Die Partei Podemos entstand als großes Experiment und mit dem Anspruch, „die Empörung in politischen Wandel zu überführen“. Podemos wollte den Schwung von Krisenprotesten und Mobilisierungen für den Sprung in die Regierung nutzen. Drei Jahre später zählt die Partei zu den größten Gruppierungen links der Sozialdemokratie in Europa und ist mit der Parlamentswahl vom Juni 2016 zur drittstärksten Kraft (20 Prozent, 71 von 350 Sitzen) in Spanien avanciert. Dessen politische Öffentlichkeit beschäftigt bis heute ein linker Diskurs – über Energiearmut und einen erhöhten Mindestlohn, über den Widerstand gegen Korruption, über Machismus und mehr Geschlechtergerechtigkeit. Eine kritische Bürgerschaft zwingt die Politik zu ständiger Rechenschaft. Doch gemessen an ursprünglichen Podemos-Ambitionen ernüchtert die Gegenwart. Slogans wie „Syriza, Podemos, venceremos!“ sind passé. Die Parteienlandschaft kam fürs Erste zur Ruhe, und der konservative Premier Mariano Rajoy von der Volkspartei (PP) – „ein Mann mit Elefantenhaut“ (Angela Merkel) – scheint eine der stabilsten Regierungen in der Eurozone zu führen.
Die Chance für den erhofften Wandel dürfte zunächst einmal vertan sein, was Podemos mit zu verantworten hat. Seit dem Parlamentsvotum Ende Juni 2016, bei dem es Podemos trotz vorheriger guter Umfragewerte nicht gelang, die Sozialisten zu überholen, tobt in der Protestpartei der offene Konflikt. Die Kernfrage lautet: Wie geht es mit Podemos weiter, nachdem der Sturm an die Regierungsspitze misslang? Statt dabei eine inhaltliche Debatte zu suchen, wird um Hegemonie gerungen.
Zwei Alphamänner
Die Parteiführung ist für ihre Liebe zu Fernsehserien bekannt, besonders für die zu dem Fantasy-Epos Game of Thrones oder zu Politserien wie House of Cards und Borgen. An ihnen ließen sich Macht- und Herrschaftsdynamiken angeblich gut ablesen. Doch helfen – um den internen Streit bei Podemos nachzuerzählen – eher lateinamerikanische Seifenopern. Zwei jahrelange Freunde, Parteichef Pablo Iglesias und Chefstratege Íñigo Errejón, zwei Alphamänner, intellektuell ambitioniert und machtbesessen, stehen sich an der Spitze verfeindeter Lager gegenüber: Pablistas und Errejonistas. Die einen erkennbar an der erhobenen Faust, die anderen am Victory-Zeichen. Auf der Seite von Iglesias stehen einflussreiche Figuren wie Carolina Bescansa und Juan Carlos Monedero oder die Pressesprecherin Irene Montero. Auf der Seite Errejóns finden sich der ehemalige Spindoktor von Iglesias, Jorge Moruno, der Präsident des parteieigenen Thinktanks Jorge Lago, dazu die Madrider Politikerinnen Tania Sánchez und Rita Maestre.
Was trennt beide Seiten? Für Iglesias und Anhang war das ernüchternde Wahlergebnis von Juni Anlass genug, die Gesamtstrategie zu überdenken. Podemos sei zu lange ausschließlich auf die institutionelle Schiene fixiert gewesen, doch angesichts der jetzigen Mehrheitsverhältnisse sei die parlamentarische Arbeit zu vernachlässigen, gegen das faktische Dreierbündnis der konservativen Volkspartei mit den Sozialisten und den rechtsliberalen Ciudadanos sei nur wenig auszurichten. Dagegen gelte es jetzt, sich stärker in Richtung der Straße zu orientieren. Nur wenn es gelinge, eine kämpferische Zivilgesellschaft zu reaktivieren, könne Podemos langfristig mehrheitsfähig werden. Iglesias schwebt ein Podemos mit starker sozialer Verankerung vor, eine Partei, die sich mit Bewegungen, Vereinen, Gewerkschaften, allen Arten von Graswurzelaktionen zusammentut, um einen „historischen Block“ in der Bevölkerung zu schaffen, wie er einst um linke Volksparteien bestand.
