Arbeit am Selbst

Die Erfolgswelle der Make-over-Formate hat gerade erst begonnen Sie versprechen zu verwandeln, wie wir gesehen werden, und dadurch zu verändern, wie wir uns selbst sehen

Eigentlich hat alles ganz unschuldig angefangen. Der genaue Geburtstag eines der erfolgreichsten Genres der Popkultur lässt sich nicht bestimmen; irgendwann im letzten Jahrhundert wurde in Frauenzeitschriften, amerikanischen Talkshows und biederen deutschen Unterhaltungsgalas wie dem ZDF-Fernsehgarten das Format des Vorher-Nachher populär. Im Laufe einer TV-Übertragung konnte man damals etwa zusehen, wie ein ganz gewöhnlicher Zuschauer eine gar nicht besonders ausführliche Farbberatung, eine Haarschnittaufbesserung und diverse Kosmetikmaßnahmen durchlief. Es zeigte sich, dass es mit ein bisschen professionellem Make-up fast jeder zu einer gewissen Ähnlichkeit mit den attraktiven Gestalten der Fernseh-Bilderwelt bringen konnte.

Aus der Überraschungswirkung des Make-up ist inzwischen ein regelrechter Kult des "Make-over" geworden, wobei "Make-over" gewissermaßen für Generalüberholung, Modernisierung oder auch Neuerfindung einer Person steht. Die ursprüngliche, gezielte kosmetische Verbesserung hat sich zum regelrechten Imperativ der Verwandlung entwickelt. Anfangs noch belächelt, ist die Makeover-Show heute ein fester Bestandteil der Fernsehlandschaft. In Produktionen wie The Swan - Endlich Schön (ProSieben) wurden neben Kleidungsstil und Haarschnitt auch die Gesichtszüge und Körperproportionen der Teilnehmerinnen verändert. Zahlreiche Lifestylemagazine wie S.O.S. Style Home oder Avenzio - Schöner leben verleihen im täglichen Rhythmus Schlafzimmereinrichtungen, Küchenzeilen und Hundehütten ein aparteres Äußeres. Gleich die Verschönerung einer ganzen Kleinstadt, Jeffersonsville im Bundesstaat New York, nahm sich ein amerikanisches Magazin des Senders TLC, Town Haul, vor.


Das Make-over trifft einen Nerv bei den Fernsehzuschauern und scheint darüber hinaus das Zeug zum neuen popkulturellen Leitmotiv zu haben. Zeitschriften wie Men´s Health oder Fit for Fun beziehen daraus ihre Daseinsberechtigung. Die Regale in den Buchläden werden von Diät- und Fitnessbüchern überschwemmt. Schöner leben heißt heute in erster Linie: mit einer schöneren Erscheinung leben.

Es geht um die Vermittlung von Lifestylekompetenz, deren Wert in den letzten Jahren ungemein gestiegen ist. Wie gibt man dünnen Haaren einen voluminösen Look? Welcher Wein passt zum Wildlachs, welcher Pastellton zum weißen Designersofa? Fragen wie diese sind existenzentscheidend geworden, weil ihre richtige Beantwortung mehr Teilhabe an der Gesellschaft verheißt. Schwulen Männern wird dabei interessanterweise oft ein besonderes Know-How zugestanden, sie gelten als die wahren Experten des Chic.

Der Erfolg des Make-over-Formats erklärt sich dadurch, dass es verspricht, was im Grunde paradox ist: ein neues Ich. Rituell werden seine Absolventen am Ende jeder Sendung mit ihren neuen Identitätsinsignien gezeigt. Sie schwärmen enthusiastisch von ihren Erfahrungen mit neuem Look oder aufgepeppter Wohnzimmereinrichtung. Zumeist glauben sie wirklich, andere Menschen geworden zu sein und lang gehegte Fantasien von besserem Aussehen und größerem sozialen Erfolg erfüllt zu haben.

Nirgends tritt diese Rhetorik der Selbstbefreiung deutlicher zu Tage als in den schönheitschirurgischen Reality-TV-Shows. Als ProSieben und RTL im letzten Herbst ihre ersten Doku-Serien starteten, wurde in den deutschen Medien genussvoll das amerikanische Schlagwort von "Frankensteins Bräuten" zitiert, das bei den Erstausstrahlungen von The Swan (FOX) und Extreme Makeover (ABC) die Runde gemacht hatte. Der Verweis auf den Schauerroman sollte die Monströsität des Unterfangens kritisieren. Tatsächlich spräche viel dafür, die Ideenwelt der Schönheits-OP-Shows in der Nachfolge Frankensteins zu lesen. Jedoch ist etwas anderes viel erschreckender: nämlich die Gelassenheit, mit der die Sendungen beim Großteil der Zuschauer aufgenommen wurden. Die Vorstellung von der Fabrizierbarkeit des Körpers besitzt heute eben nicht mehr den gleichen Schrecken, wie sie es noch im Jahrhundert von Mary Shelley hatte.

