Es ist eine Tradition in der deutschen Buchlandschaft, die sich alle vier Jahre mit schöner Regelmäßigkeit wiederholt. Im Sommer und im Herbst vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl überschwemmen die Verlage den Markt mit Sachbüchern, deren Thema am besten mit der Frage "Was ist los in den USA?" charakterisiert werden kann. Oft sind die dünnen Bändchen schon zum Zeitpunkt ihres Erscheinens nicht mehr aktuell. Die Halbwertzeit solch eines politischen Sachbuchs ist schließlich nicht gerade lang, wenn inzwischen schon der reguläre Nachrichtenzyklus in Kabelfernsehen und Internet durchschnittlich 24 Stunden dauert.
Trotzdem scheint das Geschäft lukrativ genug. Manche Bücher sogar, wie zuletzt die seichten Alltagsbeobachtungen Mein Amerika - Dein Amerika von ARD-Korrespondent Tom Buhrow und seiner Frau Sabine Stamer, werden zu regelrechten Bestsellern. Das Amerikabuch dieser Saison, das der deutschen Leserschaft die Vereinigten Staaten näher bringen soll, ist der Reisebericht der bekannten taz-Journalistin Bettina Gaus, der treffender Weise mit Auf der Suche nach Amerika betitelt ist.
Mit Disziplin und Charme
Gaus gilt als eine von Deutschlands "Alphajournalisten", wie sie kürzlich von Stephan Weichert und Christian Zabel in deren gleichnamigen Buch bezeichnet wurde. Ihre Kommentare und Kolumnen erscheinen nicht nur in der taz, sondern werden auch von diversen Radiosendern gesendet. Dass sie eine verdienstvolle Journalistin ist, merkt man ihrem Amerika-Buch auf jeder Seite an - an der handwerklichen Disziplin und der Sicherheit des leichten, informativen Tons. Ein entzückter Nils Minkmar sprach dann auch in der FAZ von einem "Buch voller Charme und Humor" und Cord Aschenbrenner legte in der Süddeutschen Zeitung mit dem Urteil "unterhaltsam, anregend und - ja, auch - bildend" nach.
Um es vorwegzuschicken: Bettina Gaus findet Amerika nicht und begegnet diesem Umstand mit verhaltener Koketterie. Dabei klingt die Prämisse für ihren Bericht auf den ersten Blick nicht einmal unoriginell. Der heute fast in Vergessenheit geratene, amerikanische Romancier John Steinbeck nahm sich 1960, im Jahr des Präsidentschaftswahlkampfs zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon, drei Monate Zeit, um die Vereinigten Staaten mit einem ausgebauten Wohnwagen zu durchfahren. Letztes Jahr begab sich Gaus, auf Anraten eines befreundeten Filmemacherteams, wie sie selbst beschreibt, auf eine "Graswurzelreise, um seinen Spuren zu folgen."
Als New Yorker Literat hatte Steinbeck damals das Gefühl, sein eigenes Land nicht wirklich zu kennen und suchte daher fern ab vom Großstadtleben den Kontakt mit der Landbevölkerung. Die Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika ist ein ebenso sympathischer wie aufschlussreicher Reisebericht, der tief in die amerikanische Psyche blicken lässt. Nicht zuletzt, weil Steinbeck den Pioniergeist seiner Vorfahren teilte und sein Projekt auch ein Unternehmen der Selbstfindung darstellte. Dem Buch der deutschen Journalistin, das mit Steinbecks Reisereflexionen den Untertitel teilt, fehlt diese Auseinandersetzung mit der eigenen Nationalität natürlich. Gaus ist ja keine Amerikanerin. Aber leider ist auch der Rest des intellektuellen Reisegepäcks etwas leicht ausgefallen.
Die anstehende Wahl zwischen Barack Obama und John McCain ist vielleicht die wichtigste Wahl in der amerikanischen Geschichte seit eben jener Entscheidung zwischen Kennedy und Nixon, der sich Steinbeck gegenübersah. Heute hat sich eine bleierne Stimmung über das Land gelegt, die selbst hartgesottene Amerikaner nur noch schwer aushalten. Eine ganze Generation von ihnen verliert nicht erst seit vorletzter Woche, sondern schon seit über einem Jahr ihre Rentenrücklagen und ihre Häuser. Die Sozial- und Gesundheitsversorgung befindet sich im schlechtesten Zustand seit Roosevelts New Deal. Es liegt eine nur schwer unter Kontrolle gehaltene Hysterie in der Luft, quer durch alle amerikanische Bevölkerungsschichten: Ein intensiv recherchierter Reisebericht mit einem Gefühl für die Geschichte des Landes und die Drastik der derzeitigen Situation wäre sehr willkommen, ja geradezu notwendig gewesen.
Von Maine nach Arizona
Stattdessen liefert Gaus jede Menge notdürftig zusammen gesammelter Plattitüden im Plauderton. Das liest man Sätze wie: "Wald! Gibt es für eine Deutsche, die gerade in Gefahr ist, schwärmerischer Sehnsucht nach der Natur anheimzufallen, ein verheißungsvolleres Wort? Leider nicht." Dieser Tenor trägt das Buch für eine Zeit. Doch irgendwann setzt Langeweile ein, weil auffällt, dass er mangelndes Interesse und einen auffälligen Mangel an Wissen überdeckt. Das beginnt schon mit der Begründung der Journalistin, ebenso wie Steinbeck, gerade dünn besiedelte amerikanische Landstriche zu bereisen, da dort das wirkliche Amerika zu finden wäre.
