Findet die Street-Art nun auch noch ins Museum? Das kalifornische Berkley Art Museum ehrt den Fotografen Ari Marcopoulos mit einer großen Midcareer-Ausstellung für sein bisheriges Werk. Drei Fragen drängen sich dabei unwillkürlich auf. Was ist ein Künstler ohne Künstlerego? Was wird aus Ikonen der Jugendkultur, wenn sie altern? Und sollte man mit Anfang 50 immer noch die angesagtesten Turnschuhe tragen? Marcopoulos ist einer von den Künstlern, die immer zur rechten Zeit am rechten Ort waren und diesen Standortvorteil in eine künstlerische Sprache übersetzen konnten, die ein Massenbewusstsein prägten. Er hat die Anfänge des Hip-Hop, der Graffiti-Kunst und der Skaterszene in New York festgehalten. Er hat die Hochzeit des Fun-Sports Snowb
der Skaterszene in New York festgehalten. Er hat die Hochzeit des Fun-Sports Snowboarding sechs Jahre lang dokumentiert und intime Einblicke in den engen Kreis von Profisportlern einer millionenschweren Industrie geliefert. Er begleitete den Aufstieg einer der bedeutendsten weißen Hip Hop Bands, der Beastie Boys. Für ihre Musikvideos setzte Marcopoulos Skateboarder ein und verknüpfte damit zwei getrennte Welten.Nähe zu Caspar David FriedrichIn den achtziger Jahren schoss er Bilder von Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat, Keith Haring, Robert Mappelthorpe, Alan Vega, Kiki Smith, und John Cage. Außerdem fotografierte er Rapper aus der gerade entstehenden Hip-Hop Szene wie Queen Latifah, Rakim, die Fat Boys, LL Cool J, Fab 5 Freddy und Run DMC. Immer wenn ein Star geboren wurde war Marcopoulos zur Stelle. Wurde eine neue Extremsportart geboren, mischte er sich unter ihre Pioniere. Schlösse man von der Ästhetik seiner Bilder auf seine Persönlichkeit, würde man auf einen sanften und zurückhaltenden Mann schließen. Marcopoulos Motive sind von viel Luft umgeben, die Menschen auf seinen Bildern wenden sich oft vom Betrachter ab oder drehen ihm den Rücken zu. Diese Distanz zum Motiv, das Romantische und Sehnsüchtige bringt Marcopoulos eher in die Nähe eines Caspar David Friedrich als eines Dash Snow oder Wolfgang Tillmanns.Wie ein LaieIn White Room, Dizin, Iran hält er den Moment fest, in dem sich eine Schneewehe über einen schneebedeckten Hügel schiebt, die Szene wird hinterlegt von einem kristallblauen Himmel. Eine Schwarz-weiß-Fotografie des Malers Jean-Michel Basquiat von 1983 zeigt den Künstler in der Badewanne.Er wendet sich ab von dem Fotografen und schaut leicht nach vorne gebeugt Stumm ins Wasser. Viele von Marcopoulos Aufnahmen sind leicht unscharf und mit einer Pocketkamera gemacht, manche zeigen sogar die digitale Einblendung des Datums an der Seite und stellen die laienhafte Herangehensweise des Fotografen deutlich aus.Marcopoulos ist aber alles andere als ein Laie. Als der 1957 als Sohn eines holländischen Models und eines griechischem Piloten seine Heimatstadt Amsterdam mit 23 Jahren verlässt, geht er nach New York. Sein Heimatland ist ihm zu konservativ, die Menschen zu festgelegt.Es ist der 8. Dezember 1980, der Tag seiner Ankunft ist vom Tod John Lennons überschattet. Bald beginnt er für Andy Warhol zu arbeiten, zwei Jahre lang macht er für ihn Hunderte von Abzügen in der Dunkelkammer und lernt dabei, wie wichtig es ist, eine eigene Handschrift in der Fotografie zu entwickeln. Er bekommt einen Job als Studio-Assistent bei dem Mode- und Porträtfotografen Irving Penn. Marcopoulos ist fasziniert von dessen Art, seine Modelle in die Ecke zu treiben und in einer Art Gefangenheit abzulichten.Es sind die neurotischen achtziger Jahre in New York, bevor Bürgermeister Rudolph Giuliani in der Stadt aufräumt. Das Leben im Big Apple gleicht einem Überlebenstraining. Marcopoulos ist draußen, fotografiert Jugendliche beim Badespaß auf den Straßen der South-Bronx, eine afroamerikanische Kindergang die sich "Hotel-Kids" nennt und in Midtown herumschlägt oder Straßenfeste in den schwarzen Wohngegenden Brooklyns.Neugierig observiert Marcopoulos den Kleidungsstil einiger junger Afroamerikaner in New York, fette Schnürsenkel, fette Ketten, T-Shirts und Baseballcaps mit Graffiti-Botschaften. Im Moment des Auslösens bleibt der Fotograf meist unbemerkt. Die Subjekte seines Interesses laufen mit gedankenverlorenen Gesicht durch die Straßen.Unter SnowboardernDie Komposition des Bildes, die Anordnung der Menschen, den Bildschnitt überlässt Marcopoulos dem Zufall, seine Fotografie erinnert an Ethnologie mehr als an Fotografie um ihrer selbst willen. Auf Phone Call on 42nd street sitzt ein junger Schwarzen auf einem auf der Straße abgestellten Korbsessel und hält einen antiken Telefonhörer ans Ohr. Neben ihm steht in sichtlicher Ungeduld seine Freundin. Im