Weihnachten erinnert uns an die Stimmen der himmlische Heerscharen in der nächtlichen Stille von Bethlehem: „Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.“ Und so Wohlgefallen finden. Still ist es derzeit nicht in der weihnachtlich geschmückten Innenstadt rund um die Geburtskirche. Touristen und christliche Pilger haben die diskriminierenden Checkpoints hinter sich gebracht, um die vermeintliche Stelle, an der das Jesus-Kind in der Krippe lag, am Ort mit heute moslemischer Mehrheit zu besuchen. Zwischen Bethlehem und Jerusalem verläuft die bis zu neun Meter hohe Mauer. Ein Graffiti mahnt: „Don’t let this become another Berlin“. Ein Guide kommentiert: Seit der Mauer habe man hier so gut wie keine Anschläge mehr. Allerdings sei umstritten, ob es an diesem monströsen Zaun läge, der Löcher habe und erst zu 60 Prozent fertig sei, oder ob nicht vielmehr die israelischen und palästinensischen Geheimdienste durch Zusammenarbeit die Gefahr im Voraus stoppen.
Friede den Menschen, die guten Willens sind?
Nach den Anschlägen 2001 in New York betont zumindest die PLO den gewaltlosen Kampf. Im Autonomiegebiet nach einer Lösung des Konflikts befragt, sagen einige ihrer Intellektuellen, es gäbe keine. Israel würde seine Siedlungen niemals freiwillig aufgeben. Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind?
Was haben acht Jahre „humanitärer Einsatz“ in Afghanistan dem Frieden gebracht? Heute toleriert man einen sich durch Korruption an der Macht haltenden Stadthalter und bekämpft im Bunde mit diesem die einst von den USA gegen die Sowjets aufgerüsteten Taliban. Die wiederum nichts zu tun haben mit den al-Qaida Anschlägen in New York, gegen die sich zu verteidigen doch die einzige Legitimation dieses NATO-Einsatzes war. Wie lange darf man übrigens vorgeben, sich zu verteidigen, ohne ein weiteres Mal angegriffen worden zu sein? Die Frage ist völkerrechtlich völlig ungeklärt. Ein kriegsähnlicher Zustand ist auch ein völkerrechtsähnlicher Zustand.
Die Taliban haben in diesem Jahr ihren Widerstand verdoppelt. Obama stockt die Truppen auf und erwartet Bündnistreue. Immerhin nennt er jetzt einen Abzugstermin: 2011. Dieses Datum hatte der Freitag- Aufruf von Künstlern und Intellektuellen im September in die Debatte gebracht.
Andererseits wirft Obamas kriterienloses Gerede von zuweilen unvermeidbaren Kriegen die Welt auch argumentativ zurück in das Theorie-Chaos der Gerechten Kriege. Dadurch wird immer eine Gewaltspirale in Gang setzt, weil jede Seite nach ihrem Selbstverständnis gerecht ist. Spätestens seit Cicero war klar, dass Krieg, wenn überhaupt, nur dann ethisch sein kann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Der Angriff auf Afghanistan steht weitgehend im Widerspruch zu diesen Kriterien: Die terroristischen Anschläge vom 11. September nicht als das zu behandeln, was sie wirklich waren, nämlich Schwerstkriminalität, sondern sie als Angriffskrieg zu deklarieren, gegen den man sich auf unabsehbare Zeit kriegerisch verteidigen darf. Dies gehört zu den großen Taschenspielertricks der Geschichte.
Verlieren wir den Krieg in Afghanistan?
„Wir können uns vor Selbstmordattentätern nicht schützen und wollen dennoch, dass sie damit aufhören. Also werden wir mit ihnen verhandeln, ihnen zuhören müssen. Terrorismus ist ein Schrei, der gehört werden will“, sagte ich auf dem weihnachtlichen Friedensratschlag vor fünf Jahren in Kassel. Der Freitag, von Anfang an gegen diesen Krieg, hat den naheliegenden Gedanken mehrfach aufgegriffen. Heute gilt er als neueste Strategie des Bundesverteidigungsministers, der einräumt, einen Krieg zu führen, der nicht zu gewinnen ist. Heißt das, wir werden den Krieg verlieren? Oder nur den Auftrag nicht erfüllen?
Aber es muss eine vernünftige Hoffnung auf Erfolg geben, sonst ist es unmoralisch, Zerstörung zu verursachen. Und Erfolg kann nicht „Vernichten“ bedeuten. Offenbar herrscht Konfusion darüber, wer eigentlich was am 4. September in Kunduz befohlen hat, welche eventuelle Verschärfung der Einsatzregeln von welchem Mandat gedeckt ist, und wer wann warum wovon wusste. Die Übel, die ein Krieg zufügt, dürfen niemals größer sein als das Unrecht, das er beseitigen soll. Doch moderne Kriegsführung macht eine Unterscheidung von Militärs und Zivilisten immer schwerer, auch lässt sich die Verhältnismäßigkeit von kriegerischen Aktionen kaum noch vorhersagen. Ein Grund mehr, äußerst vorsichtig mit Gewalt umzugehen, die langfristigen Folgen zu bedenken, sich daran zu erinnern, dass Krieg rechtlich geächtet ist. Die leidgetränkte Unterscheidung in legitime Verteidigung und ungerechtfertigten Angriff ist hinreichend. 2010 entscheidet sich, ob die Strategie des verhandelten militärischen Rückzugs gilt, bei dem der friedliche Aufbau von einheimischen Sicherheitskräften geschützt wird, oder ob es zu einem noch robusteren Mandat kommt, dass durch eine Grundgesetzänderung den präventiven Angriffskrieg legitimiert. Spätfolgen eines solchen sind in Jerusalem zu besichtigen. Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind.
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