Glokalisierung Mit der Konstruktion des Trans-Nationalstaats versucht Ulrich Beck in seinem neuen Buch "Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter", eine Antwort auf die Globalisierung zu geben
Die Überflügelung - um nicht zu sagen: die Überwindung - des National-Staates wird von oben vervollständigt, und zwar auf doppeltem Weg durch die supranationalen Gesellschaften und den inter-staatlichen Markt. ". Nein, nicht Ulrich Beck, sondern der französische Sozialphilosoph Henri Lefebvre hat das 1976 geschrieben. Das Thema, an dem sich der Münchener Soziologe in seinem jüngsten Buch versucht, ist also schon länger virulent. Aber Beck ist insofern originell, weil er - statt noch einer Analyse - versucht, eine Antwort auf die Probleme der Globalisierung zu geben. Der "Trans-National-Staat" soll es sein, der uns in die Lage versetzen wird, dieses gefürchtete Monster zu beherrschen.
Seit längerem schon sucht Beck unter der Kategorie "Zweite
ie "Zweite Moderne" einen Begriffswandel beim Verständnis unserer Gesellschaft voranzutreiben. Die Globalisierung scheint ihm dabei nur eine Bestätigung seiner Thesen aus seinem bekannten Werk Risikogesellschaft von 1986, die er 1997 mit Was ist Globalisierung? weiter vorantrieb. Auch in dem stellenweise furiosen Essay Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter schlägt er einen solchen Begriffswandel nicht nur als Forschungsstrategie, sondern auch als politische Strategie vor. Die Wissenschaft und die Öffentlichkeit müssten den nationalstaats-fixierten Blick überwinden, so sein mehrmals variierter Grundgedanke. Nur wer diesen "methodologischen Nationalismus" verlasse, erkenne die Potenziale der Globalisierung. Ausdrücklich schließt Beck hier an die Diskurs-Macht-Theorie von Michel Foucault an, etwa wenn er feststellt, dass schon die Deutungshoheit über die Globalisierung Macht bedeutet. Dagegen müsse die soziologische Imagination sich der Utopie verschreiben und einen "Möglichkeitsraum" eröffnen.Es sei, so argumentiert Beck, nicht unmöglich, den Transnational-Staat als Gegenmacht gegen die Kapitalstrategien aufzubauen. Denn die Wirtschaft sei einfach nur früher auf die Idee gekommen, ihre Macht im digitalen Raum zu etablieren und sich so aus dem Käfig des Nationalstaats zu lösen. Unter unseren Augen sieht Beck schon die ersten Ansätze des transnationalen Staates entstehen, der zwar Souveränität nach innen verliert, dafür aber nach außen gewinnt. Beck möchte, dass sich der Staat aus der Nationalitätsfalle herausbewegt. Eine konkrete, positive Gestaltung dieses transnationalen Staates wäre für ihn der kosmopolitische Staat.Er unterscheidet drei große Akteursgruppen auf der Weltbühne, deren jeweilige Strategien er untersuchen möchte: erstens die Wirtschaft, zweitens den Staat und drittens die transnationale Zivilgesellschaft. Den wichtigsten Part spielen dabei im Augenblick die transnationalen Konzerne. Beck traut ihnen nicht zu, eine humane Welt zu erschaffen. Originell seine Begründung, worauf die Macht der Wirtschaft beruht: sie weigern sich einfach, zu investieren. "Vorsätzliche Nichteroberung" nennt das Beck in einer seiner eigenwilligen Wortschöpfungen. Später nennt er es auch eine Form von Imperialismus. Vollkommen richtig zeigt er, dass die Konzerne sich aus dem sozialstaatlich regulierten Kapitalismus der siebziger Jahre mithilfe einer Strategie des Raumes befreien konnten. Sie haben sich erfolgreich im transnationalen Raum etabliert, in dem es sich qua Steuerfluchtoasen und dem Ausnützen der Steuerkonkurrenz der Staaten gut verdienen lässt. Derweil kämpfen die Staaten verzweifelt darum, nicht abgekoppelt zu werden vom Weltmarkt.Auf die nahe liegendste Strategie, so Beck, komme leider kaum jemand: Die Staaten müssen kooperativ werden, um wieder souverän zu sein: die Transnationalisierung erscheint als Machtgewinn, weil nur so die scheinbare grenzenlose Macht des Kapitals gezähmt werden kann. Weil der Neoliberalismus darauf keine Antwort geben kann, hält Beck seine Zeit für abgelaufen. Beispiele für die Transnationalisierung sind nach Beck die Europäische Union, aber auch die neue Afrikanische Union oder verschiedene Überlegungen in Asien, eine solche Union zu gründen. Der Weltmarkt, so sieht es Beck, kann nämlich nicht ohne die Staaten auskommen. Nur dieser kann die kostbare, seltene Ressource Legitimation zur Verfügung stellen. Ohne ihn zu nennen, wiederholt Beck Antonio Gramscis Theorem, demzufolge alle Macht auf Konsens beruht. Die Frage der Legitimation spielt auch für die Rolle der Zivilgesellschaft, besonders der Nicht-Regierungsorganisationen, eine wichtige Rolle. Sie ermächtigen sich selbst, und treten als Weltanwälte für die Menschenrechte (Amnesty International), die Umwelt (Greenpeace) oder soziale Gerechtigkeit gegen den schrankenlosen Zugriff der Finanzmärkte (attac) auf. Es bleibt aber nicht nur bei der Moral, laut Beck besitzen sie auch eine sehr scharfe globale Waffe: sie können nämlich nicht-konsumieren. Die Schärfe dieser Waffe werde zwar durch die Schwierigkeit abgeschwächt, das "Nicht-Kaufen von Nicht-Mitgliedern" dauerhaft zu organisieren. Aber