Eine Umarmung von zwei betörend kokettierenden Clown-Weibchen war wahrscheinlich das letzte, was er an diesem Samstagmorgen in Kopenhagen erwartet hatte. Aber dass ein Dänischer Polizist noch nichts weiß von den neuesten Trends in Sachen Klima-Protest, ist möglicherweise entschuldbar. Er trägt blauschwarz, vom Scheitel bis zur Sohle. Die schmal geschnittene Hose sitz eng auf den Hüften und wird von dem breiten Bund der Blouson Jacke eingefasst. Schulterpolster möbeln das Kreuz auf, Manschetten und Abzeichen liegen nicht nur voll im Trend der 80er Jahre Retro-Mode, sondern definieren auch das Lager, zu dem dieser Herr gehört. Das Haupt wird von einem Manga-artigen, futuristischen Helm gekrönt, ein wahrhaft modisches Statement, das die Polizei dieser Tage in Kopenhagen abgegeben hat.
Bei den jungen Damen hingegen handelt es sich um zwei von rund 30.000 Demonstranten, die sich nicht in der üblichen Manier als Teil von Massenformationen durch die Stadt wälzten, Parolen riefen und sich hier und da fest ketten ließen. Sie sind Teil einer jungen Bewegung, der 2003 in England gegründeten Clandestine Insurgent Rebel Clown Army (CIRCA). Laut deren Manifest verleiht das Clownskostüm dem Träger ein wesentliches Attribut: Es macht ihn klandestin, also gewährt aktionistische Freiheit durch Anonymität. Ansonsten kämpfen die Clowns nicht für die große Sache, sie wollen nicht die Welt verändern, sondern sie wollen ihre Welt verändern, also ihre gelebte Realität selbst bestimmen – und Spaß dabei haben. Das macht sie wiederum zu geläuterten Rebellen, die aufgegeben haben an einen allgemeingültigen Gesellschaftsentwurf zu glauben. Sie wollen für Gewaltfreiheit stehen und auch niemandem Ihre Meinung aufzwängen, sondern lediglich zeigen, dass sie da sind, dass sie noch nicht kapituliert haben vor der Welt, sondern begonnen haben über sie zu lachen.
Neben den Clowns rückten in Kopenhagen weitere Protest-Spezien ins Bild: Eisbären, Koalabären, Blumenmädchen, Froschmänner und Cyber-Hexen, um nur einige zu nennen. Ihr aller Ziel scheint die modische Umsetzung des politischen Gedankengutes zu sein, gepaart mit der Individualität der eigenen Persona, und dessen Manifestation. Die kreative Gestaltung von romantisch konnontieren Umweltaktionen dient dieser Gruppen als Handwerk, auf kunstfertige Umsetzung wird größter Wert gelegt.
Das Kostüm, und ganz besonders das Kostüm des Clowns, ist aber auch ein Schutzschild und eine Carte Blanche für denjenigen, der jung ist und noch nicht ganz sicher ist, wie ein solcher Tag des Protests enden wird. Ob er bei all dem eine bella-fugura machen wird – oder nicht. Die zarten Ausprägungen des Peinlichkeits-Empfinden in diesen Jahren und die allgemeine Verurteilung und Abstrafung einer begangenen Peinlichkeit dürfte jedem von uns noch in schmerzhafter Erinnerung verblieben sein. Das Kostüm kann andererseits eine Art Lebensversicherung sein, wenn es zu einem Zusammenstoß mit der Polizei oder anderen Protestanten kommt, denn wer schlägt schon einen Clown?
Diese jugendliche Unsicherheit der Klima-Clowns erinnert an die in den neunzier Jahren in den Ghettos von Los Angeles entstandenen Bewegung des "Clowning". Einige Ex-Gangmitglieder haben sich dort die lächerliche, beziehungsweise in jener Gesellschaft wahrscheinlich eher als "uncool" zu bezeichnende Clowns-Kostümierung angelegt und ein von allen Fessel des cool befreites Tanzfieber unter Jugendlichen ausgelöst, was auch im HipHop zu einigen bemerkenswerten Neuerungen führte. Seither ziehen sich immer mehr Jugendliche in South Central freiwillig bunte Satain-Overalls an und bemalen sich die Gesichter mit Blumen und Fantasievögel, um sich in diesem Aufzug in einem ekstatischen Tanz aneinander zu messen. Weitere Artverwandte des sanften Clowns könnten sein: Bill von Tokio Hotel, der seine exponierten Outfits mit einer gewissen Selbstironie trägt; Gelsomina aus Fellinis La Srada, die sich erst nach Aufsetzen des Zylinders vor Publikum ein Liedchen preis zu geben traut; und natürlich Pokemon.
In Erinnerung gerufen werden aber auch Bilder und Figuren aus Fiktionen der Popkultur, in denen der Charakter des Clowns einen bedrohlicheren Einschlag hat: Alex und die Droogs aus Kubricks A Clockwork Orange zum Beispiel, bei denen der Sexy-Silly Clownsaufzug ein Überschwappen des Freiheitstriebes symbolisiert – besonders in Sachen Sexualität. Oder das durchgeknallte Tank-Girl sowie Batmans dunkler Counterpart Joker, der wiederum den selbstzerstörerisch- existenzialistischen Clown mimte, der bei der jüngsten Batmancomic-Verfilmung The Dark Night aller Welt gezeigt hat, wer hier überhaupt der König der Herzen ist.
Sich einen lächerlich wirkenden Aufzug anzulegen, gefällt im Grunde jedem Jugendlichen. Der tölpelhafte Aufzug kaschiert, so die Hoffnung, das tölpelhafte Benehmen – bei den Guten ebenso wie bei den Bösen. In Zeiten des Leistungsdrucks und der Erfolgs-Hörigkeit in unserer Gesellschaft ist anscheinend ein Clownskostüm von Nöten, um ungestraft etwas verändern zu wollen.
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