Zum Zeitpunkt von Steinbecks Reise war dies nachzuvollziehen. Heute wirkt diese Idee vom ländlichen Amerika, die man auch als patriotisches Totschlag-Argument aus der republikanischen Propaganda kennt, geradezu absurd. Der letzten Volkszählung des Jahres 2000 zufolge leben heute 80 Prozent der Amerikaner in Großstädten und Ballungsgebieten. Die authentische Verfassung dieser Nation lässt sich also gerade nicht am Bewusstsein ihrer Kleinstadtbewohner festmachen. Das geht weiter mit den thematischen Schwerpunkten, die Gaus setzt. Als Leitfaden dienen der Journalistin die vielen Gespräche, die sie mit Amerikanern von Maine bis nach Arizona, von Montana bis nach Florida geführt hat und die Zufälle, die sich durch ihre spontanen Reisen ergaben. Ideale Voraussetzungen also für frische Informationen und neue Perspektiven. Doch auf den 237 Seiten des Reiseberichts finden sich nur Schilderungen, die aufmerksamen Lesern schon aus den Magazin- oder Tageszeitungsbeitrag anderer Amerikakorrespondenten vertrautsein dürften.
Die an eine Weltverschwörung glaubende, in einem Wohnwagen lebende Familie aus Florida taucht ebenso auf wie das schwarze Paar aus dem Mississippi-Delta, dessen Existenz von dem Hurrikan Katrina zerstört wurde. Gaus schreibt über das vom Siegeszug der Einkaufszentren verursachte Absterben der Kleinstädte in Bundesstaaten wie Texas oder über die Unheil verheißenden Dürren in der kalifornischen Mojave-Wüste. Doch daraus entsteht keine kohärente Gesamtsicht.
Niedergang eines Modells
Man trifft auf viele freundliche Amerikaner, von denen sich einige ein bisschen schämen, in den letzten beiden Wahlen für George W. Bush gestimmt zu haben. Tiefer gehende Beobachtungen über die Psyche der Bewohner eines Empires, das am Rande des Abgrunds dahin taumelt, sucht man aber vergeblich. Für Gaus sind die Vereinigten Staaten eine immer noch relativ heile Welt, wo einige Menschen vielleicht ein bisschen zu wenig verdienen und andere keine Krankenversicherung haben, aber schon irgendwie zurechtkommen. Gegenwärtigen Umfragen zufolge wird diese Ansicht jedoch von einem Großteil der Amerikaner längst nicht mehr geteilt.
Das Wohlwollen, das dem Buch von Bettina Gaus entgegenschlägt, ist insofern betrüblich, als einige Veröffentlichungen vorliegen, die ein wesentlich realistischeres Bild von den USA zeichnen, doch in Feuilletons und Buchhandlungen kaum Beachtung finden. Kein Frieden mehr. Die USA im Kriegszustand der Schweizer Journalistin Lotta Suter aus dem Rotpunktverlag etwa lotet überzeugend und skrupulös zugleich die Auswirkungen im Alltag einer Ära aus, die als eine des permanenten Krieges bezeichnet werden könnte - die Ära des George W. Bush.
In einer tagebuchartigen Chronik des Jahres 2007 zeichnet die seit 1997 im neuenglischen New Hampshire lebende Suter, die auch Autorin des Freitag ist, das beunruhigende Porträt eines an sich selbst zerbrechenden Landes. Diese Perspektive ermöglicht Suter eine viel genauere Bestandsaufnahme. Auch Fareed Zakarias bisher noch nicht übersetztes The Post-American World aus dem Haus W.W. Norton beeindruckt durch die analytische Klarheit, mit der der derzeitige Epochenumbruch beschrieben und der unwiderrufliche Niedergang des amerikanischen Lebensmodells beschrieben wird.
Aber vielleicht möchten deutsche Leser auch einfach nicht beunruhigt werden. Der Erfolg von Amerika-Büchern wie dem von Gaus legt nahe, dass man hierzulande lieber die Augen vor dem Zusammenbruch des großen Bruders vor lieber die Augen verschließen würde. Die Reflexion über Amerika im Schutze vertrauter Klischees verschafft schließlich auch immer ein Gefühl von Sicherheit - und die Illusion, dass die Deutschen von der Erosion der USA nicht betroffen wären.
Tom Buhrow und Sabine Stamer Mein Amerika - Dein Amerika. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2007, 288 S., 8,95 EUR
Bettina Gaus Auf der Suche nach Amerika. Begegnungen mit einem fremden Land. Eichborn, Frankfurt am Main 2008, 237 S., 19,95 EUR
Lotta Suter Kein Frieden mehr. Die USA im Kriegszustand. Rotpunktverlag, Zürich 2008, 290 S., 24,00 EUR
Stephan Weichert und Christian Zabel Die Alphajournalisten - Deutschlands Wortführer im Porträt. Herbert von Halem-Verlag, Köln 2007, 415 S., 23 EUR
Fareed Zakaria The Post-American World. W. W. Norton, New York 2008, 288 S., 25,95 EUR
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