Auf einer höheren Ebene

Eventkritik Auf einer Esoterikmesse in Duisburg trafen sich Sinnsuchende, die ihre Punkte auf der Sorgen-Skala reduzieren wollen – mit Schamanismus, Trance und Schüßler-Salzen

Rabea fällt um. „Sie lassen alles geschehen“, murmelt der Heiler am Stand des „Matrix Centrum NRW“ und lächelt. Er ist ein souveräner Bart- und Bauchträger. Rabea lässt sich mithilfe seines Kollegen auf den blauen Teppich sinken, das Kissen liegt schon bereit. Ihre Augenlider zucken, ihr Unbewusstes arbeitet. Durch die Behandlung soll ein Matrix genanntes Energiefeld mit der Seele in Kontakt gebracht und Auslöser von Problemen beseitigt werden. Rabea soll an das ihr Wichtigste denken und die energetischen Handbewegungen des Heilers zulassen.

Vom Gong-Stand an der Ecke erklingt ein tiefes Bong, es riecht nach Chakra-Räucherkegeln, magische Edelsteine glänzen neben Jesus, Engel und Glaskugel: Spirit und Life heißt die diesjährige Messe für Esoterik und Naturheilung in Duisburg. Es könnte eine Lehrermesse sein, ließe sich von den Besuchern einfach auf ihr Metier schließen. Frauen um die 50 mit praktischen Kurzhaar-Frisuren, dezenten Brillen und Windjacken sind gekommen, manche tragen das Haar aufgehellt. Die beiden Matrix-Männer könnten auch hinterm Bankschalter stehen.

Bachblütentherapie und Horoskope

In fast allen größeren deutschen Städten gibt es mittlerweile regelmäßig diese Messen. Jeder fünfte Deutsche glaubt an Bachblütentherapie und Horoskope. In Zeiten von Burnout und ständigen Lebenskrisen sollen Körper und Geist nicht mehr nur für Althippies eine Einheit bilden. Ratgeber wie Hühnersuppe für die Seele oder Fuck it. Loslassen, entspannen, glücklich sein haben herausgefunden aus der Öko-Nische. Chronische Leiden, Einsamkeit, Eheprobleme oder die Suche nach dem Sinn des Lebens: Kirche und Schulmedizin erscheinen vielen dafür nicht mehr zuständig. Weil beide zu wenig Wellness bieten? Wer kniet schon auf harten Holzbänken oder hockt im Wartezimmer, wenn es Ayurveda gibt. Oder Trance.

„Na, hast du Mittagsschlaf gemacht?“, fragt Rabeas Mutter ihre Tochter. Sie scheint ein bisschen enttäuscht, dass die sich an alles erinnert und nicht in Hypnose gefallen ist, lässt sich aber trotzdem vom Resultat überzeugen. „Es sind ganz viele Bilder vor meinem inneren Auge aufgetaucht, die mit meinem Thema zu tun haben“, sagt Rabea. „Ich habe weniger Angst, das Problem fühlt sich nicht mehr so wichtig an.“ Welches Thema sie umtreibt, verrät sie nicht, aber sie hat nun nur noch zwei statt sieben Punkte auf der Sorgen-Skala.

Rabea ist Esoterik-Anfängerin, betreibt aber autogenes Training. „Ich probiere aus, was mir guttut“, sagt sie. Ihre Mutter lässt hier ihr Rheuma behandeln. Ihr rinnen minutenlang Tränen die Wangen herunter, während der Matrix-Heiler ihr etwas aus dem Kopf zu ziehen scheint. „Genug geheult“, bemerkt sie dann trocken. „Ich brauchte eine Generalüberholung.“ Auch bei ihr zeigt die Skala einen Erfolg an. Kann Esoterik nach 20 Jahren Rheuma, Cortison und Chemo wirklich helfen? „Das glaube ich nicht“, sagt die Frau. Aber sie möchte es dennoch hoffen.

Ein Loch, das klassische Institutionen hinterlassen

Esoterische Körper- und Seelsorge stopft ein Loch, das die klassischen Institutionen hinterlassen. Esoterik wird von vielen Menschen mittlerweile ernst genommen, nicht mehr als Spinnerei belächelt.

„Die Realität ist steuerbar“, mit diesem Slogan werben die Matrix-Heiler in ihrem Prospekt. Dieser vermittelt: Jeder kann etwas für sich tun, alle Probleme lassen sich auf angenehme Weise lösen, mit Wellness-Marmelade oder Pyramiden, die als Energie-Akkumulatoren fungieren. „Natürlich treibt das auch skurrile Blüten,“ erklärt Christian Böhringer, Schulmediziner und Heilpraktiker, am Stand für „schamanisches Heilsingen“. Er kennt Manager, die vor großen Entscheidungen eine Wahrsagerin aufsuchen und sich durch tägliches Meditieren vor Burnout schützen.

Dass solche Praktiken auch in eigentlich durchrationalisierten Milieus Anklang finden, führt Böhringer darauf zurück, dass in westlichen Gesellschaften die Balance fehle zwischen Gefühl und Verstand. „Die Menschen müssen ja all die komplexen Anforderungen auch verdauen.“ Man dürfe die seelischen Bedürfnisse nicht vernachlässigen. Kinder, die mit E-Mails aufwachsen, hätten womöglich ein besonderes Bedürfnis zu fühlen, meint Böhringer.

Während er den Stand betreut, bereitet sich seine Frau, eine ehemalige Gymnasiallehrerin, auf ihren Auftritt als Schamanin vor. Im Kursraum setzt sie sich im Schneidersitz auf einen Tisch, streicht ihre langen grauen Haare zurück und schließt die Augen. Ein tiefer Laut, dazu beginnt sie rhythmisch ihre Handtrommel zu schlagen, sie zischt, singt Silben. Mit geschlossenen Augen lassen sich etwa 50 Zuhörer von den Klängen davontragen. „Die Klänge wirken auf das Gehirn, die linke Hälfte schläft ein, die rechte blüht auf,“ erklärt sie hinterher. „Dadurch verschwinden die Pläne. Wir werden ganzheitlicher.“

Diese Sinnlichkeit würden viele Menschen vermissen. Was man jedoch mit Schamanismus wirklich heilen könne, ließe sich nicht pauschal sagen. „Manches kann man nun mal nicht ändern. Ich werde nie zierliche Hände kriegen“, sagt sie, zeigt ihre kräftigen Finger und räumt ein, falsche Prozeduren seien mitunter gefährlich. Manchem in der Branche gehe es nur ums Geld. Eine Blondine überlegt, CD und Buch zu kaufen. „Ich nutze so was, um abzutauchen, als Entspannung.“ In diesem Kurs ist sie eingeschlafen. Für sie ein Erfolg.

Bloß nicht zum Psychologen

Die ehemalige Sekretärin ein paar Plätze neben ihr schläft seit Jahren kaum. Ihre Haut löst sich an manchen Stellen, ihr Leben auch. „Mein Mann ist schon wieder weg“, klagt sie, „ich versinke im Chaos.“ Seit 34 Jahren baut sie auf Schüßler-Salze, Fasten, Feng Shui, Engel, Astrologie. Sie glaubt, dass sie im Mittelalter eine Hexe war, die ihre Macht missbraucht hat. Dann kauft sie eine CD, auf der Jesus spricht. Ihre Scheine im Portemonnaie werden weniger, ihre Sammlung an Heilmitteln wächst. Sie habe auch schon daran gedacht, zum Psychologen zu gehen. „Aber wie wird man denn dann abgestempelt?“

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