Als im jüngsten Land der Welt Mitte Dezember Orgien der Gewalt ausbrachen, war einer der Ersten, die sich zu Wort meldeten, der Hollywood-Schauspieler George Clooney – noch vor dem US-Präsidenten und dem UN-Generalsekretär. In seiner Erklärung war von der Notwendigkeit einer robusten Reaktion der Vereinten Nationen die Rede. Clooney brachte es fertig, von den „Möglichkeiten“ zu sprechen, die der Südsudan biete. Er sagte dies in einem Augenblick, da Zehntausende von Zivilisten vor Killerschwadronen auf der Flucht und mehr als 1.000 Tote zu beklagen waren.
Wie kaum sonst ein internationales Ereignis wurde der Geburt dieses noch keine zweieinhalb Jahre alten Staates die Aufmerksamkeit von Prominenten zuteil. Neben Clooney kamen auch Matt Dillon und Don Cheadle gelegentlich in die Metropole Juba und versuchten, die Weltöffentlichkeit dank ihrer Popularität auf „dieses mutige kleine Land“ aufmerksam zu machen. Wenig überraschend folgte die Geschichte, die sie dabei erzählten, einem etwas zu einfachen Skript: Der Süden habe einen blutigen zwei Jahrzehnte andauernden Kampf gegen den islamischen und chauvinistischen Norden geführt, dessen Staatschef Umar al-Baschir Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden. Wegen der zwei Millionen Kriegstoten brauche der Süden massive Entwicklungshilfen, um etwas für den Lebensstandard der Bevölkerung zu tun, der so niedrig sei, wie kaum sonst irgendwo in Afrika. Die große Bedrohung stellte in dieser Erzählung das Regime in Khartum dar. Es werde versuchen, den neuen Staat im Süden zu schwächen, um einen anderen Verteilungsschlüssel für die Öleinnahmen zu erzwingen.
Das alles klang verführerisch und ging den US-Stars vor der mit schönen Menschen bevölkerten Kulisse der überhitzten südsudanesischen Wüsten leicht über die Lippen. Leider hatte das auf absichtlichem Missverstehen basierende Narrativ einen gravierenden Fehler, was weniger schlimm gewesen wäre, hätte die Konsequenz lediglich in einer Fehlinformation der Öffentlichkeit bestanden. Leider führte die von Clooney und anderen beanspruchte Deutungshoheit zur völligen Ignoranz des komplizierten Nation-Buildings im neuen Staat und seiner ethnischen Untiefen.
Die ehemalige britische Kolonie Sudan leidet seit der Unabhängigkeit von 1956 an schwelenden internen Konflikten niedriger Intensität. Zwar wurde der offene Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd 2005 mit einem umfassenden Friedensvertrag (s. unten) beendet, doch sollte es danach eine sechsjährige „Phase der Abkühlung“ geben, um die ethnischen Spannungen einzudämmen, bevor ein geografisch nur vage definierter Süden die Gelegenheit erhielt, sich vom Norden zu trennen.
Paten der Unabhängigkeit
In den USA war der Sezessionskrieg unter anderem durch Fernsehprediger wie Billy Graham mit Leben erfüllt wurden, die ihn als heroischen Kampf von Christen und afrikanischen Underdogs gegen einen überlegenen arabisch-islamischen Gegner darstellten. Der Umstand, dass religiöse Frontlinien keineswegs so eindeutig verliefen, wurde dabei stur ausgeblendet. Die südsudanesische Sudan People’s Liberation Army (SPLA) unter der Führung des charismatischen John Garang, der 2005 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam, stritt nicht ausdrücklich für einen unabhängigen Süden, sondern für einen „demokratischen, neuen Sudan“. Sie gewann ihre Kombattanten in einem Gebiet, das weit über die Grenzen des heutigen Südsudan hinausging. Sie kämpfte auch nicht bevorzugt gegen die Sudan Armed Forces (SAF), die Streitkräfte des Nordens, sondern gegen rivalisierende Milizen, die sich oft aus denselben Stämmen des Südens wie den Dinka und Nuer rekrutierten, aus denen die Führer der SPLA kamen.
