Brutale Heldinnen

Hollywood Die Unterhaltungsindustrie vermarktet erfolgreich Action-Heldinnen als starke weibliche Vorbilder und glorifiziert dabei Gewalt unter dem Deckmantel des Feminismus

Gewalt ist männlich. Das war nicht nur für lange Zeit die öffentliche Wahrnehmung, sondern auch vorherrschender Konsens in der feministischen Theorie. Gewalt wurde allein als strukturelles patriarchales Phänomen identifiziert, als ein Werkzeug für Macht- und Geltungsbeweise, als Selbstaufwertung durch Erniedrigung anderer. Kreuzzüge, Kolonialismus, Umweltzerstörung: Männersache. Frauen waren ausgeklammert – wer keine Macht hat, kann nicht schuldig sein.

Diese verengte Perspektive ist heute überholt. Spätestens als Historikerinnen Ende der 80er Jahre die weibliche Beteiligung im Nationalsozialismus offenlegten, wurde der noch etwas zögerliche Vorwurf der Komplizinnenenschaft zur aktiven Mittäterinnenschaft. Gemeint waren unterstützende Nazi-Ehefrauen, Wehrmachtshelferinnen, Denunziantinnen sowie alle, die die Verhältnisse tatenlos duldeten. Frauen wurde jetzt auch in der Gewaltfrage Verantwortung zugestanden, ihr Potential zum „revolutionären Subjekt“ rückte in den Vordergrund.

Lukrative Revolutionärinnen

Solche vermeintlich revolutionären Subjekte spülen in Hollywood aktuell viel Geld in die Kassen. Gerade kämpft die junge Tris in Die Bestimmung - Allegiant in den deutschen Kinos gegen eine korrupte Regierung, die genetische Experimente an der Bevölkerung vornimmt. Noch bekannter ist aber wohl Katniss Everdeen aus der Die Tribute von Panem-Reihe. Die wird, gespielt von Publikumsliebling Jennifer Lawrence, im Fantasy-Land Panem zum Gesicht einer Revolution.

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Als „Mockingjay“, zu deutsch etwas unglücklich „Spotttölpel“ genannt, ist Katniss dafür zuständig, die Moral der rebellischen Kräfte in einer dystopischen Gesellschaft hochzuhalten. Gestürzt werden soll Diktator „Snow“, der regelmäßig in Form eines großen Medienspektakels Kinder dazu zwingt, sich gegenseitig abzuschlachten. Diese „Hungerspiele“ hat Katniss zweimal überlebt, einerseits weil sie gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann und andererseits, weil ein gutherziger Junge sehr verliebt in sie ist und sie deshalb beschützt.

Alle vier Filme der Panem-Reihe sind in den Top 100 der weltweit erfolgreichsten Filme aller Zeiten vertreten, noch nie hat eine Action-Heldin so viel Umsatz gemacht: Knapp drei Milliarden waren es weltweit insgesamt für die Tetralogie. Neben dem kommerziellen Erfolg wird Katniss aber vor allem für ihre feministische Vorbildfunktion gefeiert. Das Studio inszeniert und vermarktet sie für die junge Zielgruppe als „starke Heldin“, mit deren Geschick eine Revolution steht und fällt.

Knalleffekte

Die Kriegsmotivation der Protagonistin hat bei aller Härte in ihrer Ausführung einen als „typisch weiblich“ konnotierten Ursprung. Katniss will ihre kleine Schwester beschützen, opfert sich also für ihre Familie. Im Film wird angemerkt, dass sie nur in diesem Moment „wirklich sie selbst“ war, ganz Frau im konventionellen Sinne. Die verschiedenen Aggressoren heben die Weiblichkeit der Heldin dann für ihre Zwecke stets hervor. Während der Hungerspiele wird sie aufgehübscht und zum Objekt der Begierde ihres sympathischen Kontrahenten stilisiert, bis hin zur vorgespielten Schwangerschaft. In der Revolution spielen vor allem ihr schönes Gesicht und ihr Outfit eine Rolle, mit dem Anspruch, sie zur „bestangezogenen Rebellin in der Geschichte“ zu machen. Katniss bewundert die Kostümentwürfe: „Sie sind wunderschön“.

Die Tatsache, dass sie durch die komplette Story des Films kaum selbstbestimmt handelt, sondern die verschiedenen Parteien sie abwechselnd für ihre Zwecke benutzen, wird durch die heroische Darstellung der Protagonistin kaschiert. Mit aufwendigen Knalleffekten inszenieren die Filmemacher Katniss als Kriegsheldin – lassen hinter ihr einiges explodieren, zeigen sie untersichtig inmitten von Leichenbergen. Und tun damit genau das, was sie zu kritisieren vorgeben. Sie schüren und befriedigen den Blutdurst der Zuschauer, ohne ihnen dieses Bedürfnis kritisch vor Augen zu führen und das in allen vier Filmen. Katniss will Coin „in die Augen schauen“, wenn sie ihn umbringt, „für sie“ sollen die Kämpfer ihre Waffen auf das Kapitol, den feindlichen Herrschaftsbereich, richten. Die „Bösen“ verdienen den Tod, auch schon in den Hungerspielen. Dass hier eine Frau zum Mord aufruft, kann man auch als Pseudo-Feminismus verstehen, der instrumentalisiert wird, um Gewalt spektakulär vorzuführen und letztlich: zu glorifizieren .

