Alles fing damit an, dass ich beim Tanzen im Big Six Tobey Maguire anrempelte. In dem rappelvollen Club in Manhattans Lower East Side wurden auf Dutzenden von Monitoren über der schlanken Teakholz-Bar Episoden von Jem gezeigt - jener formidablen Comicserie, in der eine gute Mädchenband mit Vokuhila-Frisuren und Steghosen um Ruhm und hübsche Jungen gegen eine böse Mädchenband kämpft, deren Vokuhilas schrill gefärbt sind. Als ich mich durch die schwitzende Menge drängte, um noch einen Drink zu holen, fiel mir plötzlich eine Figur ins Auge, die an der Bar stand, gebannt auf die Jem-Bildschirme starrte und mich an meine lesbische Freundin Astrid aus Berlin erinnerte. Ich kannte den Typen mit seiner großgerahmten Brille und seiner tief ins Gesicht gezogenen, schwarzen Rapper-Mütze. Ich wusste nur nicht, woher. Schließlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich stand neben einem Star, einem richtigen Star aus Hollywood! Ich hatte ihn mir nur größer vorgestellt, eigentlich wirkte er ohne Filmleinwand sogar recht unspektakulär. Eine Stimme in mir sagte, dass es das Vernünftigste sei, so zu tun, als wäre nichts vorgefallen. Aber schon nach wenigen Minuten war es dafür zu spät. Auf dem Rückweg von der Bar stolperte ich in seine Arme, rettete im letzten Moment mein Glas vor dem Verschütten und mit einer anderen Stimme - dergleichen, mit der ich gerade meinen dritten Wodka-Tonic bestellte hatte - platzte es aus mir heraus "Hey, du bist doch Spiderman!" Dass Tobey Maguire mir ein kleines, müdes Lächeln schenkte, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich gerade einen Fauxpas begangen hatte. Natürlich waren die meisten anderen angetrunkenen Nachtschwärmer brennend an ihm interessiert. Aber sie zogen es vor, ein paar diskrete Seitenblicke zu werfen. Ich hätte auf meine innere Stimme hören sollen, die mich mit richtigem Gespür auf jene Anstandskonvention hingewiesen hatte, die besonders in New York gilt.
Nach der Hollywoodmetropole L.A. ist Manhattan einer der wenigen Orte auf der Welt, wo man kleineren und größeren Celebrities alle naselang über den Weg läuft. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde in New Yorks Broadway-Theatern die moderne Konzeption von Ruhm und Startum erfunden, noch bevor Hollywoods Leinwandstars die Bildfläche betraten. Und wie damals wird der Glanz und Glamour der Schönen und Berühmten hier noch heute mit einer Alltäglichkeit hingenommen, die sich deutlich von der - aus Ostküstenperspektive - etwas frivol empfunden Star-Verehrung in Los Angeles absetzt. Oder gar von der nahezu obszönen Celebrity-Begeisterung in Miami, das sich zum populärsten Party-Ort für Rapper, Soap-Stars und Amerikas Superreiche gemausert hat. In New York wird vom Auftritt des Stars ebenso wie von dem des Fans Klasse und vornehme Zurückhaltung erwartet. Man trifft Nicole Kidman in der Oper im Lincoln Center, Deborah Harry alias Blondie bei Galerieeröffnungen in Chelsea und Heidi Klum beim Shoppen auf der Madison Avenue. Niemand möchte bei solchen Beschäftigungen gestört werden. Der Kitzel der Celebrity-Begegnung mag zwar darin bestehen, magisch angezogen immer wieder in die Richtung des Stars zu schauen und dabei den Schauder der bangen Frage zu genießen, ob er oder sie es nun sei oder nicht, um später natürlich seinen Freunden von der Begegnung zu erzählen. Doch die hohe Kunst des versierten Star-Verehrers besteht genau darin, so zu tun, als würde ihn dieses Ereignis überhaupt nicht tangieren. Als passierte es ihm alle Tage, in einem noblen Restaurant zufällig neben Jessica Parker zu sitzen oder auf einer Straßenkreuzung plötzlich ins Gesicht von Frances McDormand zu schauen. Ansprechen ist ebenso untersagt wie das Zücken eines Fotoapparats - eine Geste, mit der man sich entweder als Tourist oder als frisch zugezogener Amerikaner aus dem Mittleren Westen outet. Doch Habitus hin oder her. Es ist verführerisch, diesen Verhaltenscode zu brechen. Das Gefühl der Sensation, die einem beim Anblick einer Celebrity durchfährt, ist beträchtlich. Genauso wie das irrationale Versprechen, dass ein wenig Star-Glitzer abfärbt, wenn man im Abglanz der Berühmtheit steht.