Da aber der Bürgerkrieg vorwiegend im Süden getobt hatte, sollte im Juli 2011 der zweite sudanesische Staat dort entstehen und ein Staatsvolk vereinen, dessen ethnische Basis äußerst heterogen war. Viele Volksgruppen hatten sich in den Jahrzehnten des Bürgerkrieges feindlich gegenübergestanden. Niemand unternahm während der „Phase der Abkühlung“ zwischen 2005 und 2011 ernsthaft den Versuch, verfeindete ethnische Gemeinschaften zu versöhnen. Die USA oder die UN drängten ebenso auf eine Abspaltung des Südens wie die Nachbarn Äthiopien, Uganda und Kenia. Dies führte zum Unabhängigkeitsreferendum im Januar 2011, bei dem 99 Prozent der Südsudanesen – der Euphorie des Augenblick geschuldet – für die Trennung vom Norden noch im gleichen Jahr votierten. Weil die internationalen Paten des Staates Südsudan dessen Sezession um so gut wie jeden Preis wollten, leugnete man die Gräben zwischen den Volksgruppen und bemühte die große Lüge: „Es gibt im Südsudan kein ethnisches Problem, sondern ein politisches.“
Als Schutzpatron der Republic of South Sudan fungierte eine UN-Peace-Keeping-Mission (UNMISS) – ein Unternehmen, das derzeit eine Milliarde Dollar pro Jahr kostet. Eine weitere Milliarde pumpen Geldgeber wie die USA und Großbritannien jährlich an Entwicklungshilfe in den Südsudan. Da man davon ausging, es herrsche Koexistenz zwischen den Ethnien, definierte der UN-Sicherheitsrat das UNMISS-Mandat ausschließlich entwicklungspolitisch, und entschied, mit Hilde Johnson Norwegens einstige Ministerin für internationale Zusammenarbeit mit der Leitung der Mission zu betrauen.
Zwar gab es seit 2005 Pläne zur Demobilisierung der vielen Guerilla-Gruppen im Süden, doch erschöpfte sich das Handeln der provisorischen Regierung in Juba bis zum Referendum Anfang 2011 weitgehend darin, den Kommandeuren aus der Zeit des Bürgerkrieges Geld zu schenken, um sie loyal zu stimmen. Wenig wurde getan, um Kampfeinheiten aufzulösen und im Süden eine nationale Armee aufzubauen.
Noch verhängnisvoller war das Versagen der südsudanesischen Administration nach der Unabhängigkeit, doch wurde das im Westen und bei der UNO ignoriert. Als Präsident Salva Kiir die eigene Regierung beschuldigte, vier Milliarden Dollar an Staatsvermögen und Entwicklungshilfe veruntreut zu haben, hörte man dazu kaum etwas. Als der aus dem Volk der Dinka (der größten Ethnie im Süden) stammende Staatschef, damit begann, seine Macht auf Kosten anderer Volksgruppen auszubauen und eine „Dinkokratie“ zu errichten, wurde das ebenfalls toleriert. UNMISS-Chefin Hilde Johnson rang sich lediglich zu der Erklärung durch, die Regierung müsse ihren Pflichten gegenüber der Bevölkerung nachkommen. Allerdings tobte da bereits ein erbitterter Machtkampf.
Mordorgie in Juba
Statt eine verantwortungsbewusste Regierung zu fordern, redeten die UN-Gesandten in ihrer Filiale Südsudan von Demokratie, Menschenrechten und Entwicklung, auch wenn Salva Kiir nichts dafür tat. Bestand wirklich kein Handlungsbedarf, als dieser Staatschef im Juli 2013 das gesamte Kabinett entließ, um so Vizepräsident Riek Machar, einen ethnischen Nuer, entmachten zu können? Warum blieben die Vereinten Nationen untätig, als sich Dinka und Nuer vor aller Augen auf eine Konfrontation einstimmten? Lieber nannten die UN-Diplomaten in Juba den sich immer autoritärer gebärdenden Präsidenten „einen weiterhin verlässlichen Partner“.
Als es am 15. Dezember zu ersten Gefechten kam und Angehörige der Präsidentengarde in der Hauptstadt von Haus zu Haus zogen, um Nuer-Zivilisten zu massakrieren, war noch immer von einem politischen – nicht von einem ethnischen – Konflikt die Rede. Das blieb selbst dann noch so, als jugendliche Nuer, die sich unter der Flagge der White Army aus der Bürgerkriegszeit sammelten, einen UN-Posten überrannten und zwei Peacekeeper sowie mehrere Dinka ermordeten.
Der ehemalige Kulturminister Jok Madut – er hatte sich einst mit viel Leidenschaft für den Südsudan engagiert – ist einer von vielen Intellektuellen, die dagegen protestierten, wie in den internationalen Medien über die ethnischen Massaker berichtet wird: verantwortungslos und aus dem Zusammenhang gerissen. Nachdem er mit Nuer gesprochen hat, die wie Zehntausende andere in UN-Stützpunkte geflohen sind, beschreibt Jok seine Eindrücke in einem offenen Brief: „Meine Freunde denken nicht einmal daran, in ihre Wohnungen zurückzukehren, nach allem, was sie gerade in Juba erleben mussten. Ihre Situation ist erniedrigend – Offiziere, Regierungsvertreter und Studenten fühlen sich in der eigenen Hauptstadt nicht mehr sicher, in der sie seit vielen Jahren leben.“ Auf beiden Seiten werden gar Bürgerkriegs-Veteranen aus der Versenkung geholt und als Kombattanten rekrutiert, denn die Ölfelder des Bundesstaates, der ironischerweise Unity State heißt, sind heiß umkämpft. Derzeit hält der Ex-Vizepräsident mit seinen Getreuen das Revier. In Verhandlungslaune wird ihn das kaum versetzen.
Daniel Howden ist Ostafrika-Korrespondent des Guardian
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