Mário Brandão, Dekorationsmaler

Werkstattbesuch Was ist noch Handwerk? Wo beginnt die Kunst? Und was genau macht eigentlich ein Dekorationsmaler? In einem Neuköllner Ladenatelier verschwimmen diese Fragen
Mag die Besonnenheit der Menschen in Berlin: der Brasilianer Mário Brandao
Mag die Besonnenheit der Menschen in Berlin: der Brasilianer Mário Brandao

Foto: Corinna Koch

Die Frage, wo genau das Handwerk aufhört und die Kunst beginnt, stellten als erstes die Künstler. Es war in Frankreich, wo Mitte des 17. Jahrhunderts Künstler im Staat des Sonnenkönigs die Differenz zwischen ihren Werken und denen der gewöhnlichen Handwerker als so groß erachteten, dass sie eine offizielle Abgrenzung ihres Standes einforderten. Sie erhielten die „Académie Royale de Peinture et de Sculpture“.

Mário Brandão ist Dekorationsmaler, eine Profession, die heute allein durch ihre Bezeichnung eine gewisse Ratlosigkeit auslöst. Was macht so jemand? Brandão sagt: „Ich mochte die Dinge nie so, wie sie waren. Ich nahm sie auseinander, baute sie auf dem Kopf stehend wieder zusammen und bemalte sie.“ Es ist ein recht anarchischer Trieb zur Kunst, seine direkte Umgebung mit Bemalungen zu verändern und ihr somit eine tiefere Bedeutungsebene zu geben. Die Freskenmaler der Antike verfeinerten diesen Impuls bis zur Perfektion und ihr Können, vor allem das Nachahmen der Oberflächen von kostspieligen Materialien wie Marmor, wurde im 19. Jahrhundert wiederentdeckt. Dies war gewissermaßen die Geburtsstunde des ‚Fake’, des Imitierens edler Materialien wie Gold, Marmor, Elfenbein und Mahagoni.

Postmodernes Design

Brandão begann zunächst mit einem klassischen Kunststudium an der Universität in Rio de Janeiro. 1981 brach er es ab, um auf eigene Faust Künstler zu werden, musste jedoch bald feststellen, dass ihm die realistische Malerei kein Auskommen sichern würde. Er begann, weniger aufwendige Bilder zu malen, die er in großer Menge produzieren und zu moderaten Preisen verkaufen konnte.

Der Zeitgeist gab ihm Recht: Mit Keith Harings Piktogramm-Werken hielt damals der Trend zu Knallfarben, monochromen Flächen und Airbrush-Optiken Einzug in die Kunstwelt. Auf der Suche nach ungewöhnlichen Mustern und Oberflächen sowie reizvollen Objekten begann Brandão, regelmäßig Rios Trödelläden und Märkte zu durchkämmen. Er studierte die Arbeiten des italienischen Designers Ettore Sottsass und seiner Memphis Group, die, nachdem es die Kunst vorgemacht hatte, 1981 auch das Design in die Postmoderne schickten. Das Geschäft mit der dekorativen Kunst begann für Brandão gerade gut zu laufen, als Brasiliens Wirtschaft in die Krise geriet.

1990 zog er deshalb nach New York. Er fand Arbeit bei einem Kunstmaler der alten Schule, in dessen Atelier er lernte, Möbel und andere Objekte so zu bemalen und mit einer Patina zu überziehen, dass sie entweder poppig-schrill oder antik aussahen. Gemeinsam mit einem Innenarchitekten gründete er schließlich sein eigenes Unternehmen für Dekorationsmalerei in SoHo. Nach dem 11. September 2001 veränderte sich aber die Atmosphäre der Stadt über Nacht, erzählt Brandão: „Man spürte, dass dieser erste Eindruck der eigenen Verwundbarkeit die New Yorker in ihrem unbeschwerten Schöpfungsgeist und ihrer Kreativität ausbremste. Es kam nun eine Art Misstrauen auf, ein vorher nicht dagewesener Dünkel gegenüber Fremden.“ Dieses Unbehagen und die Mühe, jedes Jahr aufs Neue um seine Aufenthaltsgenehmigung kämpfen zu müssen, ließen ihn schließlich 2004 nach Brasilien zurückkehren.

Vasen der siebziger Jahre

Im selben Jahr kam er erstmals nach Berlin und wäre bereits bei seinem ersten Besuch am liebsten geblieben. Doch es dauerte noch fünf Jahre, bis er sich zum Umzug entschloss. In seinem perfekt bemalten Ladenatelier im Neuköllner Schillerkiez finden sich Teile aus seinen verschiedenen Schaffensphasen. Die Inspiration seines „Berliner Werkzyklus“ füllt sauber aufgereiht eine komplette Regalwand: Mit absurden Mustern versehene Vasen aus den Werkstätten west- und ostdeutscher Keramiker der siebziger Jahre, deren Oberflächen sich wie Lava zu Blasen aufwerfen. Brandão hat sie, ganz so wie früher in Rio, beim Trödel entdeckt. „Diese Lampen sind wie Moderne Kunst. Als ich sie das erste Mal sah, konnte ich meinen Augen kaum glauben. Ich begann ihre Oberflächen zu studieren, ihr verrücktes Design, ihre Farben und ihre mal geradezu plumpen, mal an elegante griechische Amphoren erinnernden Formen. Diese Vasen haben meinen Blick auf die Deutschen verändert!“

In den ersten Wochen öffnete Brandão seine Ladentüren nur alle paar Tage: Er fühlte sich verunsichert, nachdem die Scheiben mehrerer Geschäfte im Kiez eingeschlagen worden waren. „Meine Präsenz hier in der Nachbarschaft bedeutet natürlich Gentrifizierung. Deshalb wollte ich den Leuten eine Chance geben, sich an mich zu gewöhnen.“ Insgesamt nimmt er die Menschen in Berlin jedoch als eher ruhig wahr. „Ich mag die Besonnenheit der Leute, ich mag es, mit welcher Selbstverständlichkeit man hier alles selbst in die Hand nimmt, wofür man anderswo einen Handwerker, eine Servicekraft oder einen Spezialisten kommen lassen würde. Dieses Selbstverständnis ist ganz anders als in New York, wo über allem eine schwere Gedankenblase mit dem Wort ‚Money‘ zu schweben scheint.“ Er merke dies auch an seinen Kunden, die „nur dann etwas kaufen, wenn sie es auch wirklich haben wollen“. Gelegenheiten zum Kaufen gibt es inzwischen aber öfter: Seit Kurzem öffnet Brandão seinen Laden nun täglich.

In einer losen Reihe porträtiert Corinna Koch Menschen, die ein seltenes Kunsthandwerk betreiben. Zuletzt: ein Rosshaarknüpfer. Mehr Folgen unter freitag.de/werkstattbesuch

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