Das dunkle Holz des Tresens, das Wagenrad, die Fototapete – alles atmete den Duft von Bier und Rauch. Nachbarin Brigitte und Onkel Gerd drehten sich womöglich mit der Discokugel zu Abba, Queen und Mireille Mathieu und küssten sich irgendwann zwischen Käsepickern, Salzstangen und Mett-Igel. Am nächsten Tag siezten sie sich dann wieder über die Hecke des Vorgartens. Doch in der Hausbar im Keller ging es hoch her, man fühlte sich weltläufig und gleichzeitig sicher, gut bevorratet im Keller, in den Jahren des Kalten Krieges.
Später wurde aus gemütlichen Haus- und Kellerbars nostalgische Erinnerung. Was Ende der Achtziger nicht zu Hobbyraum und Abstellkammer umfunktioniert worden war, ging spätestens um die Jahrtausendwende in den Wohnküchen mit ihren Ess-Theken und Barhockern auf. Die nächste Generation, die solche Partykeller nur aus früher Jugend kennt, brunchte nun zu jedem Anlass. Lässig stieß man mit Prosecco an, schäumte Latte Macchiato und feierte in der hellen, offenen Küche ausgelassen bis tief in den Nachmittag. Aber irgendwann vermisste sie offenbar das wohlige Gefühl, das sie vom Partykeller ihrer Eltern kannte.
„Es gibt einen Verlust spontaner Geselligkeit in bestimmten Milieus mit der Konzentration auf Medien“, erklärt Bernhard Tschofen, Professor für Empirische Kulturwissenschaft. Vor allem junge Kreative aus der Stadt würden sich nun als neue, coole Spießer feiern. Sie machen es sich – durch dicke Brillen schauend – in Schrebergarten und Vereinsheim, Kellerclub und Eckkneipe mit Fototapete oder direkt an der Hausbar gemütlich. „Natürlich mit ironischer Brechung“, erklärt Tschofen. Das Milieu hat sich verändert, die Kellerbar ist ein Relikt, aber sie taugt als Label. Spießig ist nicht mehr spießig, sondern Lifestyle.
Kuckucksuhr und Discokugel
Etwas sehnsüchtig nennen die neuen Gemütlichen ihre Lounges und Clubs wieder „Hausbar“, „Sennhütte“ oder „Datsche“. Ausgehen im Keller soll sich so anfühlen wie Zuhausebleiben, ohne als altmodisch belächelt zu werden.
Gerade virtuell geht dieses Spiel mit dem Befinden in den frühen Jahren der Bundesrepublik auf. Kuckucksuhren, braun gemusterte Tapeten und Discokugeln prangen auf den Internetseiten der lässigsten Locations. Wer das Partykeller-Image pflegt, taucht nicht auf jeder Veranstaltungsseite auf, sondern bleibt im Verborgenen, die Freunde sollen unter ihresgleichen bleiben. Wer lädt schon jeden Dahergelaufenen in seinen Partykeller ein?
So exklusiv ist der Stuttgarter Kellerclub Dilayla dagegen nicht. Zwischen Holzbalken und Perlenvorhang sitzt man in dem Laden auf Ledergarnitur oder Retro-Barhockern, fast wie früher zu Hause. Auch die Tanzfläche ist gediegen, flauschiger Tanz-Flor, nicht kühler Dancefloor: Und auf dem Boden liegt – ein Teppich. Die Wände tragen Strukturputz mit rustikalem Wellenmuster und bunten Lichterketten.
Auf Internetseiten wie fototapete.net lässt sich ein ähnliches Design sogar mit eigenen Bildern gestalten und nach Hause bestellen. „Auch bei den Cafés hielt der Look mit der Fototapete wieder Einzug“, sagt die Münchner Architektin Veronika Immler, die für Nostalgiker ein Buch über die Siebziger gemacht hat. Sie glaubt, dass die Partykeller der ersten Stunde etwas mit Scham zu tun hatten: ausgelassen durfte man in den Nachkriegsjahren noch nicht sein, zumindest nicht so öffentlich. So ging man zum Feiern dahin, wo niemand zuschauen konnte, eingehüllt in Zigarettenqualm und Polyester. Inzwischen muss man längst nicht mehr in den Keller dafür – sondern man möchte dorthin. „Inzwischen schaffen sich auch viele einen Wohlfühl- oder Filmraum an“, sagt Professor Tschofen.
Der Rückzug als Event
Innenarchitekt Oliver Krinninger aus Passau hat vergangenes Jahr so einen Mehrzweck-Partykeller entworfen. Für einen Unternehmer, Mitte dreißig, baute er die moderne Retro-Variante: mit Flatscreen und Playstation, Musikanlage und Discokugel, Holzofen und Sesseln, alles integriert in eine Deko mit Natursteinen und Weinfässern. In einem guten Keller befindet sich alles, was man zum Überleben braucht. So wie in der Küche, nur ferner von der Welt. Dieses Einigeln ist kein neues Phänomen, Trendforscher nennen es Cocooning. Im spezifischen Fall der Wiederauferstehung des Partykellers kommt der Wunsch nach einem Erlebnis dazu, ein Rückzug mit Eventcharakter. Ist das auch eine Reaktion auf die Krisen?
Zumindest reagiert der Partykeller-Markt darauf: Es existiert eine Hausbar mit dem schönen Namen „Finanzkrise“. „Doch trotz der Krise kam der Outdoor-Boom, und es gibt nach wie vor große Festivals“, relativiert Tschofen. Eindeutige, lineare Begründungen seien für die vielen unterschiedlichen Moden einzelner Milieus kaum ausreichend. Die Trends seien heute wesentlich widersprüchlicher und differenzierter als noch vor 35 Jahren. Klar ist für Tschofen: „Wir leben in der Zeit nach den Selbstverständlichkeiten, alles wird gelabelt“.
Wer guten Geschmack hat, kocht ja auch nicht nur, sondern gibt einen Thaifood-Abend, trifft sich nicht spontan am See, sondern organisiert Monate im voraus eine thematische Radtour. Und wer sich zurücksehnt, sucht ein skurriles Motto oder witzige Accessoires. „Bars mit entsprechendem Mobiliar wollen eine bestimmte Atmosphäre erzeugen“, sagt Tschofen, „sie geben Handlungsanweisungen, wie wir uns fühlen sollen.“ Und sie bedienen in einer hoch individualisierten Ära auch den Wunsch nach einer letzten Gemeinsamkeit – und sei es die Erinnerung an den Partykeller.
Dagny Riegel kennt den Partykeller noch von den Eltern einiger Schulfreunde. Echte Küsse wurden da nicht ausgetauscht, dafür gab es Kaugummis
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