Vordergrund laufen schemenhaft Passanten vorbei. Unwillkürlich denkt man an die Fotografien von Claude Levi-Strauss, die er in den vierziger Jahren von den Nambikwara-Indianern in Brasilien gemacht hat.In den neunziger Jahren bemerkt Marcopoulos dann die jungen Skateborder, die in kleinen Grüppchen durch die Stadt rollen oder aber sich in den Banks treffen, einem gepflasterten Park unter der Brooklyn Bridge. Marcopoulos ist Mitte30 , er lernt Skateboarden. Ihm wird Einlass in diese kleine Gesellschaft von Individualisten und "Trouble makers" gewährt und beginnt ihren Lebensstil zu dokumentieren. Seine Bilder gewinnen an Nähe und Offenheit, neben Aufnahmen von Sprüngen und Tricks der Kids entstehen eine Reihe von intimen Szenen an denen die Jugendlichen Marcopoulos und seine Kamera Teil haben liessen.Die Darstellung der Narben und Verletzungen an den Körpern dieser jungen Menschen entfaltet in einigen Bilder eine klassische Schönheit. Die Geste, mit der etwa Rachel Williams auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme von 1993 Marcopoulos die Arme entgegenstreckt, erinnert an Caravaggio.1995 erscheint eine Serie von Marcopoulos Bildern erstmalig in einem Skateboard Magazin, die Sportindustrie ist auf ihn aufmerksam geworden. Noch im selben Jahr arbeitet er für die Snowboardfirma Burton. Er fliegt in die Alpen wo er die jungen Snowboarder trifft und für sechs Jahre zum ständigen Begleiter der Gruppe wird.Von dieser Zeit sagt Marcopoulos später, dass sie ihn in seiner fotografischen Ich-Findung verholfen hat. Er wird zum Erfinder der Bildsprache dieser Kultur. Man lässt ihm freie Hand in seiner Arbeit. Man sieht nicht nur euphorische Bilder, sondern auch solche, auf denen die von der Höhensonne verbrannten Jungs lethargisch auf ihren Hotelbetten abhängen und dem Marihuana auf der Fensterbank beim Wachsen der Boards zusehen. Die Intimität, die er dabei einfängt erinnert an späte Aufnahmen Nan Goldins.Zu Beginn des neuen Jahrtausends zieht Marcopoulos zusammen mit seiner Frau Jennifer Goode und seinen zwei Söhnen Cairo und Ethan in den Norden Kaliforniens. Er beginnt seine eigene Familie zu fotografieren und in seinem pubertierenden Sohn Cairo die Protagonisten seiner vorherigen Arbeiten wiederzuerkennen. Marcopoulos Kinder scheinen sich absolut bewusst zu sein wer ihr Vater ist, was er macht und was er mit den Fotos von ihnen aussagen will. Es ist ein Moment des Erkennens, nicht nur für Cairo und Ethan sondern vor allem auch für Marcopoulos selbst. Die Szenen die sich nun in Marcopoulos Bildern abspielen haben sich verdichtet und treffen eine deutliche, künstlerische Aussage.So zeigt das Bild "Drainage Tunnel, Remio I" ein frisch gesprühtes Graffitti, dass auf die Asphaltwand eines Tunnels gemalt wurde. Seine Beiden Söhne stehen vor dem Graffitti, sie werden von einer spiegelnden Wasserfläche vor ihnen von ihrem Vater getrennt und schauen auffordernd fragend zu ihm herüber.Cairo, der ältere der beiden trägt eine clownesk wirkende Strickmütze, die zusammen mit dem gewellten Haar das schöne Gesicht des Jungen einrahmt. Er hat die Hand ausgestreckt und stützt sich mit den Fingerspitzen auf einen Stein.Mit nacktem RückenDie Momentaufnahme wird zu einem Bild mit mehreren Erzählsträngen und Bedeutungsebenen, die bunten Skater-Kleider zur Staffage an einem Ort, der in leuchtenden Farben erstrahlt - vergleichbar der Malerei des frühen achtzehnten Jahrhunderts wie Watteau. Ein anderes Bild, Angel, zeigt Cairo, der mit dem nackten Rücken zur Kamera steht und mit den hoch gestreckten Armen einen Kreis formt.Marcopoulos hat seine Fotografien und Filme hauptsächlich in selbst gemachten Fanzines, auf seinem Blog oder in der einschlägigen Fachpresse veröffentlicht. Das ist nicht gerade eine lukrative Form des Geldverdienens. Inzwischen sieht der Fünfzigjährige mit ergrautem Bart und Kapuzenpulli, Wollmütze und den bunten Turnschuhen fast ein bisschen tragikomisch aus. Immerhin werden Marcopoulos Arbeiten langsam in Galerien und in Museen gezeigt.Auf sein künstlerisches Selbstverständnis angesprochen, sagt er, dass er sich als Fotograf, Filmemacher und Künstler versteht, dass er die Grenzen zwischen den Disziplinen als fließend betrachtet. Sein Prinzip: "to go with the flow". Er macht, was ihm gefällt, fotografiert, was ihn interessiert, nimmt die Dinge so, wie sie kommen. Der übliche Effekt der Überführung lebensnaher Kunst in den White-Cube: Der Kult um das Künstler-Ich setzt bei Marcopoulos nicht in gleicher Weise ein wie etwa bei Banksy, Daniel Richter oder Dash Snow. Das mag seinem Image schaden. Seinen Bildern tut das keinen Abbruch.
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