Bushwehklage

Polittheater Die New Yorker Bühnen machen per Spielplan Politik - selbstredend gegen den amtierenden Präsidenten

Ganz gleich wie die Präsidentschaftswahl in der kommenden Woche ausgeht, die Theaterszene New Yorks scheint sich schon für einen Kandidaten entschieden zu haben. Oder besser: gegen einen. In den letzten Monaten hat das zum Naturalistischen und zum Musical neigende amerikanische Theater eine ungewöhnliche Politisierung durchlaufen. Ins Visier ist dabei vor allem die Regierung von George W. Bush geraten. Heerscharen von Dramatikern, Regisseuren und Schauspielern inszenierten eilig ihre Sicht der jüngsten politischen Entwicklungen, um die Botschaft in jedem Fall noch vor der Wahl an den willigen New Yorker zu bringen.

Selbst die großen Stars sind politisch aktiv geworden und geben eindeutige Wahlempfehlungen. Dramatiker Tony Kushner etwa, der dem restriktiven Zeitgeist der Reagan-Ära mit Angels in America eine Art Mahnmal gesetzt hat, ist dabei, die unheimliche Bush-Epoche theatral zu verarbeiten. Szenen aus dem noch unvollendeten Drama Only we who guard the Mystery shall be unhappy wurden mit prominenter Verstärkung durch die Sex-and-the City-Schauspielerin Cynthia Nixon gleich zweimal öffentlich gelesen. In dem neuen Text untersucht der für seine empathische Schreibweise bekannte Kushner die Präsidentenpolitik über den Umweg ihres menschlicheren Gesichts. Präsidentengattin Laura Bush wird von ihm mit Engeln der im Irak-Krieg getöteten Kinder konfrontiert. Die sympathische texanische Bibliothekarin liest ihnen ein paar Absätze aus Dostojewskis Die Brüder Karamasow vor, ihrem Lieblingsbuch, und wird ob der darin skizzierten moralischen Ideen von einem Gewissenskonflikts eingeholt. Kushners Gestus der Verantwortlichkeit berührt, weil er so zielsicher den blinden Fleck der amerikanischen Irakpolitik anvisiert, über den weder die Bush-Regierung noch die Bildschirmmedien sprechen: die als "Kollateralschaden" bezeichneten irakischen Kriegsopfer. Und im herbstlichen New York, das sich in politischer Aufregung befindet, stellt sich die Frage, wie das dann vollendete Drama in der Zeit nach der Wahl ankommen wird. Noch unheilvoller und mit iranischen Engelskindern? Oder als Erinnerung an einen überstandenen politischen Alptraum?

Die vielleicht schönste politische Theaterarbeit des letzten Jahres brachte ihre Variationen der Verstörung bezüglich des Präsidenten im bekannten Flea-Theater zum Ausdruck. Mrs. Farnsworth und ihr Star Sigourney Weaver faszinierten die New Yorker Theaterzuschauer dabei nicht nur, weil die Hollywood-Schauspielerin auf der Bühne mit glühenden Augen gegen Bush und nicht wie in den Alien-Filmen gegen außerirdische Hypermonster kämpfte. Mit zartem Charme, Stilsicherheit und dem auf der realistischen Bühne nötigen Fünkchen Ironie spielte Weaver eine psychisch angeschlagene Upper-Class-Demokratin aus Connecticut, die einen Schreibkurs besucht, um endlich ihre Erinnerungen an eine lang zurückliegende Affäre mit George W. niederzuschreiben. Die dramatische Vorlage von A.R. Guerney überzeugte trotz der etwas angestaubt wirkenden Bühnenpsychologie durch politische Subtilität und solide Spannungsdramaturgie. Nach und nach stellen sich die von Mrs. Farnsworth nacherzählte Jugendliebe mit dem priveligierten Alkoholiker, die von Anwälten der Bush-Familie organisierte Abtreibung in den Honduras und eine vertuschte Fahrerflucht als Übertreibungen einer wütenden Frau heraus, deren grundlegende Werte von der inkompetenten und zunehmend undemokratischen Politik ihres Yale-Freundes in Frage gestellt werden. Mrs. Farnsworths Skandalon ist die Bigotterie des in New England aufgewachsenen Politikers, der die elitären Klassenschranken mit politischem Kalkül übertrat und sich nach seinem Umzug nach Crawford eine fiktive Identität als texanischer Kumpel zulegte, die sogar einen gefakten Akzent einschloss. Wie Guerney dabei die unterschiedlichen Weltsichten der Republikaner und Demokraten nebeneinander stellt, zeugt von einem guten Ohr für die Abgründigkeiten der oft etwas konspirativ gefärbten amerikanischen Politikdiskurse und von einer tief empfundenen ideologischen Spaltung im amerikanischen Bewusstsein.

Solche vorsichtigen und komplexen Versuche sind für das Theater im politischen Ausnahmezustand allerdings selten. Die Regel bestimmen Theaterarbeiten, die auf den Appeal der Entrüstung setzen und sich hemmungslos dem amerikanischen Intellektuellensport des Bush-Bashings hingeben. Genussvoll etwa führte der Performance-Künstler Hieronymus Bang seine Zuschauer in geheime Brooklyner Theaterräume, ließ sie über seine wahren Namen im Dunkeln und stellte in der deutlichen Arbeit I´m gonna kill the President unter anderem die Folterbilder aus Abu Ghraib nach. Autorin und Regisseurin Jane Martin befreite die First Lady in einer lesbischen Super-Farce mit dem recht obszönen Titel Laura´s Bush aus ihrer homophoben Prüderie. Und Perfomance-Verteranin Karen Finley zerrte einen nackten George Bush auf die Bühnencouch, verpasste ihm eine halsbrecherische Intimrasur und analysierte ihn als weinerlichen, infantilen Dummkopf mit ödipalem Komplex. Wie therapeutisch der Aufschrei der politischen Empörung für Hieronymus Bang und Co. auch sein mag, ihre Unternehmungen blieben zumeist recht unbefriedigend. Anzügliches Kabarett gehört in die Late Night Shows des Fernsehen.

Die zauberhafte, manisch-depressive Mrs. Farnsworth schreibt ihren Enthüllungsroman am Ende übrigens doch nicht. Sie gelangt zur Einsicht, dass ihre wütende Entrüstung keine Grundlage fürs Künstlerische wäre. Stattdessen würde sie eine Liebesgeschichte mit dem ebenfalls in Yale studiert habenden John Kerry erfinden, einem ganz und gar fabelhaften und integren Mann mit politischen Visionen.


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