Es gab einmal eine Zeit in Amerika, in der Fotografen wie fahrende Ritter in den Höfen der Mächtigen ein und aus gingen. Sie wurden bestellt, um dem Volk ein Bild von seinen Herrschern zu malen, das nicht selten über Aufstieg und Fall entschied. Steve Schapiro war einer dieser Edelmänner. Heute sitzt er in der hauseigenen Bibliothek der Berliner Galerie „Camera Work“, trägt ein Paar abgelaufene Segeltuchschuhe und eine Bundfaltenhose, die aus den achtziger Jahren stammen könnte. Er eröffnet seine Ausstellung „Heroes“. Die bunten Muster seiner Seidenkrawatte vermengen sich auf irritierende Weise mit der Bücherwand hinter ihm, was das Bild, das er abgibt, ein wenig tanzen lässt.
Der Freitag: Mr. Schapiro, ich habe mal eine berühmte Fotografin beleidigt, als ich ihr sagte, dass mich ihre Kamera fast mehr fasziniert hatte als ihre Aufnahmen. Würde es Sie beleidigen, wenn ich sagte, dass mich die Menschen, die Sie fotografiert haben, mehr beeindrucken als die Fotos?
Steve Schapiro:
Nein, denn ich hatte das Glück durch meine Arbeit für Life Magazine eine Reihe von Persönlichkeiten zu fotografieren, die später wichtig wurden – sei es in der Politik, Literatur oder in den darstellenden Künsten. Letztlich ist eine Kombination aus Zufall und persönlichem Interesse. So bekam ich einmal den Anruf von Sports Illustrated, die mich baten, Muhammad Ali für sie zu fotografieren, der damals noch Cassius Clay hieß ...
In Ihrem Buch
Als junger Fotograf machte ich einfach meinen Job, auch wenn ich fasziniert war von den Personen. Dass diese Fotos vierzig oder sechzig Jahre später noch betrachtet würden, daran dachte ich nie. Die Menschen in Heroes wurden alle bereits während ihrer Zeit gefeiert, und deshalb war man auch als Fotojournalist hinter ihnen her.
Es ist also vielmehr erstaunlich, dass sie nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt haben?
Ihr Einfluss reicht bis in die Gegenwart – das passiert nicht gerade vielen Menschen, und ich bezweifle, dass es in unserer heutigen Zeit überhaupt noch möglich ist. Nehmen Sie Martin Luther King Jr., es gibt niemanden, der seinen Platz einnehmen könnte. Und es gibt keinen Politiker, der so vielversprechend ist, wie es Bobby Kennedy einst war. Ich hatte das Glück Menschen fotografieren zu können, die uns heute noch inspirieren und für deren Lebensleistung wir großen Respekt empfinden.
Hatten Sie eine Idee davon, wie Sie diese Menschen darstellen wollten?
Meistens versuchte ich meine vorgefasste Meinung über die zu fotografierende Person zurück zu drängen, um unvoreingenommen in die Termine gehen zu können.
Wie muss man sich das vorstellen?
Einmal bekam ich vom
In dem Fall von Magritte könnte man ja fast schon von einer Kollaboration sprechen …
Wenn man mit Menschen arbeitet, die ein hohes Maß an Energie und Talent haben, geht es im Grunde gar nicht anders, als dass man bewusst oder auch unterbewusst kollaboriert. Für einen Moment wird man zu besten Freunden, obwohl man sich nach Abschluss der Session niemals wieder sieht. Heute ist solch eine Kameradschaft zwischen Fotografen und Modell kaum mehr möglich, da PR-Leute durch ihre bloße Anwesenheit die Szenerie kontrollieren.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Bobby Kennedy beschreiben? Die Fotos, die Sie an einem Weihnachtsmorgen gemacht haben, zeigen die Familie in den intimsten Momenten: Das Wohnzimmer ist von den vielen Geschenken eingenommen, die Kennedys machen sich in Schlafanzüge gekleidet darüber her – als wäre kein Fotograf anwesend gewesen.
Oftmals versucht man, die Fliege an der Wand zu sein, der stille Beobachter. Damals habe ich allerdings auch immer mit einem Reporter zusammengearbeitet, der die Aufmerksamkeit mit seinen Fragen auf sich zog. Dadurch hatte ich den Freiraum, die besten Perspektiven zu finden und die emotionalen Momente einzufangen. Ich wollte die Personen immer in ihrer Welt zeigen.
Wie ein Spiegel und nicht wie eine Kristallkugel?
