Oh mein Guru

Im Gespräch "Keiner von uns hatte so etwas jemals gesehen": Danny Paradise trägt Mitschuld daran, dass heute so viele Yoga machen. Ein Gespräch über die Ausbreitung eines Hypes

"Fuck Yoga" sagt der Aufkleber auf einem Plakat, das in Berlin-Mitte für eine Reihe von Workshops mit Yoga-Legende Danny Paradise wirbt. Nicht jedem gefällt offenbar der momentane Hype. Paradise machte aber schon lange vorher Yoga. Er lehrt es seit 1979. Zu seinen Schülern zählen Madonna, John McEnroe und Paul Simon. Und kaum jemand kennt die Geschichte, wie sich Yoga im Westen ausbreitete, so gut wie Paradise.

Der Freitag: Herr Paradise, 1964 sagte Indira Gandhi, dass in hundert Jahren Yoga das Geschenk sein werde, das Indien der Welt zu geben habe. Das ging dann viel schneller.

Danny Paradise:

Ja, aber niemand konnte damals absehen, mit welcher Geschwindigkeit Informationen sich bald verbreiten würden. Heute ist Yoga praktisch überall, in den abgelegensten Provinzen Chinas genauso wie in südamerikanischen Metropolen. Gerade habe ich in Polen und Budapest unterrichtet, auch in Russland gibt es eine aktive Szene.

Warum ist Yoga so interkulturell?

Es hat eine ganz eigene, heilende Kraft, die man in anderen Sport­arten nicht findet. Und die sich bei den meisten Menschen, die Yoga ausprobieren, bereits in der ersten Stunde bemerkbar macht. Ich sehe es wie eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung von Kraft, Balance und Atmung befasst – sowie mit dem Empfinden von Freiheit, Heilung und Hingabe.

Etwas, wonach der moderne Mensch immer rastloser sucht.

Im Englischen würde man sagen, es sind „desperate measures for desperate times“. Es ist der alte Dschungel da draußen, in dem die Menschen ums Überleben kämpfen. Dieser Dschungel zeigt sich in unserer heutigen Gesellschaft als immenser Leistungsdruck, man hat zu funktionieren. Das bringt alle möglichen Neurosen hervor – Yoga ist das Gegengift.

Wann kam Yoga das erste Mal mit der westlichen Welt in Kontakt? Ich erinnere mich an Stummfilme und Theaterperformances der zwanziger und dreißiger Jahre, die bereits eine stark fernöstliche Prägung hatten.

Oh, es begann bereits viel früher. Meines Wissens bildeten sich in Chicago bereits Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Yoga-Gesellschaften, in denen ein sanftes ­Training praktiziert wurde. Swami Vivekananda hielt 1893 im Art ­Institute of Chicago eine Rede über Hinduismus, in der zum ersten Mal das Wort Yoga fiel. Anwesend waren rund 7.000 Amerikaner, die seinen Ausführungen folgten. Und Vivekananda wurde dann auch von den Medien herumgereicht.

Aber erst in den Sechzigern ging es so richtig los ...

Ja, Mitte der sechziger Jahre kam mit dem Besuch des Gurus Swami Satchidananda mit seiner Lehre des Hata-Yogas ein tieferes und intensiveres Training nach Amerika. In den einschlägigen subkulturellen Szenen dieser Zeit verbreiteten sich seine Lehren schnell, sodass er 1969 auch eingeladen wurde, die Eröffnungsrede des Woodstock-Festivals zu halten.

Die Entwicklung des politischen Bewusstseins innerhalb der Friedensbewegung der Sechziger wurde flankiert von Yoga?

Es war eine Zeit, in der alles möglich schien und alles ausprobiert wurde – von politischen Debatten über neue Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens bis hin zu bewusstseinserweiternden Drogen. Yoga taucht an verschiedenen Punkten dieser Bewegung auf, Woodstock ist ein Beispiel.

