"Ich will nicht für Askese sprechen"

Im Gespräch Nicht kleckern, sondern klotzen: Die Grünen verabschieden am Wochenende ihr Wahlprogramm. Spitzenkandidatin Renate Künast über Krise, Konjunktur und Koalitionen

Der Freitag: Frau Künast, die Grünen wollen in den nächsten vier Jahren eine Million Arbeitsplätze schaffen. Nicht kleckern, sondern klotzen, könnte das Motto Ihres Wahlprogramms heißen. Geht ohne zig Milliarden-Investitionen gar nichts mehr?

Renate Künast: Die Bundesregierung klotzt, aber an den falschen Stellen! Schon wieder 3,5 Milliarden Euro in eine Verlängerung der Abwrackprämie, daraus erwachsen noch keine neuen modernen Autos, die nächstes Jahr noch Jobs garantieren! Wir sagen: In vier Jahren könnte man mit insgesamt 80 Milliarden Euro eine Million neue Jobs kreieren, wenn man Wirtschaftspolitik wirklich strategisch ausrichtet – an alternativer Energie, am effizienten Umgang mit Energie, und an dem riesigen Bildungsbedarf, den wir haben. Bildung ist eine Frage der Gerechtigkeit und des inneren Friedens.

Wir stehen vor dem größten Schuldenberg der Nachkriegsgeschichte ...

Die Krise, die wir momentan haben, können wir nicht ohne Neuverschuldung lösen. Aber man muss aufhören, Konjunkturprogramme von Herrn Ackermann schreiben zu lassen, der schon wieder auf 25 Prozent Rendite setzt und somit auf Raubbau abzielt. Wir wollen die Automobil-, die Maschinenbau- und die Chemische Industrie umbauen. Dafür muss man erstmal ein paar Euros in die Hand nehmen. Die Frage ist doch: Welche Schulden machen wir, welche Bedingungen stellen wir, damit ein Mehrwert dabei rauskommt? Investitionen müssen auf eine neu ausgerichtete Wirtschaft zielen, mit Produkten, die auch morgen und übermorgen verkauft werden.

Soll das die „neue industrielle Revolution“ sein, die Sie im Wahlprogramm fordern?

Wir wollen einen neuen grünen Gesellschaftsvertrag, das heißt, die Bedingungen verändern, zu denen wir miteinander leben, transportieren und produzieren. Und das heißt: Kein Wachstum auf Kosten anderer. Wir machen uns auf den Weg in ein solares Zeitalter in einer Europäischen Union der Erneuerbaren Energien. Und deshalb müssen mehrere Industriebereiche komplett umgebaut werden. Das Auto der Zukunft beispielsweise ist ein Elektroauto mit Ökostrom, das sich in einem integrierten System mit viel öffentlichem Verehr bewegt. Seine Batterie wird nachts am Netz durch Solarstrom aus Nordafrika oder Wind aus Schottland aufgeladen. Zu Spitzenzeiten wird Energie an das öffentliche Netz zurückgegeben. Das ist eine industrielle Revolution, für die Grün steht.

Müssten Sie den Leuten nicht sehr klar sagen, dass wir in den Industrieländern uns in unserem Wohlstand bescheiden müssten?

Unser Wahlprogramm sagt schon sehr klar, was das Ziel ist: eine veränderte Konsumhaltung und nicht mehr auf Kosten anderer zu leben. Wir machen niemandem vor, dass alles so bleibt wie es immer schon war. Ich will aber auch nicht für Askese sprechen, weil es für ein besseres Leben viele Lösungen geben kann.

Die eine Million Jobs, die wir schaffen wollen, sind die neuen Jobs. Wir wissen auch, dass Stellen abgebaut werden müssen. Im traditionellen Automobilbereich – den wir gar nicht mitgerechnet haben – gibt es jetzt schon 30 Prozent Überkapazitäten. Und die Arbeitsplätze, die noch bleiben, können wir nur halten, wenn wir das Hybrid- und Elek­tro­auto von morgen herstellen.

Ich persönlich kann mich für diese Forderung nicht erwärmen. Ich bin keine Anhängerin eines bedingungslosen Grundeinkommens. Aber ich sehe das bei Kindern etwas anders. Bei Erwachsenen, solange sie erwerbsfähig sind, muss der Staat auch dazu auffordern, dass jemand seinen Beitrag zum Gemeinwesen bringt. Über die Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung wird der Parteitag entscheiden.

Sind die Grünen noch eine linke Partei oder eine der bürgerlichen Mitte?

Eine linke Partei. Aber ich weise darauf hin: links definiert sich nicht mehr in den Kategorien der siebziger und achtziger Jahre. Wir sind eine freiheitlich-linke Partei, eben links vorne. Unsere Vorstellung ist, Transferleistungen zu gewähren wo nötig und dass der Staat Bildung und Ausbildung sicherstellt. Es braucht aber auch Beiträge eines jeden Einzelnen für die Gesellschaft. Wir wollen, dass jedes Kind, jeder Erwachsene die gleichen Chancen bekommt, sich zu entfalten. Und wir sind links, weil wir eine hohe Verantwortung emp­finden hinsichtlich globaler Gerechtigkeit bis hin zur Frage, welches Essen landet auf unseren Tellern.

Nachdem die Ampel von der Partei abgelehnt wird – haben Sie das Ziel, in der neuen Legislatur mitzuregieren, bereits aufgegeben?

Wir machen einen eigenständigen Wahlkampf und wollen einen Politikwechsel bei Gentechnik, Bildung, Klima bis hin zu einer gerechteren internationalen Ordnung. Wir sind bereit für eine Regierung, die genau dies umsetzt. Dass die grüne Basis beim Wort FDP Probleme hat, verstehe ich. Diese Westerwelle-Partei will immer noch Steuern senken und hat die Zeichen der Zeit gar nicht verstanden. Lassen Sie uns erstmal darum kämpfen, dass Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommt und Schwarz-Rot ein Ende hat.

Frau Künast, Sie haben doch einen starken Willen zum Regieren. Viele Koalitionsoptionen bleiben den Grünen nicht. Warum geben Sie kein Signal für ein linkes Bündnis?

Ich streite dafür, dass Grün möglichst groß wird. Die Partei Die Linke hat sich noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, was es heißt, Deutschland in Europa zu sein. Und die das bei den Linken wollten, hat deren Europa-Parteitag aussortiert. Die Linken sagen selbst in Gesprächen, 2009 wollen sie nicht regieren, das würde sie zerreißen. Sie führen auch keine Debatte um ihre eigene Regierungsfähigkeit. Soll ich jetzt über ein Ei reden, das die Henne noch gar nicht beabsichtigt zu legen?

Das Gespräch führte Connie Uschtrin

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Connie Uschtrin

Redakteurin Politik

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