Man ist auf der Jagd nach der Seele einer Person und man folgt der Spur, die zu ihren unverwechselbaren Eigenschaften führt. Und doch ist es manchmal wichtig, den Menschen nicht ganz zu verstehen, den man da vor sich hat. Jacky Kennedy war zum Beispiel stets ein Mysterium für mich, oder aber Andy Warhol, der für jedes Bild seinen Zeigefinger an die Schläfe legte – was hat er sich dabei gedacht? Ich kann es nicht sagen, aber eben diese Fragen bewirken, dass man sich die Bilder wieder und wieder anschauen möchte.
Hat die Digitalisierung der Fotografie Ihrer Ansicht nach auch zu der Entmystifizierung des Moments, in dem ein Foto entsteht, beigetragen?
Die Art zu kommunizieren verändert sich ständig. Als ich ein Kind war, wurden Fotos mit riesigen Automaten mit Kolbenblitzen gemacht, nach jedem Bild musste man die Birne wegwerfen. Danach kamen die kleinen Kameras mit Film, danach die digitale Fotografie, und jetzt scheint es mir, als dass die Kamera bald komplett überflüssig wird, denn nun gibt es das iPhone, das so viel praktischer und leichter ist als jede Kamera. Bedenklicher finde ich, dass heutzutage kaum noch jemand in Schwarz-Weiß fotografiert, denn meinem Empfinden nach transportieren diese Aufnahmen Emotionen besser als Farbfotos.
Wann haben Sie ihre erste Aufnahme gemacht?
Mit neun Jahren im Ferienlager. Später lief ich durch die Straßen von New York und machte Aufnahmen von den verschiedensten Situationen. Ich verehrte Henri Cartier-Bressons Buch Decisive Moment und versuchte mühselig, nach seinem Vorbild zu fotografieren. Mein großer Traum war es, ein Life-Magazine-Fotograf zu werden – ein Traum, den wohl jeder junge Fotograf meiner Generation mit mir teilte.
Sie haben dann unter Eugene W. Smith Fotografie studiert. Wie beeinflusste er Sie?
Für junge Fotografen ist es wichtig, die Geschichte der Fotografie zu begreifen. Denn es ergibt keinen Sinn, Bilder zu machen, die bereits existieren. Die Welt braucht keinen zweiten Bresson oder Bill Brend – ihre Fotos sind bereits gemacht. Wir müssen unserer Einzigartigkeit auf den Grund gehen. Für einen Fotografen ist es wichtig, diesen einzigartigen Blick auf die Welt auszubilden.
Haben sie eine persönliche Erfahrung gemacht, die diese Erkenntnis widerspiegelt?
Ich kann es Ihnen mit dem "Thelma March", einem Protestmarsch der Civil Right Bewegung, verdeutlichen: Drei Fotografen waren vor Ort, um die Ereignisse zu dokumentieren. Auf dem Umzug gab es einen Mann, der sein Gesicht weiß angemalt hatte und das Wort "Vote" auf seiner Stirn geschrieben trug. Der erste Fotograf, Bruce Davidson, machte eine szenische Aufnahme von dem bemalten Schwarzen, auf der Straße mit einer amerikanischen Flagge im Hintergrund und einem weiteren Protestierenden neben ihm. Dieses Motiv wurde später für eine US-Briefmarke verwendet. Der zweite Fotograf war Jim Carolas, der für Look Magazine arbeitete. Er schoss sein Bild des Jungen, als dieser direkt vor der Flagge stand. Es wurde später Aufmacher einer großen Ausstellung des High Museums über die Civil Right Bewegung.
Der dritte Fotograf waren Sie?
Ich wählte einen sehr engen Bildausschnitt des Gesichtes des jungen Mannes, denn ich war mehr interessiert an der Symbolik dieser Aussage als an dem Umzug als Ereignis. Alle drei Aufnahmen wurden innerhalb weniger Minuten gemacht, aber jeder der Fotografen hatte einen eigenen Ansatz.
Hatte Ihre Arbeit Einfluss auf Ihre politische Haltung?
Die sechziger Jahre waren politisch gesehen an sich eine aufregende Zeit. John F. Kennedy kreierte etwas, das man eine Aura der Exzellenz nennen könnte, er suggerierte den Menschen, dass sie es besser machen können. 1964 schrieb das Esquire Magazine, dass die Ereignisse der vergangenen vier Jahre so zahlreich waren, dass man bereits von einer Dekade sprechen könnte. Genauso habe ich diese Zeit erlebt. Es sind gute und schlechte Dinge passiert, aber es war eine sehr aufregende Zeit.
In Europa gehen derzeit zahlreiche Studenten auf die Straße, um gegen die gesellschaftliche Perspektivlosigkeit ein Zeichen zu setzen. Ähnelt das den Protesten in den sechziger Jahren?
