Im Sinne der Opfer und Nebenkläger war das nicht. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat am Dienstag vor dem ersten Strafsenat des Oberlandesgerichtes Sachsen-Anhalt der Prozess gegen die drei mutmaßlichen Mörder von Alberto Adriano im Justizzentrum Halle begonnen. Der Rechtsanwalt der Witwe Angelika verlangte zwar noch, das Verfahren gegen den dritten Täter, einen 24-jährigen Bäckersgesellen aus Bad Liebenwerda (Brandenburg) abtrennen zu lassen. Wenigstens hier hätte die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden können. Doch sowohl Generalbundesanwalt Kay Nehm als auch der Vorsitzende Richter, Albrecht Hennig, hatten schon vorher angekündigt, keine Zeit verschwenden zu wollen. Das Gericht lehnte den Antrag ab. Ob die Angeklagten bei
en bei Anklageverlesung gefeixt haben, kann nur noch kolportiert werden. Für den Prozess sind bislang fünf Tage angesetzt, das Urteil könnte bereits Anfang kommender Woche gesprochen werden. Bei einem Schuldspruch wegen Mordes steht den beiden Jugendlichen eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft bevor. Dem 24-Jährigen droht maximal lebenslange Haft.Wo Alberto Adriano am 11. Juni im Stadtpark von drei jugendlichen Neonazis so brutal zusammengeschlagen wurde, dass er drei Tage später im Krankenhaus starb, steht heute eine kleine, schmucklose Stele aus rotem Sandstein. Nur eine Rose ist eingraviert. Davor liegen einige Blumen und Beileidskarten. An den Gedenkstein ist ein Foto des Ermordeten angelehnt. Bis heute haben die Nazis es nicht gewagt, diesen Ort des Gedenkens zu schänden, wie sie es in Guben schon fünf Mal getan haben. Die Einwohner Dessaus gehen mit ihren Hunden und Kinderwagen ihren Geschäften nach, einige verweilen ein paar Minuten vor dem Gedenkstein.Am 16. Juni, fünf Tage nach dem Tod Alberto Adrianos, demonstrieren 2.000 von ihnen zusammen mit offiziellen Vertretern der Stadt, des Landes Sachsen-Anhalt und der Bundesregierung gegen die rechtsextreme Gewalt. Am selben Abend bringen noch einmal 500 Menschen auf einer spontanen Antifa-Demonstration ihre Wut und Trauer über den Mord zum Ausdruck. In Sprechchören erinnern sie daran, dass auch die gleichen Politiker, die noch am Morgen sprachen, ihren Teil beigetragen haben zum alltäglichen Rassismus auf Deutschlands Straßen.Nach der ersten Empörung über die Bluttat aber geht die Stadt zum Alltag über. In der selben Woche werden im Raum Dessau bereits drei weitere Opfer rechtsextremer Gewalttäter registriert, zwei Afrikaner und ein Sonderschüler. Der Jugendliche wird so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus an die Herz-Lungenmaschine angeschlossen werden muss. Die Moçambiquaner werden weiter mit »Heil Hitler« oder »Hey, Neger« begrüßt, berichtet der Ausländerbeauftragte von Dessau, Razak Minhel. Er nimmt seine Funktion ehrenamtlich wahr. Einen festen Ausländerbeauftragten hält man in Dessau für Luxus bei einem Ausländeranteil von zwei Prozent. In der mit 90.000 Einwohnern drittgrößten Stadt von Sachsen-Anhalt leben 1.900 Ausländer. 150 von ihnen sind Asylbewerber. »Wir sind die Minderheit, und ein Teil der Bevölkerung will nicht reden, nichts sehen und nichts hören. Das macht mir Angst«, sagt Minhel.Am 22. Juni schließlich geht bei der Dessauer Stadtverwaltung und anderen Institutionen ein Drohbrief ein, der die inzwischen gefassten Täter zu Märtyrern stilisiert und offen zu weiteren Morden aufruft: »Sie sind Helden der Geschichte ... Man muss und wird ihnen Denkmäler bauen. ... Es muss weiterhin so lange getreten, geschossen und getötet werden, bis die zuständigen Leute gezwungen werden, den Willen des Volkes zu vollziehen und der heißt: Ausländer raus! ... Es mögen noch viele auf seinen Weg geschickt werden!« Einige Tage später hätten Rechtsradikale, bekleidet mit Springerstiefeln und Lederjacken, einen Informationsstand inmitten von Dessau aufgebaut, berichtet Minhel. Und für den kommenden Samstag habe der NPD-Vorsitzende von Sachsen Anhalt, Steffen Hupka, einen Aufmarsch in Halle angemeldet, unweit des Justizzentrums, wo gegen die Attentäter Adrianos verhandelt wird.Die in Dessau untergebrachten Asylbewerber verlangen nach dem Mord von der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung Marieluise Beck ihre Verlegung nach Westdeutschland. Es ist die Reaktion auf die alltäglichen Erfahrungen an ihrem erzwungenen Wohnort: die ständige Angst vor Übergriffen und nicht nur Erfahrungen mit jugendlichen Neonazis. »Verdachtsunabhängige Personenkontrollen« der Polizei betreffen in Dessau häufig Menschen mit auffälliger, also nicht-weißer Hautfarbe. Die Beamten gingen einmal sogar so weit, Personen auf offener Straße bis in den Rektalbereich zu durchsuchen.Ein halbes Jahr vor dem Mord an Alberto Adriano standen die Reporter des Lokalsenders TV-Dessau für eine Umfrage in der Fußgängerzone. Ob man sich denn überhaupt noch durch den Stadtpark trauen könne, fragten sie die Passanten. Eine Frage, die Antworten nahe legt wie »Nein, durch die Neger und das ganze Gesindel, was da rumhängt ...