Gender Trouble im Krieg gegen den Terror?

Geschlechterbrille Susan Faludi erklärt in ihrem neuen Buch Amerikas Gegenwart mit Geiselgeschichten aus der Vergangenheit. Eine gute Idee, leider ungenau ausgeführt

Susan Faludi (48) ist eine elegante und prominente amerikanische Feministin, Pulitzer-Preisträgerin, und Bestsellerautorin, die regelmäßig für Aufruhr sorgt. Ihr erstes Buch trug den Titel Backlash. Die Männer schlagen zurück (englisch: 1991, deutsch: 1993), im Original mit dem Zusatz The Undeclared War Against American Women. Die griffige These von Backlash: Der Feminismus ist unter heftigen Beschuss geraten, emanzipatorische Errungenschaften laufen Gefahr, zurückgedreht zu werden. 1999 folgte Stiffed oder Männer - das betrogene Geschlecht (deutsch: 2001). Faludi durchleuchtet darin mit ihrem feministisch geschulten Blick die Männer und entlarvt sie als überforderte Krisenmanager ihrer selbst, denen unerreichbare Männlichkeitsideale und der eigene Größen- und Kontrollwahn zum Problem werden; als filmische Thesenstütze zitierte sie in einem nachgeschobenen Newsweek-Artikel David Finchers Film Fight Club.

In Susan Faludis neuem Buch, The Terror Dream. Fear and Fantasy in Post-9/11 America überlagern sich diese beiden Ansätze. So sieht sie im amerikanischen Krieg gegen den Terror einen neu angefachten Krieg gegen die Frauen versteckt. Mit der Kriegsrhetorik nach 9/11 sei ein sehr rückwärtsgewandtes Geschlechtermuster reaktiviert worden: Der Mann als zupackender John-Wayne-Cowboy, die Frau als passives Opfer, das gerettet werden muss. Faludis wichtigstes Fallbeispiel sind die Vorkommnisse rund um die Soldatin Jessica Lynch. Lynch war 2003 schwer verletzt in ein irakisches Krankenhaus eingeliefert und dann von der amerikanischen Armee "befreit" worden. Die Medien schlachteten ihre Geschichte breitflächig aus und erfanden immer neue Aspekte dazu. Aus der Spitalpflege wurde eine brutale irakische Gefangenschaft, Lynchs schwere Verletzungen, die von einem Autounfall her stammten, deutete man als Folter- und Vergewaltigungsfolgen. Entsprechend heroisch geriet die dazu gehörige Rettung. Es dauerte Monate, bis öffentlich Zweifel laut wurden.

Wie Faludi nochmals genau aufzeigt, war tatsächlich kaum etwas Wahres dran, an dieser propagandistischen (von Militär und Regierung mitfabrizierten) Erzählung einer Gefangenschaft und Befreiung. Faludis wichtigste Frage lautet nun aber: Warum hat man ausgerechnet diese Geschichte verbreitet, und warum wurde sie so bereitwillig geglaubt? Die Antwort dazu findet sie im 17. Jahrhundert, in der Frühzeit der USA. Die ersten Bestseller unter den neuen Besiedlern des amerikanischen Kontinents waren damals die "captivity narratives" - also Erlebnisberichte, die weiße Puritanerfrauen (und -männer) niederschrieben, nachdem sie bei Indianerüberfällen in die Wildnis verschleppt und von den Indianern als Geiseln genommen worden waren, um Land, Geld und später auch Glaubensbekenntnisse zu erpressen. Diese Erzählungen betonten die Entbehrungen und Verzweiflungen der Gefangenschaft bei den Wilden ebenso wie die - auch in einem religiösen Sinn verstandene - Befreiung als Erlösung aus lebensbedrohlicher Not. Das Muster, nach welchem die Jessica-Lynch-Propaganda, viele Western-Filme und die von Faludi behauptete aktuelle Re-Domestizierung der Frauen gestrickt sind, ist also gut 300 Jahre alt. Und The Terror Dream zeigt auch auf, wie im Lauf der Rezeption dieser Geiselgeschichten nicht selten die Tatkraft der Frauen geschmälert, die Rolle der Männer dagegen aufgeblasen wird.