Rachefantasien

Die Debatte, ob Frauen, die Gewalt anwenden und Männer unterdrücken, feministische Vorbilder sind, ist nicht neu, fand aber Ende 2014 wieder den Weg in den Mainstream zurück, als der Thriller Gone Girl von David Fincher, die Verfilmung des gleichnamigen Romans der US-amerikanischen Autorin Gillian Flynn, in die Kinos kam. Hier ist die rachedurstige Amy am Werk, die intrigiert, mordet und sich quasi selbst vergewaltigt, um ihren Ehemann fertig zu machen. Manche Kritiker feierten den Film als feministischen Siegeszug, andere warfen ihm vor, zu gefährden, wofür Frauenrechtlerinnen seit Jahrzehnten kämpfen: den Schutz von Opfern männlicher Gewalt. Die Figur der Amy untermauert tatsächlich das Klischee der betrogenen Ehefrau ganz nach dem Motto „hell hath no fury like a woman scorned“ (Die Hölle kennt keinen Zorn, wie den einer betrogenen Frau). Sie ist die Personifizierung misogyner Vorurteile. Das kann und soll kritisiert werden – es ist aber nicht per se antifeministisch. Denn hier trifft eine komplexe weibliche Figur autonome Entscheidungen, und die werden im Film dementsprechend negativ bewertet. Es gibt durchaus feministische Motive, zum Beispiel die Tatsache dass Amy sich aller Menschen entledigt, die ihr einen Stempel aufdrücken wollen. Das sind vor allem Männer, aber zum Beispiel auch ihre Mutter.

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In seiner Gesamtheit ist Gone Girl weder feministisch, noch misogyn oder männerfeindlich. Das Motiv der weiblichen Rache hat er mit den brutalen Kinofantasien von Quentin Tarantino gemeinsam, der regelmäßig blutrünstige Schönheiten auf ihre männlichen Peiniger loslässt, so zum Beispiel in Kill Bill oder Deathproof. Diese Geschichten bleiben allerdings symbolisch, Ausdruck eines abgründigen Verlangens nach Retribution, das Tarantino bekanntlich nicht nur Frauen zuschreibt.

Feminismus als Drohung

Darin unterscheiden sie sich von den Panem-Filmen, die im Fantasy-Setting eine nachvollziehbare Heldenreise erzählen wollen. In diesem Zusammenhang wird Gewalt als legitimes Mittel präsentiert, um Ungleichheit zu beseitigen und das unter dem Deckmantel des Feminismus, in dessen politischer Umsetzung Gewalt nie wirklich eine Rolle gespielt hat. Ja, in der Rhetorik stolpert man ab und zu noch darüber, wenn auch nicht mit dem Ausmaß der „Schwanz-ab!“-Parolen der 70er Jahre vergleichbar. „Making feminism a threat again“ hieß es jüngst auf Postern eines aktivistischen Bündnisses, das im Rahmes des „Frauen*kampftags“ zu Demos in Köln und Berlin aufrief. Auf dem Plakat krönt die Aufschrift „Feminism“ einen riesigen Schlagring. Die Forderung nach Gleichstellung wird zur Drohung, obwohl es dem Bündnis nach eigenen Aussagen vorrangig darum geht, nach der Kölner Silversternacht Feminismus nicht als Vorwand für Rassismus gelten zu lassen. Diese Gewaltrhetorik ist in der Politik unvernünftig und kontraproduktiv, in den Panem-Filmen in ihrer Funktion allerdings noch eine Spur perfider, weil der Einsatz von Gewalt nicht nur durch eine klischeehaft weibliche Moralität legitimiert wird, sondern diese am Ende auch wieder als Ziel fungiert.

Nachdem Katniss sowohl dem männlichen Unterdrücker, als auch der machthungrigen Revolutionsführerin ein Ende bereitet hat, zieht sie sich ins Private zurück. Während sie zu Beginn der Geschichte immerhin noch gerne in Hosen durch Wälder lief und Tiere jagte, sitzt sie in der letzten Szene im Blumenkleid auf einer sonnigen Wiese und strahlt angesichts ihrer neuen Familie. Politische Ambitionen hat sie nicht und nie wirklich gehabt, ihr Triumph liegt in der Möglichkeit, Ehefrau und Mutter zu sein. Die vorausgegangene weibliche Mittäterschaft wird damit nicht nur im Film selbst kritisiert, sondern zum Mittel für reaktionäre Propaganda. Gewalt ist nicht männlich: Diese Erkenntnis ist eine Errungenschaft des Feminismus – keine Legitimation, sie unter seiner Fahne anzuwenden.

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