Wie kam es dazu?

Einer der Sprecher des Festivals war Mitglied der „Hog Farm“ in New Mexico, einer der ersten Kommunen Amerikas. Die Kommunarden versuchten sich aus der konservativen Gesellschaft und der industrialisierten Nahrungskette auszuklinken, um auf eigene Faust zu leben. Sie hatten in New Mexico einen Yogi, der ihnen Yoga beigebracht hatte, woraufhin sie ihn in ihrer kindlichen Begeisterung zu ihrem Guru machten, ihm die passenden Roben anlegten.

Was war das für ein Typ?

Er war ein fescher Mittfünfziger. Er konnte ein bisschen Yoga, aber sein Wissen erschöpfte sich bald, und er fiel bei seinen Jüngern in Ungnade, als sie dies merkten. Doch bevor das geschah, wurden er und seine Anhängerschaft noch nach Woodstock eingeladen, um das Sicherheitsteam des Festivals zu schulen. Tom Law, ein charismatischer Typ, war ihr Sprecher und machte in den Pausen Durchsagen auf der Bühne.

Ich erinnere mich. Man sieht ihn im Dokumentarfilm von 1970.

Im Ablauf des Festivals entstanden immer wieder lange Pausen, weil sich Bands verspäteten. In solch einem Moment entschied sich Law, auf die Bühne zu gehen und den 500.000 Menschen dort unten eine Yogastunde zu geben. Er brachte ihnen ein paar Übungen bei und sagte ihnen, wie sie atmen sollten – und das war der Anfang. Er wurde dann von den Ver­anstaltern gefragt, ob er auch der Zeremonienmeister des nächsten Rockfestivals sein wolle, das ein Jahr später in Atlanta stattfinden sollte, wo er dann ebenfalls Yogastunden gab.

So kam eins zum anderen?

Damals war unter den 600.000 Leuten im Publikum auch der junge David Williams, der gerade das College abgeschlossen hatte. Die Erfahrung dieses Festivals bewegte Williams dazu, sich auf die Reise nach Indien zu machen, um mehr über das zu lernen, was er dort in der Menge erfahren hatte. Gemeinsam mit seinem Kumpel Norman Allen reiste er nach Indien. Sie kamen in einem Ashram unter, wo eines Tages Manju Jois aufkreuzte und seine Yoga-Künste zeigte. Die jungen Amerikaner wussten damals nicht, dass sie den Sohn des legendären Pattabhi Jois vor sich hatten ...

... des Begründers des Ashtanga Yoga Institutes, der ersten Institution Indiens, in der aus dem Mittelalter stammende Yogasutren untersucht und praktiziert wurden.

Manju Jois wiederum war Schüler von Tirumalai Krishnamacharya, der mit wissenschaftlicher Methodik in den Bergen Tibets nach den Ursprüngen des Yogas forschte, bis ihn sein dortiger Lehrer mit der Mission beauftragte, sein Wissen unter das Volk zu bringen. Das spielte sich noch in den zwanziger Jahren ab. Die Lehren Krishnamacharyas, der Gedanke, den eigenen Körper zu einem Tempel zu machen, war in einer Gesellschaft, die streng nach Kasten unterteilt war, eine radikale politische Aus­sage. Die mächtigste Kaste der Brahmanen, die ähnlich wie die Katholische Kirche durch das Betreiben ihrer Tempel Unmengen an Geld scheffelte, sah in den Lehren Krishnamacharyas ein Politikum. Kein Wunder, dass sie nicht gerade scharf darauf war, seine Schriften, die eigentlich tief in der hinduistischen Religion verankert waren, zu verbreiten.

Das erinnert fast an die Unter­drückung von Aristoteles’ Schrift über das Lachen in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose. Was passierte denn mit den jungen Amerikanern, als sie zum ersten Mal Ashtanga-Yoga sahen?