Damit arbeitet Susan Faludi als eine der ersten überhaupt eine auffällig reiche Traditionslinie von Geiselgeschichten heraus, die die amerikanische Nation und Imagination von ihren Anfängen bis zum heutigen Tag umgetrieben und geformt haben. Geiselopfer dienen zweifellos - und bis heute - als komplexe, kollektive Identifikationsfiguren für die verwundbare und gleichzeitig aggressive Großmacht. Doch leider holt sie aus dieser spannenden Beobachtung höchstens eine halbe Wahrheit heraus. Denn mit Faludis dominantem Interpretationsmodell "starker Mann - schwach gemachte Frau" lässt sich nicht erklären, warum heute ausgerechnet Hillary Clinton so nahe an einer Präsidentschaftskandidatur ist wie noch keine Frau zuvor. Und warum das einzige langjährige Mitglied in George W. Bushs Kabinett, das immer noch relativ unbeschädigt an seiner Seite steht, seine ehemalige Sicherheitsberaterin und jetzige Außenministerin Condoleezza Rice ist.

Dieser - gerade in Anbetracht von Hillary Clintons geschichtsträchtigen Erfolgen - auffällig große blinde Fleck in Faludis Argumentation ist umso erstaunlicher, weil sich gerade anhand ihres historischen Materials sehr schön zeigen ließe, dass alles viel ambivalenter ist, als sie behauptet: In den herbeizitierten Geiselgeschichten ist die starke Frau Clinton mindestens ebenso deutlich angelegt, wie die Opferwerdung von Jessica Lynch. Auch in später verwässerten Fassungen bleibt klar, dass sich diese Geiselfrauen des 17. und 18. Jahrhunderts oft aus eigener Kraft, mit List oder Verhandlungsgeschick aus ihrer Gefangenschaft befreiten. Der männliche Retter kommt in diesen Geschichten höchstens am Rande vor, und oft wird sogar deutliche Skepsis laut gegenüber den Männern, die nicht im Stande waren, die Siedlungen vor indianischen Überfällen zu schützen. Überdies gab es mehr Frauen als den Puritanern lieb sein konnte, die sich bei den "Wilden" wohler fühlten als in den Dörfern der weißen Siedler und freiwillig dort blieben.

Man darf daraus schließen, dass die Bedrohungslage dieser Gründerzeiten - wie auch der verunsicherten Gegenwart - in vielen Fällen nachgerade zu einer Ermächtigung von Frauen führt(e). Doch vor allem muss man sich fragen, ob diese Geschlechterbrille für eine Analyse der amerikanischen Gegenwart im Zeichen des Kriegs gegen den Terror überhaupt das geeignete Instrument ist. Gerade mit Blick auf das historische Material würde ein Augenmerk auf die Konstruktionen kultureller Unterschiede viel relevantere Einsichten liefern. Denn wie die Indianer in den meisten alten "captivity narratives" als Ansammlung roher (beziehungsweise höchst attraktiver) gesetzloser Wilder ohne Zivilisation beschrieben wurden, geschieht es heute mit den orientalischen Männern. Sie existieren in der öffentlichen Wahrnehmung fast nur noch als fanatisierte Terroristen und Selbstmordattentäter; als unerträgliche alte Patriarchen, oder als sexuell verklemmte und gewaltbereite junge Männer. Es scheint, dass sich heute die unter dem Begriff Exotismus bereits seit Jahren analysierte Faszination und gleichzeitige Abscheu gegenüber dem Orient wieder ganz neu entfacht hat und kondensiert auf den arabischen Mann projiziert wird. Solche rassistischen Feindbildkonstruktionen sind eine viel prägendere Folge des Kriegs gegen den Terror, als - wie von Faludi behauptet - reaktivierte alte Geschlechterstereotypen.

Susan Faludi The Terror Dream. Fear and Fantasy in Post-9/11 America. Metropolitan Books, New York 2007. 351 S., 19,99 EUR (auch als e-book erhältlich)

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