Noch keine Weichenstellung

Deutsche Bahn Halbherzige Rückbesinnung auf die Kunden nach gescheiterten Börsenträumen

Es sei ein gutes Jahr gewesen, sagt der Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn auf der Bilanzpressekonferenz. Und meint 2002, obwohl die Deutsche Bahn AG 493 Millionen Euro Verluste eingefahren hat. Man fragt sich, wie dann ein schlechtes Jahr aussieht. Vielleicht wie 2003 bisher: erst Unzufriedenheit mit dem neuen Preissystem "Plan Spar" bei Medien und Politik, dann Streiks der Gewerkschaften, schlechtes Wetter, ständige Ausfälle der neuen Züge und schließlich die Entlassung von zwei Vorständen, die maßgeblich für das neue Preissystem zuständig waren.

Eine prinzipielle Überprüfung des gesamten Systems bis Herbst wurde angekündigt, gleichzeitig jedoch erteilte Mehdorn der Wiedereinführung der alten BahnCard mit 50 Prozent Ermäßigung auf alle Preise eine Absage. Ali Schmidt dagegen, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen und bis Dezember letzten Jahres noch im Aufsichtsrat der DB, hält die BahnCard für unverzichtbar. Ohne sie, so fürchtet er, sei ein nochmaliger Kundenschwund zum 14. Dezember 2003 wahrscheinlich, denn an diesem Tag laufen die letzten alten BahnCards aus. Überhaupt habe man alles getan, um die Kunden zu vergraulen. Vor allem das "Plan"-System, das Frühbucher belohnt, aber auf eine bestimmte Zugverbindung festlegt, wurde nicht angenommen.

Das hat nun auch das Management auf mehr oder weniger sanften Druck der Politik erkannt, nachdem ein halbes Jahr lang nur von schlechter Konjunktur und schlechtem Wetter als den Gründen für den Umsatzrückgang von 14,9 Prozent gesprochen wurde. Immerhin ein Fortschritt findet Daniel Kluge, Sprecher des Verkehrsclub Deutschland, denn man habe die Blockadehaltung endlich aufgegeben. Nun müsse man die Konsequenzen aus den Fehlern ziehen, fordert der Chef der Bahnergewerkschaft Transnet, Norbert Hansen. Denn "eine Personalentscheidung löst noch kein Problem". Auch der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn Karl-Peter Naumann kann nicht mehr als "einen Schritt in die richtige Richtung" erkennen.

Trotz vehementer Rücktrittsforderungen hält die Bundesregierung an Mehdorn fest. Ob er nun, wie Gerüchte behaupten, direkt beim Kanzler vorstellig wurde oder nicht - sein Vertrag wurde jedenfalls vorzeitig bis 2008 verlängert. Gewerkschaftschef Hansen hält ihn für "lernfähig". Daran will auch die grüne Bahn-Aufsichtsrätin Margareta Wolf glauben, denn Mehdorn habe im Aufsichtsrat einen "Paradigmenwechsel zu mehr Kundenfreundlichkeit" angekündigt. Transnet fordert deshalb von der Bahn einen "Service-Aufbruch". Von den 35.000 Stellen, die nach der Planung des Vorstands gestrichen werden sollen, will Transnet deshalb auf jeden Fall 3.000 erhalten, vor allem in den Reisezentren, bei der telefonischen Bahnauskunft und beim Bordservice.

Wenn die Deutschen Bahn tatsächlich mehr Kundenfreundlichkeit und mehr Service bieten will, müsste sie nicht nur handwerkliche Fehler beseitigen, sondern grundsätzlich ihren Kurs überdenken. In der Vergangenheit wähnte man den Luftverkehr als Hauptkonkurrenten und konzentrierte sich auf die angeblichen Hauptstrecken, ohne zu bedenken, dass 90 Prozent der Fahrten im Nahverkehr bis 50 Kilometer stattfinden. Die Systemvorteile der Bahn, die gerade im spontanen Fahren liegen, gingen verloren, und so wurde die Bahn gerade nicht das, was sie hätte sein können - eine attraktive Alternative zum Auto. Statt solche Marktbedürfnisse angemessen zu berücksichtigen, konzentrierte sich der Vorstand auf Fernverbindungen im Personen- und Güterverkehr und auf teure Neubaustrecken für Geschäftskunden. Andere Fahrgäste dagegen warteten vergebens auf Verbesserungen, etwa die Beseitigung der nach wie vor bestehenden 2.000 Langsamfahrstellen. Stattdessen nutzte man das Elbehochwasser, um einige Nebenstrecken nicht mehr aufzubauen. Auch die Personalentlassungen der vergangenen, bei Lokomotivführern und beim Reparaturpersonal, verlangen ihren Tribut. Betroffen sind besonders die 36 bundesdeutschen Verknüpfungspunkte, die immer wieder für Verspätungen sorgen.

Statt diese Probleme ernsthaft anzugehen, wollte man offenbar die Kunden den Bedürfnissen der Bahn anpassen. Das neue Preissystem sollte vor allem der optimalen Auslastung der Züge dienen und nicht den Wünschen der Reisenden. Die beiden verantwortlichen Vorstände kamen von der Lufthansa und übertrugen phantasielos die dort gelernten Rezepte auf einen völlig anderen Verkehrsträger. Die Vorteile eines großen, gut getakten Netzes, in dem Verkehrsleistung vorgehalten wird, wurden systematisch missachtet, weil weder Politik noch Management die eigentlichen Aufgaben der Bahn begriffen. Stattdessen ging es seit der Bahnreform 1994 immer wieder darum, mit aller Macht ein börsentaugliches "Unternehmen Zukunft" entstehen zu lassen. Daraus dürfte nun auf längere Sicht nichts werden. Das gescheiterte Preissystem zeigte überdeutlich den Widerspruch zwischen betriebswirtschaftlichem Gewinnstreben und gesellschaftlichem Auftrag. Transnetchef Hansen will nun beides versöhnen und verlangt vom Bund eine mehrjährige Garantie für die Mittel zur Erhaltung und zum Ausbau der Infrastruktur sowie sogenannte Regionalisierungsmittel über den bisher zugesagten Zeitraum bis 2007 hinaus. Denn: "Die Bahnreform war mit verkehrspolitischen Zielen verknüpft, die dürfen mit dem Börsengang nicht über Bord geworfen werden."

Dass es auch anders geht, beweist die Schweizer Bahn (SBB), die 1998 ebenfalls privatisiert wurde. Sie erzielt Gewinne, der Durchschnittsbürger fährt mehr Kilometer, und sie ist gleichzeitig auch noch billiger. Auf teure Neubaustrecken wurde verzichtet und auf Streckenstillegungen ebenfalls. Auch der private Konkurrent Connex zeigt inzwischen auf zwei Strecken im Osten der Republik, was möglich ist: besserer Service bei niedrigeren Preisen, wenn auch mit etwas längerer Fahrzeit. Bezeichnenderweise beides Strecken, die früher Interregio-Verbindungen waren. Wenn die Deutsche Bahn die Lehre aus diesen Alternativen versteht, wenn sie endlich "wieder fährt, anstatt zu fliegen", wie Ali Schmidt witzelt, dann kann 2004 ein gutes Jahr für die Bahn werden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden