Bad Girls, mad Girls

7. FEMME TOTALE IN DORTMUND Chronistinnen im Zeitalter ungeklärter Geschlechtlichkeit

Grau ist die Strickjacke, der Rock, und grau sind die ausgetretenen Schuhe. Auffällig an Dorine, der schlecht bezahlten Redakteurin einer New Yorker Zeitschrift ist nur die Brille, deren riesige Fassung die ungeschminkten Augen einrahmt. Graubraun und düster sind die Redaktionsräume des »Constant Consumer«, in denen eine Chefin (wunderbar machiavellistisch Barbara Sukowa) und krude Kollegen den Ton angeben, und in denen Dorine eines nachts allein vor der Leiche des Starreporters steht. Ein versehentlich ausgelöster Stromschlag hat den Mann getötet, und wie ein Blitz fährt Entschlossenheit in Dorines Augen. Auf einem Bürowägelchen transportiert sie die gekrümmte Leiche in den Keller.

Office Killer, der erste Spielfilm der amerikanischen Fotografin Cindy Sherman, spielt auf der Schattenseite moderner Redaktionsstuben. Dorines Redakteursstelle wurde auf Teilzeitstatus und einen Heimarbeitsplatz reduziert. Nur noch über e-mail und gelegentliche Besuche in der Redaktion ist sie mit der Außenwelt verbunden, entfaltet die graue Maus erstaunliche Energien, die das Grau zum Grauen wenden. Im Keller ihres Hauses eröffnet Dorine ein eigenes Büro, das nach und nach die Leichen ihrer - allmählich verwesenden - Kollegen bevölkern. Durch Heimarbeitsplatz und Computerkenntnisse gewonnene Freiheiten nutzt Dorine, um ihre Morde zu vertuschen.

Schaurig, faszinierend und ekelerregend zugleich komponiert Cindy Sherman die Bilder mit der schon in den fotografischen Arbeiten angeklungenen Neigung zum Makabren. Beklemmend inszeniert und fotografiert wie die gefrorenen Idyllen eines David Lynch in Blue Velvet, düster und in der Übertreibung zugleich witzig. - Bei aller Stilisierung wirkt die Metamorphose der Heldin von einer herumgestoßenen grauen Maus zu einer Art Monster mit bemerkenswerten Fähigkeiten durchaus glaubwürdig. Office Killer ist eine kohärent erzählte Studie über die Entwicklung weiblicher Anpassungsfähigkeit und Aggressivität. Am Schluß verläßt Dorine das durch die Leichen unbewohnbar gewordene Haus mit einer zynischen Erkenntnis: »Ich habe gelernt, meine Grenzen zu akzeptieren und meine Stärken zu betonen.«

»As large als Life - Biographische Streifzüge« war das Motto des 7. Internationalen Frauenfilmfestivals, das alle zwei Jahre in Dortmund stattfindet. Die Intention der Veranstalterinnen, so Festivalleiterin Silke Räbiger, liege ausdrücklich darin, weibliche Lebensgeschichten unter neuartigen Aspekten und exzentrischen Blickwinkeln zu präsentieren: Die kleinen Ereignisse und Begebenheiten und all das, was jenseits großer Erzählungen und bekannter Erklärungsmodelle weiblicher Identität existiert.

Eine Tochter aus gutem Hause verliebt sich in einen armen Poeten. Sie läßt sich von ihm entführen und setzt gegen den Willen ihrer Familie die Heirat durch. Sie sei entschlossen wie ein Mann, sagt der Poet, doch das Glück ist von kurzer Dauer. »Dichtung war eine Sache, das wirkliche Leben eine andere«, so Hans Magnus Enzensberger in der Nachrede zu seinem Requiem für eine romantische Frau, das als Vorlage für Dagmar Knöpfels gleichnamiges Filmkammerspiel dient. Der Film (seit dem 18. März in den Kinos) erzählt die Geschichte der Auguste Bußmann, die an der Liebe zu Clemens von Brentano scheiterte. Eine Liebesgeschichte, deren Stärke noch heute, nach nahezu 200 Jahren, von der Stärke dieser außergewöhnlich »romantischen« Frau getragen wird.

Die »romantische Liebe als Krankheit der Frau« war der Ausgangspunkt in Monika Treuts Die Jungfrauenmaschine. In der Ende der achtziger Jahre gedrehten Filmkomödie geht es um die sexuelle Identität der Frau. Und auch der neue Film der Hamburger Filmemacherin, Feministin und Hyänenliebhaberin beschäftigt sich mit dem Thema Geschlechteridentität. Gendernauts, eine Dokumentation über die Transgender-Szene in San Francisco, stellt unter anderem Frauen vor, die das männliche Sexualhormon Testosteron benutzen, um nicht nur ihre Körper, sondern auch ihr Denken und Fühlen zu vermännlichen. Monika Treuts einfühlsame Porträts entwerfen ein verwirrend schillerndes Cyberland der Geschlechter, ein Utopia für alles, was »queer« ist und die Dualität der Geschlechterzuschreibung auflöst zugunsten einer Vielfalt der Geschlechter.

Bad Girls, mad Girls, gay Girls und transgender Girls auf der Suche nach neuer Identität und neuen Lebensentwürfen. Ob Auguste Bußmann in Requiem für eine romantische Frau, Dorine in Office Killer oder die Geschlechternomaden in Gendernauts, immer wieder zeigten Dokumentar- und Spielfilme Frauen auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen. Der Ausstieg aus der Normalität bürgerlicher Existenz, die Suche nach neuen Perspektiven jenseits von Karriere, Küche, Kindern und Männern führt in aller Regel auf die Straße. Ein Freiraum, den im Kino das Road Movie ausfüllt. Bonnie and Clyde gilt als ein frühes Beispiel des Genres, das romantische Liebe in »out-law« Liebe verwandelt. Frauen als Protagonistinnen, etwa Thelma und Louise, sind in dieser Gattung noch sehr jung. Eine Ausnahme bildet Wanda, das Regie- und Drehbuchdebüt der amerikanischen Schauspielerin Barbara Loden. In der Low-Budget-Produktion aus dem Jahre 1970 stolpert die von Mann und Kindern geschiedene Titelheldin aus proletarischem Milieu nahezu willenlos durch Hotelzimmer und wechselnde Männerbekanntschaften. Wanda, auch exzellent gespielt von Barbara Loden, strandet an der Seite eines Bankräubers, den sie, kaum daß sie ihn gefunden hat, wieder verliert. So steht am Ende, ähnlich wie in Office Killer, ein Aufbruch, ein Neubeginn.

Ein Vergleich von Wanda mit dem finnischen Beitrag The Collector von Auli Mantila aus dem Jahr 1997 zeigt, wie unterschiedlich Regisseurinnen die Möglichkeiten eines Ausstiegs - in einer Zeitspanne von rund 30 Jahren - erleben und inszenieren. Während in Wanda Gewalt nur vom Mann ausgeht, demonstriert Auli Mantilas Protagonisten Eevi das »absurde Besitzergreifen-Wollen« und den »primitiven Freiheitswillen« einer Frau, die »Respekt und Anerkennung für den freien Willen« anderer verloren hat. Eevi (Leea Klemola) verläßt aus Zorn über die ablehnende Haltung der Schwester die gemeinsame Wohnung, klaut deren Auto und hinterläßt eine Spur der Gewalt. Einen Anhalter, den Eevi durch dreimaliges Umkreisen mit dem Auto sorgfältig ausgewählt hat, schlägt sie am Morgen nach der gemeinsamen Nacht mit einer Limonadenflasche nieder. Verschmähte Liebe wird auch beim nächsten Opfer als Motiv eskalierender Gewalt festgemacht. Auli Mantilas lakonische Erzählweise blendet die unmittelbaren Folgen der Gewalttaten aus. Auch deshalb erinnert The Collector (Die Nacht des Schmetterlings) an Michael Hanekes drastische Gewaltstudie Funny Games.

So wie die Straße Freiräume bietet, bürgerliche Konventionen zeitweise abzuschütteln, offeriert der Beruf der Fotografin kreative Spielräume, die Frauen wie Cindy Sherman und Nan Goldin unterschiedlich ausfüllen. Zu Nan Goldins berühmtem »visuellen Tagebuch« gibt es jetzt auch einen Film. I'll be your Mirror, 1995 mit Hilfe des BBC produziert, zeichnet, aus fotografischen Selbstporträts, Bilder ihrer Freunde, privaten Super-8-Aufnahmen und neu gedrehten Interviews mit Überlebenden zusammengefügt, den Weg aus der amerikanischen Provinz in den New Yorker Underground der siebziger und achtziger Jahre nach. Schonungslos offen berichtet Nan Goldin über ihr eigenes Leben und die Erfahrungen ihrer Generation mit Drogen, Gewalt und Aids. Mit I'll be your Mirror wurde Nan Goldin tatsächlich zur »Chronistin der Liebe im Zeitalter von ungeklärter Geschlechtlichkeit, Glamour, Schönheit, Gewalt, Tod, Rausch und Maskierung.«

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