Zeitgeschichte Nach dem Tod von Prinzessin Diana hat deren Idealisierung fast sakrale Züge. Die Monarchie setzt erst auf erhabene Distanz, schaltet dann jedoch auf mehr Volksnähe um
Bei der Trauer um Diana wird Geschmack zur Nebensache
Foto: Thomas Coex/AFP/Getty Images
Ausgerechnet Elton John. Ein Popstar, schwul und mit rötlicher Perücke, soll am 6. September 1997 in der ehrwürdigen Westminster Abbey die Bühne betreten und der Welt auf dem Höhepunkt der Trauer um Prinzessin Diana den Weg weisen. Ein purer Akt der emotionalen Sabotage, finden manche Briten. Der Auftritt des Sängers sei ungefähr „so passend wie ein Abendmahl in einer Nachtclub-Toilette“, schreibt die Musikzeitschrift NME. Doch solche Meckerer schätzen die Stimmung im Land falsch ein: Der Tod von Diana stürzt Großbritannien in einen Zustand der ostentativen Trauer. Die Menschen haben jeglicher englischer Zurückhaltung entsagt und sich hemmungslos einem Gefühlsüberschwang hingegeben – und dazu brauchen sie El
uchen sie Elton John.Kaum ein Todesfall hat im Vereinigten Königreich jemals ein solches Echo ausgelöst. Als die Nachricht von ihrem Unfall am frühen Morgen des 31. August 1997, einem Sonntag, in den britischen Wohnzimmern eintrifft, nehmen die Menschen Anteil, als handle es sich bei der Verstorbenen um eine enge Verwandte. Tausende strömen zum Kensington Palace, Dianas Wohnsitz, wo sich bald ein gigantischer Blumenteppich ausbreitet. Mehr als eine Million Bouquets. Die Idealisierung der „Königin der Herzen“ nimmt fast hysterische Ausmaße an. Aber was war sie nicht alles? Hingebungsvolle Mutter, Kämpferin gegen Armut, Landminen und Aids, eine Stilikone von klassischer Schönheit, dennoch bescheiden, gar schüchtern. Der konservative Journalist Paul Johnson vergleicht Diana mit der Jungfrau Maria und feiert die Reaktion auf ihren Tod als „spontanen religiösen Akt der Nation“. Am Tag vor ihrem Begräbnis übernachten Hunderte auf der Straße, um möglichst nahe an ihrem Idol zu sein, wenn der Trauerzug vorbeikommt. „Ich kann es noch immer nicht glauben“, sagt eine Londonerin dem BBC-Reporter. „Ich glaube es erst, wenn ich ihren Sarg sehe.“Als sich Elton John am nächsten Tag an den Flügel setzt und die schnulzigen Klänge von Candle in the Wind durch das Kirchenschiff in Westminster schweben, erreicht er damit gut 2,5 Milliarden Zuschauer weltweit, die sich das Begräbnis im Fernsehen anschauen. Das Lied „sprang aus der strengen Feierlichkeit der Westminster Abbey und berührte die Tausende in den Straßen“, meint der Folksänger Billy Bragg, der normalerweise weder mit Popmusik noch mit royalistischem Pomp viel zu tun haben will. Candle in the Wind wird als Single fast so oft verkauft wie einst Bing Crosbys White Christmas.„Speak to us, Ma’am“Wenige widerstehen der Rührseligkeit, zur allgemeinen Empörung zählt dazu eine kleine Gruppe aus der einst königlichen Familie Dianas. Die Queen hat sich in die schottische Residenz Balmoral zurückgezogen und meidet die Öffentlichkeit. Über Buckingham Palace weht keine Flagge auf Halbmast, und es dauert, bis sich ein Mitglied der königlichen Familie ins offizielle Kondolenzbuch einträgt. Die Boulevardpresse deutet das als provokante Kaltblütigkeit. „Speak to us, Ma’am“, fordert der Mirror, „dein Volk leidet“ – als könnten nur tröstende Worte des Staatsoberhauptes den Schmerz lindern.Dickie Arbiter, damals Pressechef der Queen, macht in seinen Memoiren kein Hehl aus der Frustration, die jene Tage bis heute bei ihm hinterlassen haben. Vor allem bedauert er, dass die Journalisten offenbar nicht mit den Gepflogenheiten ihrer Monarchie vertraut waren. Man hätte wissen müssen, dass der Royal Standard nie auf Halbmast gesetzt werde, weil es doch immer einen Monarchen gebe („The Queen is dead, long live the King“). Und dass der Union Jack ebenfalls nicht über dem Buckingham Palace wehen könne – auf Halbmast oder wie auch immer –, weil die Staatsflagge nie über diesem Gebäude gehisst wurde. Schließlich ist das Protokoll angesichts tränenüberströmter Gesichter vor den Toren des Palasts und ungehaltener Zeitungskommentare dann doch nicht