Du sollst kein Bild machen

Nicht in Berlin Wer sich eine Weile in Westafrika aufhält, wird leicht vom Voodoo mitgerissen
Ausgabe 42/2015

In der fast unerträglichen Mittagshitze betreten wir Ouidah. Früher legten in der Hafenstadt an der Atlantikküste von Benin Sklavenschiffe an. Ouidah, einst auch Königssitz, war das Zentrum für den Menschenhandel nach Amerika. Und hier wurde der Voodoo geboren. Der Spirit der Sklaven kam uns auf unserer Reise durch das eintönige, platte, westafrikanische Land immer näher.

Zuerst war da diese Beerdigungsprozession im Norden Togos, von der wir glaubten, sie sei ein Karnevalsfest, bis wir den mächtigen Sarg sahen, der an der Spitze des Zugs von ein paar hübschen Männern getragen wurde. Wir liefen mit, tanzten und nahmen vom Selbstgebrannten, den man uns anbot. Wir schritten hinauf zum heiligen Berg, wo ein Huhn geköpft wurde, Frauen singend die Hüllen fallen ließen und die Prinzen und Könige des Dorfs dem Toten Spalier standen. Anschließend wurde der Tote wieder vom Berg geschleppt. Auf einem staubigen Dorfplatz versammelten sich hunderte Menschen und kreisten um den Sarg. Dieser Clash mit dem Tod wirkt elektrifizierend. Das Sterben als gesellschaftliches Ereignis.

Gut fürs Geschäft

„Wo geht es zur nächsten Voodoo-Performance?“, fragen wir im Touristenbüro von Ouidah. An den Wänden hängen abstrakte Malereien, der Mann hinter dem Schalter im kurzärmeligen Priesterhemd zieht eine in Plastik geschweißte Preisliste aus einem Holzregal. Er schlägt eine Zeremonie am Abend vor, die wir schnell als Touristenfang enttarnen. „Ah, vous êtes des connaisseurs!“, ruft er, ihr kennt euch also aus. Dann schaut er auf die Uhr. Da wäre noch eine Zeremonie in einer kleinen Nachbarschaft am Meer – wir müssten aber sofort los. Er lädt uns auf sein Moped ein und rast von einem Schlagloch zum nächsten. Was eigentlich zelebriert werde, wollen wir wissen. „Es ist die Geschäftsgründung zweier junger Männer, die ihr Unternehmen auf den rechten Weg schicken wollen“, ruft er und stoppt vor einer Betonsiedlung. Dieser schmucklose Kubus soll der Tempel sein? Neben dem Eingang wartet der Schutzpatron und persönliche Götterbote des Dorfs, der Legba. Ohne ihn ist alle Spiritualität nichts. Und so begegnet man den heiligen Statuen in Westafrika in jedem Dorf. Es gibt den Hauslegba, der auf dem Kaminsims thront und Besucher mit bösen Absichten verwünscht, oder den Reiselegba im Taschenformat, aus Lehm geformt und mit Kippe im Mund.

Der reale Priester in Ouidah hat breitbeinig auf einer raumumspannenden Betonbank, die in die Seitenwände eingelassen ist, Platz genommen. Sein Gesicht über dem massigen Körper blickt faul und selbstgefällig ins Leere. Manche Teilnehmer aber nicken uns lächelnd zu. „Sie sehen es als ein gutes Zeichen, dass ihr da seid, ihr symbolisiert hier Reichtum und Wohlstand“, sagt der Mann vom Touristenbüro. Eine greise Frau vollzieht die Zeremonie, der Priester gibt hin und wieder eine Anweisung. Eine Ziege wird geopfert, dann zwei Hühner, deren Blut in Schalen aufgefangen und dem heiligen Legba dargebracht wird. Der Priester taucht seine Fingerspitzen in das Blut und wirft ein paar Steine. Beim dritten Wurf stimmen die Versammelten einen Gesang an, den sie mit sanften Schlägen auf die Brust begleiten. Trommeln setzen ein, erste Tänzer erheben sich und führen mit heftig schlagenden Armen einen Vogeltanz auf. Er soll Hexen abschrecken, die in den Körper kleinerer Vögel schlüpfen, um bei den Nachbarn herumzuspionieren.

Schlecht fürs Ritual

Den Tänzern werden während der Session Münzen an die Stirn geheftet. Schließlich sollen auch wir tanzen. „Mami Wata!“, ruft mir jemand zu – ein Ritterschlag. Mami Wata, eine hochverehrte Göttin und Nixe, findet man in Westafrika allerorten, in Kinderbüchern, auf Bildern, im Internet oder in der Musikszene. Taucht sie mal in der profanen Welt auf, ist das Stoff für die sozialen Netzwerke.

Voodoo ist in Benin, das seit 1960 von den Kolonialherren aus Frankreich unabhängig ist, im Grunde die Staatsreligion. Rund 20 Prozent der Einwohner bekennen sich zu dem Kult, der als weiße und schwarze Magie weltbekannt wurde. In der Sprache der Fon-Ethnie bedeutet das Wort ursprünglich „das, was man nicht ergründen kann“. Voodoo, mit seinen klaren Hierarchien, ist auch ein System der Macht. Die Vodúnsí, wie sich die Voodoo-Jünger nennen, bestimmen das gesellschaftliche Leben in Benin. Jeder Hausbau, jede Geschäftseröffnung, jede Heirat, jede Reifeprüfung und jeder Todesfall müssen geweiht werden. Es gibt Götter für die Liebe, für die Macht, für das Geld – inzwischen auch für Mobiltelefone und für Satellitenschüsseln. Wie man in Deutschland eine Versicherung für das neue Notebook oder für Brustimplantate abschließt, macht man in Benin einen Deal mit den Göttern. Dafür braucht diese Religion keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen und kein Buch wie die Bibel.

Später am Nachmittag begegnet uns ein selbsterklärter Posthippie aus Versailles. Er hat den Mittag bourbontrinkend an der Bar eines schäbigen Hotels verbracht und sucht jetzt noch den spirituellen Kick. „Am Schlangentempel erzählten sie mir, dass ich zum großen Mangobaum gehen soll, da gibt es immer eine Zeremonie“, sagt er. Wenige Straßen weiter sehen wir dann tatsächlich Vodúnsí, die sich unter einem gigantischen Mangobaum versammelt haben, der von Priesterinnen umtanzt wird. Zuschauer drängen sich dicht aneinander. Der leitende Priester blickt von seinem mit einem Baldachin überspannten Posten regungslos auf das Treiben seiner Jünger. Wir setzen uns auf Plastikstühle.

Plötzlich stößt eine der Tänzerinnen einen grellen Schrei aus und zeigt mit dem Finger auf den Mann aus Versailles. Er hat seine Kamera gezückt! Der Schrei der Priesterin geht in ein wütendes Zetern über, die anderen fallen ein. Die Kieferknochen des Oberpriesters arbeiten. Jemand fordert lautstark eine Strafe von 200 Dollar. Der Franzose weigert sich und ruft: „Voodooo ist für alle da!“

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