Angetan von Manju Jois’ Können folgte Norman Allen dem jungen Inder nach Mysore, um am Institut von Jois’ Vater zu studieren. Doch Pattabhi Jois lehnte es ab, Fremde zu unterrichten, da er in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht hatte. Allen gab aber nicht auf und saß tagelang vor Jois’ Haustür, um seinen Willen zu demonstrieren. Schließlich akzeptierte Jois seinen neuen Schüler. Bald darauf folgte ihm auch David Williams, und die beiden wurden zu Pionieren des Ashtanga-Yogas, dem populärsten Yoga-Stil in der westlichen Welt.

Wie kamen Sie selbst zum Yoga?

Williams und seine damalige Frau Nancy unterrichteten mich. Williams war Mitte der Siebziger gemeinsam mit Pattabhi und Manju Jois nach Amerika gereist. Williams hatte vor, Yogaklassen auf Hawaii zu unterrichten. Und dort auf Maui lebte ich zu der Zeit – ich war um die zwanzig und hatte gerade eine Weltreise hinter mir. Ich war Musiker. Eines Tages tauchten David und Nancy am Strand auf und begannen, ihr Ashtanga-Yoga zu demonstrieren.

Wie waren die Reaktionen?

Etwa 30 junge Leute, hauptsächlich Surfer und Musiker wie ich, sahen zu. Keiner von uns hatte so etwas jemals zuvor gesehen. Am nächsten Tag begann das Training, und es setzte sich über mehrere Monate täglich fort. Als ich meinen ersten Nach-unten-schauenden-Hund machte, begann ich zu schwitzen, wie ich es niemals zuvor getan hatte, und mir wurde klar, dass ich da etwas Wichtiges für mich entdeckt hatte. Die nächsten vier Jahre war ich Davids und Nancys Schüler. Sie kamen jedes Jahr nach Hawaii, bevor sie weiterflogen nach Indien, wo sie die Hälfte des Jahres verbrachten. Später reiste ich selbst nach Indien, um in der Yogaschule eines Freundes auszuhelfen, der allein dem stetig steigende Zahl an Schülern nicht mehr gewachsen war. Heute gibt es zum Glück wieder mehr Lehrer. Das große Interesse des Westens hat Yoga davor bewahrt, in Vergessenheit zu geraten. Wegen des westlichen Interesses ist Yoga heute in Indien wieder lebendiger Bestandteil der Kultur. Es wird an den Schulen unterrichtet, und die Menschen sind stolz auf das, was ihre Kultur hervorgebracht hat.

Viele Yoga-Posen haben Tiernamen. Es gibt den Hund, den Pfau, die Kröte. Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen in einer Zeit, in der die meisten in Städten wohnen und Tiere höchstens in zerlegter Form im Kühlregal antreffen, Sportübungen lieben, die mit der Tierwelt verbunden sind?

Ich glaube, alle Naturreligionen haben Totem-Tiere, die uns be­gleiten und schützen. Es ist sicher möglich, diese entfremdete Verbindung wieder herzustellen – wenn wir meditieren oder eine Weile in der Natur verbringen. In unserem Großstadt-Alltag er­innern uns diese Bezeichnungen zumindest daran, dass Tiere auch Wesen sind, die ein Recht auf Leben haben, die es nicht verdienen, in einer Nahrungsmittelindustrie verheizt zu werden, die weder Verstand noch Mitgefühl zulässt. Yoga kann auch das vermitteln.

Es ist auch Aufklärungsarbeit?

Absolut. Es geht nicht nur darum, Klarheit im Inneren zu schaffen. Es geht auch darum, zu vermitteln, was los ist auf der Welt. Heutzu­tage sollte wirklich jeder ein Aktivist sein – und die Yoga-Bewegung hätte mit der großen Zahl ihrer Anhänger definitiv politische Macht. Es hat bereits begonnen, die Leute entwickeln ein größeres Verständnis dafür, was um sie ­herum geschieht. Und es ist Zeit aufzuwachen. Wir müssen unseren Gehorsam gegenüber der ­Politik, aber vor allem auch gegenüber der Industrie abschütteln. Denn vor allem Letztere hat nach wie vor einen viel zu großen Einfluss auf die Menschen, vor allem in Amerika.