zugleich ist die Schwäche eine Stärke, denn Nicht-Mitglieder können grenzüberschreitend überall zuschlagen.Im neuen transnationalen Raum sind so nach Beck längst neue Spielregeln entstanden, es ist zur Glokalisierung gekommen, auf die eine kosmopolitische Einstellung die richtige Antwort ist, so eine weitere These. Mit den Stoikern beschreibt der Soziologe diese Einstellung als "im Ort sein und Flügel haben" - so etwas wie eine doppelte Heimat für alle. Beck ist überzeugt davon, dass es längst die globalisierten Individuen gibt, die international arbeiten, wirtschaften, konsumieren und lieben. Deshalb gehorchen "politische Identitäten und Loyalitäten nicht mehr dem Gebot der nationalen Loyalitäts-Monogamie". Diese Menschen könnten seiner Meinung langfristig die Träger einer Koalition sein zwischen "vermeintlichen "Verlierern" der weltwirtschaftlichen Öffnung (Gewerkschaften, Umweltschützern, Demokraten) und ihren Gewinnern (Konzernen, Finanzmärkten, Welthandelsorganisation, Weltbank etc.) eine Koalition, die zu einer "kosmopolitischen Erneuerung der Demokratie" führen könnte. Denn Beck ist überzeugt: "Nur die kosmopolitische Erweiterung von Staat, Politik und Demokratie vermag die Gewinninteressen der Unternehmern langfristig zu gewährleisten." Beck plädiert durchaus sympathisch für eine "kosmopolitische Linke". Er behauptet vollmundig, dass nach dem Niedergang der "großen Ideen der europäischen Moderne", wie Nationalismus, Kommunismus und auch Neoliberalismus ein "selbstkritischer Kosmopolitismus" die nächste große Idee sein könnte.Die große Stärke seines Versuchs einer "Neuen weltpolitischen Ökonomie" besteht darin, die Akteursseite zu betrachten. Andere reden nur abstrakt über Globalisierung, Beck redet von den konkreten Menschen, die Macht oder vor allem Gegenmacht ausüben. Er schreibt für letztere, er versucht sie herbeizureden. Und natürlich kann niemand leugnen, dass mit der neuen globalisierungskritischen Bewegung, dem Weltsozialforum von Porto Alegro oder den weltweiten Friedensdemonstrationen tatsächlich eine eindrucksvolle transnationale Zivilgesellschaft im Entstehen ist. Ob das tatsächlich schon zu einer wirklichen "kosmospolitischen" Gegenmacht führt, bleibt abzuwarten. Und konkrete Aufgaben weist er diesem Akteur auch nicht zu. Bei Beck bleibt es zunächst beim Nicht-Konsumieren und moralischen Anklagen.Viel wichtiger schätzt er den Akteur Staat ein, der seine "Löwenmacht" entfalten könnte, wenn er sich nicht mehr in der Konkurrenz untereinander ausspielen lässt, sondern kooperieren würde. Zurecht weist Beck darauf hin, dass ein neuer transnationaler Raum entstanden ist. Leider kann er aber nicht präzise erklären, wie dieser genau beschaffen ist, denn es fehlt ihm leider der Begriff des sozialen Raums, wie er in Folge des oben genannten Henri Lefebvre im angelsächsischen Diskurs seit langem diskutiert wird. So spricht Beck von der Abschaffung des Raums durch die Zeit in Anschluss an David Harvey, ohne zu bedenken, dass Raum selbstverständlich nicht abgeschafft werden kann. Es fehlt ihm leider die klare Unterscheidung von Raumform und konkretem Raumregime, zum Beispiel eben dem des Nationalstaates. Zu Recht moniert Beck die "Ahistorizität und Abstrakheit des Staates und Staatesbegriffes" und folgt damit dem Denken von John Agnew und Stuart Corbridge, die 1997 mit "Mastering space" die Theorie des nationalen Containers kritisiert hatten. Denn dieser theoretische Blickwinkel kann Globalisierung nur als Niedergang des Staates, weil Niedergang des Nationalstaats begreifen. Agnew und Corbridge selbst folgten dabei wiederum bezeichnenderweise dem Raumbegriff von Henri Lefebvre. Beck ist hier nicht konsequent genug, wenn er auf der einen Seite das Kapital als vollkommen ortlos darstellt, andererseits aber moniert, dass die Exterritorialität des Kapitals nur die halbe Wahrheit sei, denn "wer hier sein Geld abzieht, muss es dort investieren. Kapital muss also immer irgendwo Wurzeln schlagen, sich "lokalisieren". Beck vergisst schlichtweg, dass das weltweite Ausbreiten der Staatsform, von Lefebvre vor 25 Jahren als Globalisierung des Staates beschrieben, erst den Rahmen setzt für Kapitalinvestitionen. Ein anderes Beispiel für Becks Begriffsunschärfe: Seine Aufteilung der Linken und der Rechten missfällt ihm selbst. Eine "kosmopolitische Rechte" sei ein Pleonasmus. Da hilft dann auch keine saloppe Formulierungshilfe bei Ernst Jandls "lechts und rinks".Manche analytische Ungenauigkeit ist diesem etwas lang geratenen Essay zu verzeihen, weil Beck versucht, endlich einmal Antworten auf den Klagegesang über die Ohnmacht gegen die Globalisierung zu geben. Er will die Akteure ermutigen. Doch die Kardinalschwäche liegt ganz woanders: Reicht es, sich einfach auf der Analyseebene zu globalisieren, um damit die Globalisierung zu beherrschen? Kommt es nur darauf an, die Welt richtig zu interpretieren, um sie zu verändern?Ulrich Beck: Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue Politische Ökonomie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, 472 S., 20 EUR
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