Globo-Cop in Abwicklung?

USA Das Land ist ökonomisch, moralisch und sozial schwer angeschlagen, aber noch lange nicht am Ende

Wer den USA heute eine Krise bescheinigt, wird kaum Widerspruch ernten. Der Kollaps des Finanzmarkts, die drohende Rezession, enorme Staatsschulden: in dem Land stehen die Zeichen auf Sturm. Hinzu kommt, dass die USA zwei Kriege führen, die sie zwar nicht verlieren, aber auch nicht gewinnen können.

Sieht man etwas genauer hin, wird das Bild noch düsterer. Da ist vor allem der Dollar. Die Stärke einer Währung spiegelt das weltweite Vertrauen in das jeweilige Land wider. Mag sich der Dollar auch kurzfristig etwas erholt haben: dieses Vertrauen scheint für die USA immer weiter verloren zu gehen.

Dass die Verantwortlichen dort der tristen Wahrheit über die Lage zu oft ausweichen, verschlimmert das Misstrauen nur noch. Die amerikanische Volkswirtschaft produziert zwar Unmengen von Statistiken zu ihrer Lage, doch die entscheidende Kennziffer zur Inflation - die im Umlauf befindliche Geldmenge - wird von der Zentralbank in Washington nicht mehr publiziert. Warum? Sie würde allzu offensichtlich machen, dass die offizielle Inflationsrate von 5,4 Prozent reichlich geschönt ist.

Neben der Finanzkrise leiden die USA vor allem an den Kriegen in Afghanistan und dem Irak. Sie haben das Land außenpolitisch isoliert und seine Glaubwürdigkeit schwer beschädigt. Etwa 1,1 Billionen Dollar haben die USA für diese Kriege aufgebracht. Es scheint unmöglich, diesen Weg fortzusetzen.

Angesichts der ökonomischen und der sozialen Probleme wird der nächste Präsident gezwungen sein, den Fokus auf die Innenpolitik zu richten. Dort werden die gesellschaftlichen Verwerfungen immer größer. Wer heute durch die USA reist, kann die herrschende Unsicherheit mit Händen greifen.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht weit auseinander. John McCain mag zu jenem einen Prozent der Bevölkerung gehören, dem über Aktienbesitz 50 Prozent der amerikanischen Industrie gehört. Aber rund 47 Millionen Menschen in den USA müssen ohne Krankenversicherung durchs Leben gehen. Im Falle einer Krankheit haben sie die Wahl, sich zu verschulden oder auf ihre Gesundheit zu verzichten.

Ein anderes Beispiel: In internationalen Hochschulrankings belegen US-Universitäten acht der ersten zehn Plätze. Dagegen ist das staatliche Bildungswesen international nicht konkurrenzfähig. Es gibt Schätzungen, nach denen achtzehn Prozent der Bevölkerung nicht lesen und schreiben können.

Schließlich die Finanzkrise. Für das 700-Milliarden-Rettungspaket gibt es kein historisches Vorbild. In der Beispiellosigkeit liegt das eigentliche Risiko - es ist nicht anzunehmen, dass der Weg ohne Fehltritte beschritten werden kann. Sicher ist heute nur, dass die Rettung ihrer Finanzkonzerne die amerikanischen Steuerzahler sehr lange und sehr stark belasten wird.

Sind die USA also dabei, ein Land unter vielen zu werden, Veto- und Atommacht zwar, aber mehr auch nicht? Eines zumindest ist sicher: Die Zeit der US-Vorherrschaft ist vorbei. Und trotzdem könnte es sein, dass mancher die USA zu schnell abschreibt. Denn das Land besitzt Fähigkeiten zur Regeneration, die niemand unterschätzen sollte.

Da ist die fast sprichwörtliche Kreativität, die Lust am Ausprobieren und schnellen Umsetzen. Die Mikrochip- und Internet-Revolution hätte ohne diese Eigenschaften nicht stattgefunden. Hinzu kommt ein Pragmatismus, der nicht nur Charme hat, sondern kraftvoll zupacken kann.

Vor allem aber sind die USA nach wie vor ein Einwandererland. Die Anziehungskraft der USA auf andere Menschen ist ungebrochen. Auch deswegen wächst dort, anders als in Europa, die Bevölkerung. Manche der Neuankömmlinge setzen sich in ihrer neuen Welt durch und gelangen bis an die Spitze. Einer der Google-Väter wurde in Moskau geboren, einer von denen, die Intel groß gemacht haben, in Budapest. Von den Yahoo-Gründern stammt einer aus Taiwan, der Ebay-Gründer wurde in Paris geboren und ist persisch-stämmig. Sun Microsystems schließlich wurde von einem Deutschen mit aufgebaut.

Einzelfälle ohne generelle Aussagekraft? Keineswegs. 40 Prozent der Doktoranden in naturwissenschaftlichen Fächern an den Hochschulen der USA wurden nicht im Land geboren. Die Einwanderung in die Vereinigten Staaten ist eine Ressource, wie sie kein Mitbewerber aufweisen kann.

Und dennoch brauchen die USA nicht weniger als eine Neugeburt. Das Land ist ökonomisch, moralisch und sozial schwer angeschlagen. Wie traumatisch sich Bedeutungsverlust auswirken kann, hat Russland mit seiner Reaktion im Kaukasus der Welt gerade vor Augen geführt - wer weiß, wie rational die USA demnächst unter ihren Schmerzen reagieren werden. Das Tal ist tief und der Weg weit. Doch die Chancen, dass sich das Land in einigen Jahren neu gefunden haben wird - stehen alles andere als schlecht.

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