cholerische Kundin sitzt, oder ein Kunde, der sich umständlich ausdrückt. Dann heißt es, die Dienstleistungsparole durchhalten: immer freundlich, zumindest ruhig und höflich zu bleiben.Call Center-Unternehmen wissen, daß »kommunikative und soziale Kompetenz« vor allem bei Frauen zu finden ist. Sie können besser zuhören, sind geduldiger und erfassen meistens schneller als Männer, worum es den GesprächspartnerInnen geht. Das haben sie in jahrzehntelanger weiblicher Sozialisation und »Beziehungsarbeit« in der Familie gelernt. Der »Deutsche Direkt Marketing-Verband« in Wiesbaden schätzt, daß rund 60 Prozent der etwa 150.000 »Call Center-Agenten« in Deutschland Frauen sind. Im »Quelle Call Center« dieser rheinischen Großstadt sind lediglich zehn Prozent der Beschäftigten Männer. Die meisten von ihnen machen die Arbeit vorübergehend, sind Umschüler oder Studenten. Oder sie sind Vorgesetzte, sogenannte Supervisoren, Techniker und EDV-Systembetreuer.Für Männer ist der Job des Call Center-Agenten aus mehreren Gründen unattraktiv. Für den Knochenjob an Computer und Telefon gibt es wenig Geld. Anneliese O. ist im boomenden Telefon-Service-Markt eine aussterbende Spezies. Sie wird nach Gehaltsstufe II des Einzelhandelstarifs bezahlt - »Angestellte mit erweiterten Fachkenntnissen und größerer Verantwortung...«. Das bringt knapp 4.000 Mark brutto im Monat. Neueingestellte im Quelle Call Center können aber nur noch mit Gehaltsstufe I rechnen, das Einstiegsgehalt sind dann 2.300 Mark brutto im Monat.Intensivste Arbeitsbelastung für ein Taschengeld ist die Parole in den meisten Call Centern, gleich, ob es sich um Versandhandel, Telemarketing, den Zuschauerservice von Fernsehshows oder um die Telefonauskunft handelt.Vor allem in Ostdeutschland gedeihen die externen Call Center, die Kundenaufträge für Dritte abwickeln, von der Automobilbranche bis zur Versicherung, für Bruttostundenlöhne von 12,- DM. »To go east« hat sich auch die »Quelle« entschlossen. Um aus dem Einzelhandelstarif herauszukommen, hat das Unternehmen in Chemnitz eine eigenständige »Quelle Call Center-Gesellschaft« gegründet. Nach deren Haustarif würden für die meisten neueingestellten Telefonagentinnen Nettolöhne von 1.564 Mark bleiben, im Monat, bei Vollzeittätigkeit. Klar, daß derartige Niedrigstverdienste auf die »dazuverdienenden« Ehefrauen in Ost und West abzielen, wie früher die »Hausfrauenschichten« in den bundesdeutschen Fabriken.Besser bezahlt sind qualifizierte Tätigkeiten, etwa im Telefon-Banking, vor allem aber in den technischen »Hotlines« der EDV- und Telekommunikationsbranche. Hier sitzen die oft mehrsprachigen, meist männlichen Experten, die für halbwegs ordentliche Gehälter rund um die Uhr telefonische Pannenhilfe leisten. Mit den »McJobs« der Frauen möchten sie möglichst nicht identifiziert werden. Obwohl Überredungsfähigkeit, Nervenstärke, Geduld und Zähigkeit, etwa einer Telefon-Interviewerin eines Marktforschungsinstituts, mindestens so hoch bewertet werden müßten wie technische Fachkompetenz.Derartige Knochenjobs hält man nur in Teilzeitarbeit durch, und das meist auch nur wenige Monate. Für Männer, die immer noch dem alten Mythos vom »Familienernährer« anhängen, ist das nichts. Dennoch schickt das Arbeitsamt zunehmend auch männliche Arbeitslose zu den Call Centern, denn der Markt boomt.Nicht zuletzt dank eifriger staatlicher Subventionspolitik. Die nordrhein-westfälische Landesregierung startete 1997 eine »Call Center-Offensive«, um den »Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft« voranzutreiben. Dienste leistet der Staat vor allem den Betreibern der Call Center. Bereits im Oktober 1997 hebelte die NRW-Landesregierung die Arbeitszeitordnung mit einer Sonderregelung für Call Center aus. Um dem Ideal des 24-Stunden-Telefonservices nahe zu kommen, haben bereits sechs weitere Bundesländer Ausnahmebestimmungen für die Arbeitszeitordnung erlassen. Tarifverträge ebenso wie Arbeitsschutzbestimmungen, Pausenregelungen, Verordnungen über Bildschirmarbeit, das alles sind in den Augen der Call Center-Betreiber nur lästige und kostenträchtige bürokratische Hindernisse, die sie mit oder ohne staatlichen Segen abzuschaffen versuchen.Für die meisten Männer gewöhnungsbedürftig ist auch die rigide Kontrolle an den Arbeitsplätzen. Der Supervisor weiß nicht nur jederzeit, wer wieviele Kundenkontakte mit welchem Erfolg hat, er kann auch - in korrekt geführten Unternehmen nach vorheriger Absprache - Kundengespräche mithören. Im übrigen bestimmt, wie in den gu ten alten Fließbandzeiten, die Maschine den Takt der Arbeit, blinkende Lämpchen deuten an: Der nächste Kunde wartet! Wer auf die Toilette will, muß das dem Chef mitteilen. Und auch die bei »Quelle« erkämpfte Raucherpause alle zwei Stunden bleibt fest im Griff des Supervisors. Am Schwarzen Brett steht, wie das geht: «... beim Supervisor melden und wird dann in die Raucherpause geschickt«. Immerhin gilt sie auch für Nicht raucher.
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