«. Es gab Anrufe und Proteste beim Sender. Der betonte, dies sei noch eine der harmlosesten Äußerungen gewesen.In einem Strategiepapier NPD-naher Jugendkreise zur Schaffung so genannter befreiter Zonen, das seit Jahren im Internet kursiert, heißt es: »Aus militanter Sicht befinden wir uns dann in einer befreiten Zone, wenn wir nicht nur ungestört demonstrieren und Info-Stände abhalten können, sondern die Konterrevolutionäre dies genau nicht tun können. (...) Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind...« Die Umsetzung dieser Strategie wurde auch in Dessau versucht.Die Jugendkultur in der Stadt war bis vor einigen Jahren eher von Linken dominiert. Neonazistische Symbole und Artverwandtes in der Öffentlichkeit waren immer mit dem Risiko direkter Reaktionen durch die Autonome Antifa verbunden. 1992/93 brach die »Freie Kameradschaft Elbe Ost« als wichtigster rechtsextremer Sammelpunkt im Großraum Dessau völlig zusammen. Die Antifa konzentrierte sich danach besonders auf den Antimilitarismus und konnte selbst öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr erfolgreich verhindern.Doch seit 1996 befindet sich die lokale Naziszene wieder in stetigem Aufwind. An informellen Treffpunkten in Jugendeinrichtungen wie dem Club »Haideburg«, der vom Diakonischen Werk getragen wird, bildete sich um die Blood Mad korps ein loser Zusammenhang. Geschulte Kader kamen und kommen hauptsächlich aus den umliegenden Städten Bitterfeld, Wolfen und Köthen. Die ansässige »Freie Kameradschaft« mietete in Köthen sogar ein eigenes Haus, um die ideologische Schulung ohne Aufsicht der sonst üblichen Sozialarbeiter durchführen zu können. Es hat sich in den vergangenen Monaten zu einem wichtigen Treffpunkt der Naziszene aus der weiteren Umgebung entwickelt.Seit etwa 1998 gibt es engere Verbindungen zwischen der Nazi- und der Hooliganszene um den Oberligisten FC Anhalt Dessau. Bei einem Spiel gegen den Fußballverein Dessau 05 kam es im April 1999 zum Überfall auf einen Fanblock, in dem sich eher »Normale« und Linke aufhalten. Zwei Verletzte mussten im Krankenhaus behandelt werden. Noch am selben Abend versuchten die Nazis das Alternative Jugendzentrum der Stadt zu stürmen.Doch noch ist Dessau nicht das, was das oben zitierte Papier eine »national befreite Zone im militanten Sinne« nennt. Längst nicht überall dominieren rechtsradikales Out fit und Fascho-Lifestyle. Das Alternative Jugendzentrum konnte den Angriff erfolgreich abwehren, auch ohne Hilfe der Polizei, und die erheblichen öffentlichen Proteste haben den Vermieter in Köthen soweit in die Enge getrieben, dass er den Mietvertrag mit der Kameradschaft im Oktober voraussichtlich nicht verlängern wird. Spätestens seit dem Wahlerfolg der DVU bei den Landtagswahlen - auch in Dessau kam sie auf durchschnittlich 13 Prozent - hat sich das Bündnis gegen Rechts als Ort des Dialog zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften bewährt: Beteiligt sind neben der örtlichen PDS, dem Offenen Antifaplenum, den Gewerkschaften und den in der Flüchtlingsarbeit sehr aktiven Kirchen auch die grünen Bundestagsabgeordneten Steffi Lemke und Annelie Buntenbach. Seit Alberto Adriano tot ist, zeigt auch Bürgermeister Holger Platz großes Interesse an einer Zusammenarbeit. Das kann als Erfolg im Kampf gegen das Konzept der »national befreiten Zone« gewertet werden. Alberto Adriano hat es nichts genützt. Der Stadtpark, wo er in die Arme seiner zufällig in Dessau aufhaltenden Mörder lief, war keine.Der Generalbundesanwalt Kay Nehm übernahm bereits einen Tag nach dem Tod Alberto Adrianos die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Halle. Als Grund führte er die potentielle Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik in einem Klima der Angst und Unsicherheit an.Die Verteidigung hat bereits angekündigt, verminderte Schuldfähigkeit geltend zu machen. Die Angeklagten kämen allesamt aus schwierigen sozialen Milieus und seien zum Zeitpunkt der Tat stark angetrunken gewesen.
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