Die Errejonistas sehen das anders. Zwar gestehen sie ein, dass der Weg zur Macht nicht mehr in rapide geführten Wahlkämpfen liege und das Tempo nun langsamer werde. Doch trotz des Übergangs „vom Sturm zur Belagerung“, wie es Errejón in einem Artikel nennt, müsse der Schwerpunkt bei der institutionellen Arbeit bleiben. Im Parlament lasse sich viel bewirken. Errejóns Leitmotiv: Die Partei solle weder die Kooperation mit den Sozialisten noch die mit anderen Oppositionskräften scheuen, um die Minderheitsregierung der Konservativen in die Bredouille zu bringen, ja sogar Gesetzgebung gegen sie zu betreiben. Podemos stehe vor dem Wandel von der Protestpartei zur Regierungsalternative. „Wir müssen zur Möglichkeitsgarantie einer alternativen Ordnung aufsteigen. Man gewinnt nicht, wenn man nur fordert: ‚Die Eliten sollen gehen!‘, sondern indem man denen, die Alternativen wünschen, eine Ordnung anbietet“, so Errejón im Interview mit El Mundo Mitte Januar.
Marsch auf der Straße oder durch die Institutionen? Harte Mobilisierung oder weiche Opposition? Die Strategiedebatte bringt heikle Fragen mit sich. Die Errejonistas verteidigen, dass Podemos weiter auf Populismus setzt, um nicht nur linksalternative Minderheiten, sondern große Bevölkerungsteile anzusprechen. Es braucht mehr, meinen die Pablistas. Für sie mündet der Populismus Errejóns in der Praxis in einem verwässerten zentristischen Diskurs, der allzu harsche Töne meidet, aus Angst, das könne verschrecken – die urbane Mittelklasse und die gut ausgebildeten (prekarisierten) jungen Wähler. Bisher waren sie das Gros der Sympathisanten.
Nach Auffassung von Iglesias stieg Podemos auf, weil es anders als die restlichen Parteien war, weil es nicht davor zurückschreckte, die Empörung in Klartext zu übersetzen – Ausbeutung, Korruption oder Elitenherrschaft beim Namen zu nennen und sich um politische Korrektheit wenig zu scheren. Für Iglesias gilt: Nur eine Transversalität kann radikal sein, die alle Erfahrungen, Äußerungen und Erregungen der Menschen einbezieht, die sie in prekären Verhältnissen erleben. Nur so könne man die unteren 30 Prozent gewinnen, die früher als Arbeiterklasse galten und bisher keineswegs en masse Podemos wählten. „Ein Beispiel: Jemand hält mich auf der Straße an und sagt mir: ‚Bravo, du sagst ihnen die Meinung, Pferdeschwanz.‘ Dieser Mensch hat sicher schon alles Mögliche gewählt. Zugleich besitzt er etwas, was man früher Klassenbewusstsein genannt hätte, wenn man Einkommen, Wohnort und jene gesunde plebejische Ablehnung gegenüber den Eliten heranzieht. Wir müssen uns diesen Sektoren annähern“, sagt Iglesias.
Oft schroffe Töne
Die Zwietracht zwischen beiden Lagern wirkt auch deshalb so unerbittlich, weil internes Machtgerangel eine Rolle spielt. Wer hat im Apparat das Sagen? Die Parteibürokratie ist groß geworden und nicht immer so transparent, wie das geboten wäre. Auch bei Podemos operieren Seilschaften, gibt es Karrierismus und obskure Machtnetze. Es geht um Hunderte von Abgeordneten, um Gelder und Stellen.
Alle Fraktionen sind sich einig, dass parteiintern jetzt eines guttäte: Es braucht Demokratisierung. Podemos war bisher zu vertikal, zu sehr als Wahlkampfmaschinerie konzipiert, was der Führung viel Macht, der Basis aber kaum Spielräume gab. Das soll nun anders werden. Ohne ermächtigte Mitglieder könne die Partei nicht in die nächste Phase treten, heißt es. Es ist die Rede von starker Mitbestimmung, von der Reaktivierung der círculos (Basisgruppen), von einer operativen Entscheidungsgewalt, die von den Schultern des Generalsekretärs auf alle Ebenen übergehen müsse.
Auf dem Papier ist Podemos gut aufgestellt: 450.000 eingetragene Mitglieder zählt die Partei, etwa die Hälfte beteiligen sich aktiv an den häufigen Onlinevoten. Allerdings müssen nicht nur viele círculos Aktive entbehren, die sich abwandten, auch die Stimmung hat sich verschlechtert. Vermisst werden jene euphorischen Anfänge, als bei der Podemos-Gründung im gesamten Land spontane, oft bloß über Facebook organisierte Treffen stattfanden. Hunderte, zuweilen Tausende trafen sich, um über die neue Partei, ihre Ziele und Möglichkeiten zu debattieren und aktiv zu werden. Heute dominieren bei Podemos-Meetings oft schroffe Töne. Unter den Mitgliedern ist vielen unklar, ob das Ideal einer Kraft, die nicht nur Partei, sondern ebenso Bewegung sein möchte, überhaupt eine realistische Option ist.
Ist das Podemos-Experiment gescheitert? Oder steht die Partei vor einer Phase der Regeneration? Im Februar steht in Madrid der zweite Parteitag von Podemos bevor – Vistalegre II. Es werden Antworten erwartet.
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