Nach meiner Begegnung mit Mr. Maguire befand ich mich im Zustand einer kleinen Starsucht, einem stillen Rausch, der nach mehr verlangte - und der mehr bekam. Ehrfurchtsvoll erstarrte ich vor der immer noch wahnsinnig aparten Deborah Harry, als ich ihr im Tunnelgang einer kühn gewölbten, deckenhohen Eisenskulptur von Richard Serra begegnete. Kurz nachdem sie mich bemerkte, zog sie sich eine große, dunkle Designersonnenbrille ins Gesicht, welche eben noch im kurzen, strohblanden Haar gesteckt hatte. Bei einer Tanzpremiere des Choreografen Bill T. Jones zuckte ich zusammen, als Glenn Close majestätisch in den Galasaal glitt und sich zwei Reihen vor mir niederließ. Für eine Weile konnte ich nur noch an ihren wunderbar leichten, plauschigen Nerzschal denken, der ausgezeichnet zu ihrem perfekt geschnittenen, kobaltblauen Samtkleid passte. Befriedigung allerdings fand ich in meiner Zeit als ehrfürchtiger Celebrity-Scout vor allem in den vielen Theatern der Metropole, die seit einigen Jahren eine regelrechte Glamour-Renaissance erleben. Hollywoodschauspieler aus allen Sparten - von Denzel Washington und Sigourney Weaver bis Kathleen Turner und Ben Stiller - besinnen sich hier auf eine Art der Imagepflege, die auf altmodische Werte wie schauspielerisches Handwerk, Virtuosität und Publikumsnähe setzt, und ackern sich für einen Bruchteil ihrer üblichen Gagen auf den beschwerlichen Bühnen des Broadways und des Off-Broadways ab. Vielleicht nehmen die Celebrities diese Theateraufträge an, um ein künstlerisches Ventil zu finden, um dem engen filmischen type casting zu entkommen oder um sich als das gute Gewissen Amerikas in politischen Theaterarbeiten ins Zeug zu legen. Wichtiger aber ist, dass sie es schaffen, einer schon fast vergessenen Idee des Startums wieder neuen Schwung zu verleihen und eine Brücke zwischen einvernehmlicher Massenwirksamkeit und entrücktem Glanz zu bauen. Sie geben den starsüchtigen New Yorkern Gelegenheit, sie live und aus nächster Nähe zu erleben. Außerdem befinden sich die meisten Bühnen der Stadt in kleinen Theaterhäusern ohne Hinterausgang, so dass man, selbst wenn man die Premierenparty verpasst hat, die Leinwandstars nach der Aufführung zusammen mit den Zuschauern durch den Haupteingang nach Hause gehen sieht. Nichts schien mir für lange Zeit aufregender, als die bekannten Schauspieler, deren Gesichter mir durch zahllose Filme ins Gedächtnis gebrannt waren und die mir wie vertraute Bekannte erschienen, ohne Beleuchtung und Make-up zu sehen. Ich wartete wie hypnotisiert auf Isabelle Huppert, Vanessa Redgrave oder Mia Farrow, nur um einen letzten, unverstellten Blick in ihre Gesichter werfen zu können.
