Die Adjutantin

Porträt Die ehemalige Grünen-Politikerin Angelika Beer hat einen neuen Wirkungskreis bei der Piraten-Partei gefunden. Damit stellt die junge Partei bereits Weichen

Lange hat man den Namen nicht mehr gehört, zuletzt vor einem halben Jahr als sie, Gründungsmitglied der Grünen, nach 30 Jahren ihr Parteibuch zurückgab – unter Tränen. Angelika Beer wäre gern noch einmal fünf Jahre im Europaparlament geblieben, doch ihr schleswig-holsteinischer Landesverband stellte sie im Frühjahr 2009 nicht wieder auf. Überhaupt hatte sie den Kontakt zur Basis im hohen Norden über die Jahre verloren. Dann warf sie den grünen Bettel ganz hin. Nun hört man, Beer ist der Piratenpartei beigetreten, und weiß nicht so recht: Soll man sie bedauern oder die Piraten?

Die Zerrissene

Angelika Beer steht mehr als jede andere exemplarisch für den Weg der Grünen, die Bombe lieben zu lernen. Zur Zeit des Kosovo-Kriegs, Sündenfall der Regierung Schröder/Fischer 1999, war sie für ihre Partei eine der wichtigsten Stichwortgeberinnen für eine Beteiligung an diesem mandatslosen Nato-Krieg auf dem Balkan. Damals, vor zehn Jahren, hat Angelika Beer auf dem legendären Parteitag in Bielefeld wesentlich daran mitgewirkt, den Grünen ihr pazifistisches Herz herauszureißen. Unvergessen: die Farbbeutel-Attacke auf Joschka Fischer. Und wie ihm von seinen Parteifreunden „Mörder, Mörder!“-Rufe entgegen schallten. Beer war in dieser Zeit seine wichtigste Adjutantin. Sie sprach in Bielefeld über Greuel in Kosovo-Dörfern als hätte sie Rudolf Scharping von den Lippen abgelesen. Noch ein Jahr zuvor hatte sie Auslands-Einsätze der Bundeswehr strikt abgelehnt. Als „zerrissen“ beschrieb sie sich selbst in dieser Zeit. Wie keine andere kultivierte sie die Betroffenheits-Lyrik der Grünen.

Als gewendete Pazifistin ging sie in die parteipolitische Geschichte ein. Und gerade als solche hatte sie großen Einfluss auf die Umorientierung der grünen Partei, die sich fortan Auslandseinsätzen nicht mehr verschloss und Kriegsgegner vergraulte. Die Frau mit dem dünnen Zöpfchen, in das sie sich schon mal Bänder in den kurdischen Farben einflocht, hatte einst als radikale Pazifistin Glaubwürdigkeit genossen. Viele nahmen ihr gerade deshalb mehr als anderen ab, dass sie sich die Entscheidung für den ersten Kriegseinsatz deutscher Soldaten nach dem zweiten Weltkrieg nicht leicht gemacht hatte. So hat sie auch tatkräftig dazu beigetragen, dass Rot-Grün leichter als jede konservativ geführte Regierung diesen Krieg führen konnte, ohne auf größeren Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen. Sie wechselte von einem aufs andere Jahr von den Reihen der Gelöbnis-Gegner 1999 in die Reihen ihrer Teilnehmer und kritisierte den Protest dagegen . Vielen ist sie damals zur Hassfigur geworden – einen gewalttätiger Angriff gegen sie, der nie aufgeklärt wurde, ordnete die Polizei dem linksextremen Spektrum zu.

Die Gemaßregelte

Als die langjährige verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen sich 2002 in einen im Kosovo stationierten Bundeswehr-Offizier verliebte, war es endgültig aus mit der professionellen Distanz zum Militär. Im Gegenteil, sie muss eine schiere Faszination für das Militärische entwickelt haben.
In der Frage des Irak-Kriegs gerierte sie sich zwar wieder ein bisschen pazifistisch und zwang Gerhard Schröder zum Dementi, als sie erklärte, eine Nicht-Beteiligung am Irak-Krieg bedeute auch, den USA keine Überflugrechte zu gewähren und deutsche Soldaten nicht in Awacs-Flugzeuge zu setzen. Doch sie ließ sich durchaus maßregeln und machte sich schließlich die offizielle sicherheitspolitische Rhetorik zu eigen.

Die Gefallene

Von 2002 bis 2004 war sie Bundesvorsitzende der Grünen, allerdings weniger, weil sie ihrer Partei als Traumbesetzung erschien, sondern weil die Partei in einer Notlage war. Fritz Kuhn und Claudia Roth standen nicht mehr zur Verfügung, nachdem sich der Parteitag für die Beibehaltung der Trennung von Amt und Mandat ausgesprochen hatte. Als es niemand machen wollte, fanden sich Reinhard Bütikofer und Angelika Beer und halfen damit der Partei aus der Patsche. Im Juli 2004 zog sie ins Europaparlament ein, wo sie sich wieder mehr ihrem Fach, der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, widmen konnte. Auslandseinsätze der Bundeswehr zu kritisieren oder gar in Frage zu stellen lag ihr fern – sie beschäftigte sich eher damit, wie man diese effektiver gestalten könnte. Als „schärfste Kritikerin der Elche“ setzte sie sich mit der Friedensbewegung auseinander, befürwortete vehement die EU-Verfassung (die später zum Lissabon-Vertrag wurde), rechtfertigte und beschönigte die darin enthaltenen Aufrüstungsabsichten und die Etablierung einer europäischen Rüstungsagentur. Doch sie wirkte auch als Vorsitzende der Iran-Delegation, unterstützte Oppositionsgruppen in dem Land und schlug eine kritische aber besonnene Strategie gegenüber Achmadinedschad ein. Angelika Beer ist deshalb auch ein Beispiel dafür, dass fleißige und engagierte parlamentarische Arbeit von der Partei nicht immer honoriert wird. So ist sie trotz ihrer politischen Erfahrung und ihrer Befähigung, sich im geeigneten Augenblick anzupassen - und von Verantwortung und Moral zu predigen, wo man von der Verletzung des Völkerrechts sprechen müsste -, von der grünen Familie fallen gelassen worden.

Was es für die Piratenpartei heißt, wenn neben Jörg Tauss nun die zweite prominente, einigermaßen gescheiterte Politikerexistenz in ihren Reihen Platz nimmt, mag sie selbst entscheiden. Die Piraten müssen sich bei der Aufnahme von einem bestimmten politischen Personal nur überlegen, ob sie damit nicht einen Kurs einschlagen, über den die Partei noch gar keine Entscheidung getroffen hat. Einen radikal pazifistischen Standpunkt wird man den Piraten nun wohl kaum mehr zutrauen.

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Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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