Noch bevor der Schiedsrichter anpfeift, explodieren die ersten Rauchbomben. Tausende Carabinieri halten sich bereit. Das Match wird 1:1 ausgehen, aber das interessiert niemanden an diesem kalten Dezembernachmittag. Es geht nicht um Sport, es geht um politische Konfrontation. Wenn Lazio Rom beim AS Livorno aufläuft, prallen zwei unversöhnliche Lager aufeinander. Die Hafenstadt Livorno ist das rote Herz der Toskana, Lazio dagegen der Verein mit der braunsten Anhängerschaft Italiens. Schon Benito Mussolini war Mitglied, im Gästeblock wehen Hakenkreuzfahnen und Keltenkreuze. Es ist eine Partie nach dem Geschmack von Paolo di Canio. Als der Lazio-Kapitän zu Beginn der zweiten Halbzeit ausgewechselt wird, hat er den Ball kaum berührt. Doch di Canio sorgt nicht mit seinen Beinen für Aufregung sorgt, sondern mit seinem rechten Arm. Der 37-Jährige läuft in seine Kurve und hebt die Hand zum saluto romano, dem Erkennungszeichen der Faschisten. Dem Hitlergruss.
"Natürlich bin ich ein Faschist", wird Paolo di Canio, der einst in England den Fair-Play-Pokal erhielt, später sagen. Auf seinem Oberarm hat er das lateinische Wort Dux eintätowieren lassen. Übersetzt bedeutet das Führer oder eben Duce. Lazios Kapitän macht aus seiner Bewunderung für den kahlköpfigen Diktator keinen Hehl. In seiner Biografie hat er ihm ein ganzes Kapitel gewidmet. Von den Rängen wird di Canios Gruß von Tausenden ausgestreckten Armen erwidert. Dort stehen die "Unbeugsamen", die rechtsradikalen Ultras von Lazio Rom. Der Fanklub hat angeblich mehr als 7.000 Mitglieder und feste Verbindungen zu Italiens Neonazis. Bei rechten Aufmärschen stellen die handfesten Hooligans den Ordnerdienst.
Lazio ist kein Einzellfall, der italienische Fußball rückt immer mehr nach rechts. Schwarze Profis werden in den Arenen mit rassistischen Urwaldgeräuschen empfangen. Auch die lauen Reaktionen auf di Canios Eskapaden sprechen eine deutliche Sprache. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi nahm den Stürmer in Schutz. "Das ist ein guter Junge, vielleicht ein bisschen zu extrovertiert." Lazios Präsident Claudio Lotito erklärte, der saluto romano sei halt ein lokaler Gruß, noch aus den Zeiten von Julius Caesar. Nessun´ Problema, mit Faschismus habe das nichts zu tun. Erst als die FIFA einschritt und di Canio eine Woche später gegen Juventus wieder sehr römisch grüßte, wurde er für ein Spiel gesperrt. Adriano Galliani, Präsident der italienischen Profiliga beließ es bei einer Bitte: Die Politik solle doch aus den Stadien rausgehalten werden.
Eine naive, ja heuchlerische Forderung. In Italien ist Fußball Politik. Regierungschef Berlusconi ist gleichzeitig Boss des AC Mailand. Seine Rechtspartei heißt Forza Italia, benannt nach einem Stadionschlachtruf. In den sechziger Jahren eroberten die italienischen Kommunisten nach Gramscis Konzepten gezielt die Alltagskultur. Die Volksfeste und die Stadiontribünen in der Toskana und der Emilia Romagna wurden rot. In den großen Industriestädten gab es immer mindestens einen Arbeiterverein, in dem kommunistische Fangruppen den Ton angaben.
Bis in den neunziger Jahren die Lage kippte. 1999 lösten sich die legendären CUCS (Comando Ultra Curva Sud) des AS Rom auf, 2004 verschwand die Fossa dei leoni (Höhle des Löwen), die mächtige Organisation der linken Milan-Ultras. Die Linke hat die kulturelle Hegemonie in den Stadien der Apenninenhalbinsel verloren. Die hierarchisch organisierten rechten Fangruppen passen besser zum big business des modernen Fußballs. Lazios "Unbeugsame" etwa sind fest ins Geschäft integriert. Die Chefs der Hooligans kontrollieren den Vertrieb der Lazio-Fanartikel und verdienen an den organisierten Auswärtsfahrten.
Das Fernsehzeitalter und Berlusconis Medienimperium haben die Spielregeln verändert. In den Chefetagen der Vereine hielt das große Geld Einzug, in den Fankurven die Neonazis. Mit di Canio hat der Rechtsruck auch die Spieler erreicht. Geblieben sind nur noch wenige linke Bastionen wie der AS Livorno. Auch dort verbindet Kapitän Cristiano Lucarelli Torjubel und politische Geste. Nach Treffern reckt er seinen Fans gerne die geballte Faust entgegen - zum kommunistischen Gruß. Dafür zahlte der bullige Stürmer an den Fußballverband eine dreimal höhere Strafe als di Canio für seinen saluto romano. Schon deshalb hinkt der Vergleich mit dem Lazio-Star. Während di Canio auf breite Akzeptanz bauen kann, flog Lucarelli aus der Jugendnationalmannschaft. Der Sohn eines livornesischen Hafenarbeiters hatte unter dem Trikot ein Hemd mit Che-Guevara-Konterfei getragen.
Dennoch ist Lucarelli der amtierende Torschützenkönig der Serie A. Entgegen allen Voraussagen steht der kleine Arbeiterverein Livorno derzeit auf dem fünften Tabellenplatz. Man träumt vom europäischen Wettbewerb. Die Erfolgsgeschichte ragt aus dem Ligasumpf von Geld, Gewalt und Rassismus. Ein Sportmärchen für alle, die noch an den italienischen Fußball glauben.
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