Zu meiner großen Enttäuschung hielt bei solchen Begegnungen das Charisma der Stars nur selten meinen Erwartungen stand. Als ich Ethan Hawke bei einer Premierenparty gegenüberstand, war er nicht der sensible und doch so zerrissene Hollywoodmann, als den ich ihn mir immer vorgestellt hatte. In natura erschien er als ein brummiger und verwuschelter Normalo in einem karierten Flanellhemd. Sarah Jessica Parker, der fernsehschauenden Welt als die säulenheilige Glamourkolumnistin Carrie Bradshaw bekannt, sah richtiggehend verstört aus im Le Bernardin, dem besten Restaurant der Stadt, in das ich von einem Freund zum Geburtstag eingeladen wurde. Nervös und unglamourös rutschte sie neben ihrem Ehemann Matthew Broderick auf dem Stuhl herum, schaufelte Foie Gras und Tuna-Tartar in sich hinein und nahm ihre Sonnenbrille nicht ein einziges Mal ab. Als ich ein paar Tage später einen kurzen Blick auf Mia Farrow erhaschen konnte, musste ich dagegen vor entrücktem Glamourüberschwang kurz den Atem anhalten. Unbeschreiblich wundervoll huschte die inzwischen Sechzigjährige nach einem ihrer ebenso seltenen wie brillanten Theaterauftritte schüchtern durch die wartende Zuschauermenge - mit nach unten gesenktem Blick, darauf bedacht, keine Glückwünsche oder gar Huldigungen entgegenzunehmen. Für sechs flüchtige Sekunden war sie so unaussprechlich schön und erratisch!
Solche Erfahrungen sind selten, auch wenn man sich den New Yorker Anstandsregeln folgend als gelassener Celebrity-Scout gibt. Das Versprechen der Star-Präsenz geht üblicher Weise mit der Unmöglichkeit seiner Einlösung einher. Auch Stars haben Gewichtsprobleme, bad-hair-days und nicht selten Schwierigkeiten, die Jeans mit dem perfekten Sitz zu finden. Wovon man berührt wird, ist die Verführung jener Form von Celebrity-Sichtbarkeit, die von verschiedenen Medienspektakeln beflügelt, besonders in Amerika häufig als ultimativer Existenzbeweis missverstanden wird. Unsere Bewunderung für die meisten Berühmtheiten hat nur noch selten mit ihren herausragenden Leistungen, ihrem erinnerungswürdigen Schauspiel oder ihrer künstlerischen Virtuosität zu tun. Was heute zählt, scheint vielmehr ein alles umfassender Kult des bloßen Gesehen-Werdens zu sein. Kino, TV und Magazin-Cover verbürgen für eine besondere Form der Existenz, die alle anstreben und die für einen besonderen Reichtum an Emotionen, Dramen, Lebensfreude und Genuss steht. Wir schauen auf Celebrities wie auf Leute, die es geschafft haben, und unser manchmal ein wenig törichtes Ich macht uns glauben, dass auch wir es irgendwie geschafft haben, wenn wir uns in ihrer Nähe befinden. Zum Glück hatte ich an jenem Abend im Big Six keine Kamera dabei; Mr. Maguire wäre nicht erfreut gewesen.
Einige Monate später, bei einer Tanzveranstaltung in der Brooklyn Acadamy of Music musste ich beim Rauchen im eisigen Novemberwind beobachten, wie der legendäre Mikhail Baryshnikov von einer Gruppe jüngerer Frauen mit digitalen Fotoapparaten und Mobiltelefonen belagert wurde. Dabei hatte dieser unbestritten schönste, kraftvollste und eleganteste Tänzer aller Zeiten sich in der Pause nach draußen in die Kälte geflüchtet, um solcher Belagerung zu entgehen. Zwischen zwei Fotos schenkte mir Mr. Baryshnikov einen genervten Blick, hob eine Augenbraue und holte tief Luft. Ich nickte mitfühlend. Ich hatte gelernt.
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