In einer Yogastunde, die ich mal besuchte, spielte die Lehrerin Johnny Cashs Version von „My own, personal Jesus“. Mit der Erklärung, dass die Selbster­mächtigung ein Ziel von Yoga ist. Seinen Körper als Tempel zu sehen: ein Selbstverständnis, das gut zum Selbstverwirklichungskult unserer Gesellschaft passt. Wie haben Sie Ihren „own, personal Jesus“ gefunden?

Ich habe eigentlich sofort begriffen, dass Yoga für mich das geeignete Werkzeug ist, um meine Träume zu verwirklichen. Oder besser: um der Meister meiner Träume zu werden. Ich habe nicht nur bei mir selber die Erfahrung gemacht, dass die regelmäßige Praxis der Asanas, also der Yogaübungen, einen Zugang zu den innersten Wünschen herstellt. Es hilft, sich über seine wirklichen Träume und Sehnsüchte klar zu werden. Ein Vorgang, den ich in meiner 32-jährigen Karriere als Yoga-Lehrer überall auf der Welt verfolgen konnte.

Meinen das einige, wenn sie von „Erleuchtung“ sprechen?

Ja, das ist eigentlich nur die eigene Vorstellungskraft, die aktiviert wird und zu dir spricht. Dieses „Selbst-Bewusstsein“ entfaltet aber eine große Kraft. Ich kenne viele ältere Leute in fantastischer körperlicher Verfassung und in klarem Bewusstsein darüber, wer sie sind und wo sie stehen. Sie haben realisiert, dass sie es sind, die ihr Leben gestalten. Das ist eine der wichtigsten Botschaften, die Yoga für die Menschen be­­reithält.

Sie haben auch Pop-Stars unterrichtet, die an Extravaganz kaum zu übertreffen sind. Ist Yoga die Sportart der Spleenigen, der etwas andersartigen Menschen?

Jeder Mensch ist in seiner Art ­einzigartig und damit anders als andere Menschen. Aber egal, wie reich oder berühmt jemand ist, praktisch alle Menschen verspüren die Notwendigkeit, sich selbst zu heilen – und Yoga hilft dabei.

Danny Paradise gehört zu den prominentesten Figuren der Yogaszene der westlichen Welt sei es wegen seiner berühmten Schüler wie Sting und Madonna, sei es wegen seiner Pionierrolle als einer der ersten Yoga-Gurus überhaupt im Westen. In seinen Klassen verbindet Paradise die körperliche Ertüchtigung mit Vorlesungen (Talks) über die Ursprünge des Yogas, die seiner Auffassung nach nicht nur im mittelalterlichen Indien, sondern auch in vielen anderen Naturreligionen und frühen Hochkulturen wie jener der Mayas und der Ägypter zu finden sind.

Paradise selbst begann 1976 die Asanas des Ashtanga-Yogas zu erlernen, als er David Williams und Nancy Gilgoff, die ersten westlichen Lehrer dieses 1948 im südindischen Mysore begründeten Yogastils, in Hawaii traf. Paradise lebte dort damals als Barmusiker. Dank seiner außerordentlichen Begabung für die unterschiedlichen Yoga-Techniken war es Paradise möglich, sich auch die schwierigsten Asana-Übungen innerhalb nur weniger Jahre anzueignen.

Und er entwickelte seinen eigenen Stil des Unterrichts, in dem er die alte, fernöstliche Lehre auf eine moderne westliche Welt anzuwenden wusste. Sein Erfolg dabei spiegelt sich in der großen Zahl seiner Anhänger und Nachahmer. Mehr zu Paradise Lehre: dannyparadise.com. ck

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