Die "soziale Bewegung" wird professioneller. Zivilen Ungehorsam kann man über die "Bewegungsstiftung" jetzt finanziell fördern
Lose zusammenhängende Gruppierungen, die auf der Straße lautstark protestierend Gerechtigkeit einfordern, nennt man allgemein eine soziale Bewegung: sie tritt nicht als Organisation auf, ist aber sehr wohl organisiert. Es gibt keinen Mitgliedsschein, wer sich zur "Bewegung" zählt, braucht das auch nicht, sondern engagiert sich eben. Dann teilt man die jeweiligen Ziele, seien sie feministisch, ökologisch oder globalisiserungskritisch, unterstützt etwa die clean clothes-Kampagne gegen die Ausbeutung von ArbeiterInnen in Adidas-Fabriken. Aber den Verhältnissen den Boden entziehen? Das scheint passé.
Die grundsätzliche Ablehnung des Systems, die die linke Protestkultur der siebziger Jahre bestimmte, ist heute eher einem Maßhalten gewichen, man beschränkt sich zumeist auf Reformen der Missstände. Die jüngeren, nachwachsenden, in Umwelt- oder Menschenrechtsfragen Aktiven, sind bescheidener und "vernünftiger" als ihre Eltern. Sie haben heute die Fähigkeit, eigene Strukturen zu reflektieren und sind nach außen professioneller geworden.
Protest für finanzierbar zu halten wäre vor 30 Jahren verpönt gewesen. Doch auch hier hat sich etwas geändert: Im März hat sich in Berlin die Bewegungsstiftung gegründet. Sie hat ihren Sitz wie Attac in Verden/Aller in dem Bürokomplex einer ehemaligen Kaserne, einem "Ökozentrum", das verschiedene zumeist ökologisch orientierte Projekte beherbergt. Die Bewegungsstiftung, die eine Art Patenschaft für die soziale Bewegung übernehmen will, profitiert formal von dem im Jahr 2000 reformierten Stiftungsgesetz, welches das Einbringen von Vermögen in Stiftungen steuerlich stark erleichtert sowie deren Gründungen vereinfacht hat. Es passt zusammen, dass der Staat sich zunehmend aus wohltätigen Bereichen zurückzieht und für private Stiftungen ein "Gründungsfieber" anregt.
Beim Fundraising spekuliert die Bewegungsstiftung auf die sogenannte Erbengeneration, die Kinder und Kindeskinder der wohlhabenden Aufbaugeneration der Bundesrepublik, die mit den politischen Ideen der Achtundsechziger sozialisiert worden sind, ein typisches Spektrum, das im Westen der Republik angesiedelt ist. Erbinnen und Erben können ihr Vermögen oder Teile davon der Stiftung übergeben. Die Bewegungsstiftung will dann das Geld anlegen und die Renditen an ökologische, friedens- und entwicklungspolitische Projekte verteilen. Mit der als gemeinnützig anerkannten Stiftung wollen die GründerInnen, selbst bis vor kurzem AktivistInnen, den Finanzierungsschwierigkeiten von politischen Kampagnen etwas entgegensetzen.
Die Bewegungsstiftung möchte aber auch organisieren und koordinieren, etwa eine Brückenfunktion für verschiedene Strömungen haben, so beispielsweise für die versprengten Teile der Friedensbewegung. Die aus der Achtundsechziger-Generation ehemals Aktiven, die sich im Wissenschaftsbetrieb eingerichtet haben, will man wieder an die Bewegung rückbinden. Über die Vergabe von Geldern entscheidet ein Stiftungsrat, der mit mehreren "Patenonkels" und "-tanten" der Bewegung besetzt ist: Bewegungsforscher Dieter Rucht, die feministische Soziologin Gisela Notz und der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter. Außerdem sitzt darin eine Vertreterin der StifterInnen und der als "Bewegungsarbeiter" bereits individuell von der Stiftung geförderte Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay.
Reiner Straßenprotest, bediente er sich auch noch so phantasievoller und medienwirksamer Mittel, kann oft mit den von langer Hand angelegten Projekten und Kampagnen einer Nichtregierungsorganisationen (NGO) nicht mithalten, man denke nur an die breite Wirkung der Landminenkampagne. Will man den politischen Erfolg einer Kampagne, suchen AktivistInnen den Kontakt zu Medien, Kirchen und Gewerkschaften, und man pflegt den Dialog mit Politikern.
Viele NGOs, die sich zur sozialen Bewegung zählen, verfügen über engagiertes und häufig ausgesprochen kompetentes Personal, das effizient und flexibel arbeiten kann. An mancher Stelle werden sie der Regierungspolitik nützlich, wo staatliche Stellen oft zu bürokratisch sind, etwa im Entwicklungshilfebereich. NGOs wirken so nicht selten als das "Gewissen" der staatlichen Politik. Sie üben Kontrolle aus, treiben Reformprojekte voran, weisen auf schlechte Zustände hin - ihre Arbeit "institutionalisiert" gewissermaßen den Protest.
Von der "Basis der Bewegung" müssen NGOs sich den Vorwurf gefallen lassen, der staatlichen Politik und den Parteien zuzuarbeiten, nicht selten gibt es personelle Übergänge von ExpertInnen aus NGOs in politische Ämter. Gerade auch im internationalen Rahmen schmücken sich Verhandlungsrunden gerne mit VertreterInnen aus dem globalisierungskritischen Bereich, um Offenheit zu demonstrieren und den Protest von der Bewegungsbasis zu befrieden.
Obwohl NGOs als Hintergrund den Druck "von der Straße" dringend benötigen (er ist schließlich ihr wichtigstes Kapital), hat ihr Expertentum in manchen Bereichen dazu geführt, dass man den "Profis" das Feld überließ und das Engagement in der Breite abflaute. Eine Polarisierung von NGOs als "staatstragend" und der sozialen Bewegung als "basisnah" zementieren zu wollen, wäre jedoch ein zweifelhaftes Unterfangen.
Mit der Kritik, die NGOs von der radikalen Linken aus der Bewegung erfahren, sieht sich auch Attac, als breites Bündnis das unter anderem aus NGOs besteht, konfrontiert. Kritische Positionen aus dem internationalistischen Spektrum mahnen den fehlende Kapitalismusbegriff von Attac an, worauf Attac-Leute bislang etwas ungefestigt auf die noch im Entstehen begriffenen Debatten verweisen. Die Anlaufphase teilt Attac mit der Bewegungsstiftung. Die will momentan noch verstärkt von sich aus auf Projekte zugehen. Auf ihrer Internetseite findet sich der Hinweis, dass ein Kredit an ein Projekt "anders leben - anders arbeiten" vergeben werden sollte. Doch es meldete sich auch auf Anzeigen kein interessiertes Projekt. Pessimistisch muss man deshalb nicht sein. Der Zuwachs von Attac legt kaum nahe, dass den Onkels und Tanten die Zöglinge ausgehen.
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