Im Zuge der Krisen der vergangenen Jahre fanden Unternehmen heraus, dass sie im Grunde auch mit weniger auskommen können – vor allem weniger Angestellten. Wir erleben die absurde Situation, dass viele Firmen Geld zur Verfügung haben, es aber nicht investieren wollen. Die Autoindustrie war in enormen Schwierigkeiten, bis Barack Obama ein Programm ausgearbeitet hat, das sie vor dem Untergang gerettet hat, mit dem Ergebnis, dass die Autoindustrie weniger Arbeiter braucht als vorher.
Kein Nährboden für Helden?
Helden sind Menschen, die Lösungen für derartige Probleme finden. Doch Amerika befindet sich derzeit in einem sehr merkwürdigen Zustand. Die Massenmedien haben eine neue Spezies von Kommentatoren hervorgebracht, die ungehindert die abstrusesten Ansichten verbreiten und Hetzkampagnen von Figuren wie Sarah Palin oder aber der Tea Party anfeuern, anstatt objektiv über sie zu berichten. Sie wollen Obama stürzen, sie wollen den Demokraten schaden, sie wollen zurück an die Macht.
Ihr Interesse gilt also nicht der Verbesserung der Lage Amerikas?
Leider nein. Und so stagnieren wir. Obama hatte einige großartige Ideen, aber im Vergleich mit Bobby Kennedy muss ich sagen, dass letzterer der bessere Politiker war. Er hatte Intelligenz, Mitgefühl und wusste, wie man mit Charisma das Spiel der Politik spielt. Obama hat Intelligenz und Mitgefühl, aber seine Art, Politik zu machen, ist leider alles andere als überzeugend.
Man braucht aber alle drei Komponenten, um ein guter Politiker zu sein?
Ich denke schon. Obamas Ideen zur Reformierung des Gesundheitssystems waren großartig und es fanden sich viele Befürworter. Doch er hat es niemals verstanden, sein Vorhaben so zu kommunizieren, dass es den Leuten begreiflich wurde. Es fehlt ihm einfach an Überzeugungskraft. Wir Amerikaner haben es immer respektiert, wenn sich jemand hinstellt und ruft: ‚Wir werden dieses Land besser machen, und das ist der Plan: Wir bauen die Solarindustrie auf, wir holen unsere Fertigungsstätten aus China zurück, geben unseren Leuten wieder Arbeit und wir beschließen ein Gesetz, das die Krankenversicherung aller Bürger sicherstellt.‘
Warum müssen Sie da lachen?
Er redet so einfach nicht.
Ist Ihnen heute schon ein Hero über den Weg gelaufen?
Wollen Sie mein Hero sein? Im Ernst: Ich sehe täglich viele Helden. Idealistische Menschen, die mit ihren Taten zum Wohl der Allgemeinheit beitragen, sind grundsätzlich Helden. Dazu muss man keine Berühmtheit sein.
Das Gespräch führte Corinna Koch, Bildredakteurin des Freitag. Beleidigt hat sie 2007 während eines Praktikums beim New Yorker die Fotografin Mary Ellen Mark.
Der Fotograf Steve Schapiro und sein Werk
So nahe der Fotograf Steve Schapiro den Menschen bei seinen Aufnahmen gerne kommt, so weit hält er die anderen lieber von sich entfernt: Über das Leben von Steve Schapiro ist nicht sehr viel Privates bekannt. Er konzentriert sich in der Außendarstellung lieber auf seine künstlerische Arbeit. Im Alter von neun Jahren machte er sein erstes Foto. 1961 begann der 1934 geborene Schapiro seine Karriere als Fotojournalist vor ihm lag ein Jahrzehnt, das nicht nur politisch aufregend werden sollte, sondern auch aus fotografischer Sicht: Es ging als Golden Age in Photojournalism in die Geschichte ein.
So begleitete Schapiro 1968 Robert F. Kennedys Wahlkampf und berichtete vom Attentat auf Martin Luther King, Jr. Sein gesellschaftspolitisches Interesse galt jedoch nicht nur bedeutenden Personen der Zeitgeschichte wie Muhammad Ali, Andy Warhol, Ray Charles, Samuel Beckett oder Truman Capote. In der New York Times veröffentlichte er auch Fotoreportagen, zum Beispiel über die soziale Situation und schwierigen Arbeitsbedingungen von Migranten in Arkansas.
In den Siebzigern begann er, sich auch für Hollywood zu interessieren und schuf bis heute unvergessliche Setaufnahmen von Produktionen wie Der Pate oder Taxi Driver. Sie vermitteln nicht nur die Atmosphäre der Dreharbeiten, sondern fangen eine faszinierende Welt zwischen Fiktion und Realität ein.
Zur Zeit sind Bilder aus Schapiros Heros-Reihe sowie seiner Set-Aufnahmen noch bis zum 19. November in der Berliner Galerie Camera Work zu sehen. SL
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