Noch 1990, als die französische Performance-Künstlerin Orlan ihre ersten Schönheitsoperationen vor laufender Kamera unternahm und sie per Videostream live in Galerien in New York, Tokyo und Paris übertrug, stellte die Aktion einen aufrüttelnden Kommentar dar. Heute wirkt die damalige Schockproduktion fast rührend.

Die OP-Shows arbeiten daran, dass jene Schockwirkung komplett verloren geht. Legitime chirurgische Eingriffe wie die Entfernung einer Hasenscharte werden elegant mit dem Bauchdeckenstraffungs-Begehren der Krankenschwester gemixt, die es satt hat, immer nur durchschnittlich auszusehen. Die Grenzen zwischen klinischem Befund und Eitelkeit sind fließend. Als Motivation werden psychologische Schmerzen benannt, die in einer veränderbaren Eigenwahrnehmung begründet lägen: Beziehungs- oder Bindungsschwächen, ein angeknackstes Selbstwertgefühl. Der Celebrity-Look kann da helfen. Das collagenhaltige Filmstarlächeln verweist auf häusliches Glück, soll Beziehungsbande kitten und sozialen Erfolg gewährleisten. Das ganze Genre des Make-over ist erstaunlich wertekonservativ.


Die Make-over von Apartments und Häusern folgen einem ganz ähnlichen Muster. Bei genauerem Blick ist die Anschaffung einer neuen Waschmaschine nicht besonders verschieden von der neuer Wangenknochen. Brustimplantate geben ein ähnliches Versprechen wie das Schlafzimmer-Make-over: Das eines besseren, schöneren und romantischeren Lebens, das ohne die Verwandlung nicht mehr denkbar scheint. Wie bei allen Make-over-Formaten werden die arbeitsreichen Bau-Anstrengungen zwischen Ausgangspunkt und glanzvollem Endresultat auf ein paar Fernsehminuten verkürzt. Die Schmerzen der Schönheitsoperation zu zeigen, stünde dem Zuschauerwunsch nach schnellstmöglicher Befriedigung ebenso im Weg wie eine minutiöse Dokumentation der Küchenfliesen-Verlegung.

Das Make-over-Genre präsentiert sich so als die nächste Stufe der bilderreichen Konsumlogik, die Marx bei seiner Betrachtung des Kapitals nur ansatzweise erfasst hat: Das Versprechen auf persönliches Glück und individuelle Ganzheit, das die Ware mit sich bringt. Mit elegant geschwungenem Nasenbein, Hugo Boss-Kostüm und Kohler-Badezimmer, so legt das Format nahe, lassen sich, und das auf schnellstem und gründlichstem Wege, Selbstermächtigung und positives Selbstwertgefühl erreichen. Die Qualen des Nicht-Dazu-Gehörens, des Dick-Seins und des Sich-Unattraktiv-Fühlens werden vor ein unbarmherziges Ultimatum gestellt: Wenn du dich ändern kannst, dann solltest du es. Wenn du dich weigerst, dich zu verändern, dann verdienst du die Konsequenzen - das nicht eintretende Glück und das alte, erfolglose Selbst.

Die Folge ist eine widersprüchliche Spannung zwischen Selbstermächtigung und Unterwerfung, zwischen Kontrolle und Opfertum. Wenn vergängliche Schönheit und modeanfälliger Glanz plötzlich als die einzigen Mittel erscheinen, um dem drohenden Selbstverlust entgegenzutreten, dann wird die Vorstellung, dass es andere Möglichkeiten für Liebe, Leben und Ganzheit gäbe, absurd - und so das Fundament zum Zwang für immer neue Make-over gesetzt. Dass diese die Angst produzieren, die sie antreten zu heilen, hält den selbstkritikanfälligen und veränderungswilligen Zuschauer nicht ab. Das Glücksversprechen ist verführerisch genug, um wenigstens für eine Fernsehstunde einzuschalten.


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