zu traditionsbewusst: Die Flagge wird bis zur Hälfte des Masts aufgezogen, und seither sieht man den Union Jack über dem Palast, wenn die Monarchin nicht in London weilt.Sechs Tage nach Dianas Tod kehrt Elizabeth endlich nach London zurück und wendet sich mit einer Trauerbotschaft an die Nation – die erste Live-Übertragung eines ihrer Auftritte seit Jahrzehnten. Einer, der am 31. August 1997 sehr instinktsicher reagiert, ist der gerade gewählte Labour-Premier Tony Blair. Zwei Minuten nur dauert seine Stellungnahme, aber sie bringt jene Gefühle zum Ausdruck – Bewunderung und Bestürzung –, die die Briten haben wollen. Blair ist sicherlich aufrichtig, aber sein Umgang mit dem Tod der Prinzessin stellt nicht zuletzt sein politisches Geschick unter Beweis. Er habe die Situation „verwalten“ und die öffentliche Trauer „formen“ wollen, meinte er später mit dem Abstand von einigen Jahren. Wie gut ihm das gelungen ist, zeigt seinerzeit eine nach oben springende Zustimmungsrate, deren Spitzenwert plötzlich bei 93 Prozent liegt.Pop und MonarchieDamit reitet Blair auf dem Kamm einer Britannia-Welle, hat doch das Land in den Jahren zuvor zu einem neuen Optimismus gefunden. Wie zuletzt in den 1960er Jahren erobern britische Pop- und Rockmusiker die Welt, weil sie das Image einer versteiften Gesellschaft, die nach einer Identität sucht, weitgehend loswerden. Dazu passt die aufgebrochene Sentimentalität nach Dianas Tod: Großbritannien als eine Nation, der es nicht peinlich ist, wochenlang einer zur Märchenprinzessin verklärten Prominenten nachzuweinen. Fünf Jahre später hat auch das Königshaus gemerkt, dass Pop und zur Schau getragene Volksnähe politische Instrumente sind, die es zu gebrauchen gilt. Zum Goldenen Jubiläum der Thronbesteigung Elizabeths im Februar 2002 veranstaltet die Monarchin eine „Party im Palast“, bei der sie den Gitarristen Brian May mit wehenden Locken auf dem Buckingham Palace auftreten lässt. Immerhin weiß er, was sich gehört, und spielt die Nationalhymne. Zehn Jahre später hat sich die Queen die Rolle als Ikone der britischen Populärkultur vollends zu eigen gemacht: Bei der Olympischen Eröffnungszeremonie tritt das 87-jährige Staatsoberhaupt als ältestes Bondgirl an der Seite von Daniel Craig auf und „fliegt“ per Fallschirm ins Stadion im Osten Londons.So mag der Schock, den Dianas früher Tod im Land auslöst, das Königshaus dazu verleitet haben, seine elitäre und verstaubte Reputation zu sanieren und sich Popularität im 21. Jahrhundert zu sichern. Aber noch birgt die Tragödie Gefahren für die Monarchie. Denn mindestens so groß wie die Anteilnahme der Briten am Tod der Prinzessin war 1997 die tiefe Abneigung gegen ihren Ex, Thronfolger Prinz Charles – viele Briten sahen Diana als Gefangene und Opfer einer Ehe, die ein einziges emotionales Vakuum war. Nicht vergessen ist die Antwort, die Charles 1981 bei einem Interview gab. Auf die Frage, ob das Paar denn verliebt sei, gab er mit sonderbarem Lächeln zurück: „Was auch immer ‚verliebt‘ bedeuten mag.“ Im Sog der royalistischen Krise vor 20 Jahren wurde verlangt, dass Charles in der Thronfolge zugunsten seines ältesten Sohnes übergangen wird.Dass die Briten einer möglichen Regentschaft Charles’ mit wenig Begeisterung entgegenblicken, hat auch andere Gründe – seine unerwünschten Interventionen in die Politik wiegen schwerer als sein mangelnder Sinn für Romantik. Nach Auffassung des Theaterautors Mike Bartlett ist es genau diese Vorliebe für Aktionismus, die Charles zum Verhängnis wird. Im seinem Stück King Charles III, das die BBC in diesem Jahr für das Fernsehen adaptiert hat, bricht darüber eine solche Staatskrise aus, dass auf einmal Panzer vor dem Buckingham Palace aufrollen, um den König vor dem Mob zu schützen. Auch bei dieser Zukunftsvision lässt Diana den König nicht los: Sie erscheint ihm als Geist und verspricht, dass er der größte aller Monarchen werde. Dumm nur, dass sie ihrem Sohn William genau das gleiche Versprechen macht – und tatsächlich ist er es, der am Ende in der Westminster Abbey gekrönt wird.
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