Eigentlich wollte ich ja mal einen Tag aussetzen, aber dann hat mich das Pflichtbewusstsein doch an den Potsdamer Platz getrieben. Ich hatte mir eine Premierenkarte für “Dau. Natasha” besorgt. Die anderen Wettbewerbsbeiträge an diesem Mittwoch habe ich mir gespart.
Ich kann das auch inhaltlich begründen: „Berlin- Alexanderplatz“ hat mich schon als Buch nicht gecatcht: Nachgemachter Ulysses, (War Döblin eigentlich mal in Dublin?) ohne Jokes, Schweinereien und Wortspiele, aber mit den nervigen Perspektivwechseln, innerem Monolog und Überlänge. Also im Grunde ein Buch, wie ein typischer Berlinalefilm.
Der zweite Wettbewerbsfilm: „The roads not taken“ von Sally Potter ist eigentlich dasselbe in grün. „Der geistig zerrüttete Leo durchlebt 24 Stunden Alltag in New York, die von halluzinatorischen Trips in diverse Parallelleben geprägt sind.“ So fasst man den Film auf der Berlinale-Webseite zusammen.
Da fällt mir auch gleich wieder ein, warum ich mir Abel Ferraras „Siberia“ gespart habe: „Ein gebrochener Mann flieht vor der Welt und findet sich in einer Höhle wieder. Sein Befreiungsschlag wird zur radikalen Konfrontation: mit Träumen, Erinnerungen und dämonischen Visionen.“ Hilfe! Ich habe mich gerade getrennt. Von gebrochenen und geistig zerrütteten Männern auf halluzinatorischen Trips, mit dämonischen Visionen, habe ich momentan bis auf Weiteres die Nase voll.
Eine „großangelegte Simulation des totalitären Systems unter Stalin“
Und warum dann der Super-DAU? Weil der Regisseur Khrzhanovskiy „Dau“ geschaffen hat, eine „großangelegte Simulation des totalitären Systems unter Stalin“. Eine Filmstadt in der Ukraine, mit eigenem Zoll, mit eigener Zeitung, eine falsche Zeit, ein falscher Ort, in dem echte Menschen mehrere Jahre ein echtes Leben lebten. Natasha ist nur einer von mehreren Filmen, die dort entstanden sind.
Vielleicht ist das pervers und krank, aber vielleicht ist es ja doch große, riesengroße Kunst, man weiß ja nie, dachte ich. Sonst wäre es ja eher ein Fall für die Polizei, als für die Berlinale, oder?
Also wenn, wie es in einem taz- Artikel steht, Laiendarsteller mit psychischen und/oder finanziellen Problemen, (sich jahrelang, wahrscheinlich auch aufgrund dieser Probleme) in eine Kunstwelt sperren lassen.
12000 Quadratmeter Filmset im Stil der Stalinzeit. Darsteller und Crew, im Banne von Ilja Khrzhanovskiy, dem irren Minidiktator. Und das alles finanziert von einem russischen Oligarchen. Darüber sollte mal jemand einen Film machen. Kommt bestimmt irgendwann. Über die Odenwaldschule oder über die Colonia Dignidad gibts ja inzwischen auch Spielfilme.
Also Premiere, Dau. Natasha, Berlinale- Palast, roter Teppich. Ich wollte mir ein Glas Sekt kaufen, aber ein Security-Typ wollte mich nicht zur Bar durchlassen. Oder war das auch schon Teil der totalitaristischen Dau-Show?
Ich brauchte einen Drink
Ich bin dann an anderer Stelle über die Kordel gehüpft. Ich brauchte einen Drink, denn ich hatte Angst vor „Dau.Natasha“ Vor Szenen von Erniedrigung, Unterdrückung und Gewalt. Richtige, echte Angst. Ich werde wirklich immer sensibler. Ich kann mir ja nicht mal mehr „Germanys Next Topmodel“ anschauen.
Seltsam, früher hat's mich doch auch nicht gestört, wenn man weinende Sechzehnjährige mit Versprechen und Gehässigkeiten unter Druck gesetzt hat, damit sie sich nackicht fotografieren lassen. Vielleicht hat mich meine letzte Beziehung traumatisiert. „Du bist mir zu empfindlich“, hat mein Ex immer zu mir gesagt, wenn er mich zum Heulen gebracht hatte.
Warum haben sich 2018, Veronica Ferres, Lars Eidinger, Tom Schilling, Monika Grütters, Tim Renner und Tom Tykwer für Dau eingesetzt, als Khrzhanovskiy sein Filmset in Berlin aufbauen wollte?
Vielleicht ist es ja so: Leute, die wahrscheinlich jederzeit bereit sind, sich über Privatfernsehformate, wie Dschungelcamp, Big Brother oder Germanys Next Topmodel zu empören, holen sich ihren Kick halt bei Projekten wie „DAU“. Da macht es dann nichts, wenn Menschen vor laufender Kamera erniedrigt und an ihre Grenzen getrieben werden, weil das ist ja „provokativ- grenzüberschreitend“ oder auch eine „Studie über Totalitarismus“, also KUNST.
Ich bin mittlerweile so empfindlich, dass ich nicht mal mehr lauwarmen Sekt vertrage, auch wenn ich sehr viel Angst zu bekämpfen habe. Ich ließ das halbvolle – halbleere? – Glas stehen und strömte an meinen Platz im Parkett.
Dau!
So schlimm war es dann eigentlich gar nicht. Man sah: Dau-Insassen essen in der Kantine. Natasha und ihre junge Kollegin Olya stehen hinter der Theke und bedienen sie. Die beiden tragen schwarze Kostüme mit Schürze und sind aufwendig frisiert (gedrehte Locken). Dann trinken sie lauwarmen Sekt gegen die Angst und improvisieren sich durch einen sinnlosen Streit, der in ein Handgemenge übergeht.
Es geht – wie immer bei Weibern – um Liebe und Kücheputzen. Natasha und Olya zerren aneinander herum. Das Premierenpublikum kicherte beglückt. Haha, Zickenkrieg!
Dann Ankunft des ausländischen Wissenschaftlers Luc, Experimente mit nackten Matrosen in einer Art Orgonakkumulator und echtes Besäufnis mit Blödsinn lallen und Gläser zerschmeißen.
Das alles irgendwie in Echtzeit, ohne woher und wohin. Also die ersten 30 Minuten fühlten sich sehr viel länger an und Dau hat 145 Minuten Gesamtlänge. Nachdem ich mich an die altmodischen Kostüme und das 50er Jahre Ambiente gewöhnt hatte, wurde mir langweilig. Kamera und Schnitt machten auch nicht viel her.
Deren Hauptaufgaben waren wie im Privatfernsehen: Draufhalten und zusammenschneiden. Irgendwie kann ich Khrzhanovskiy ja verstehen. Ich habe mal eine nicht ganz unbedeutende Filmhochschule besucht und weiß daher: „Laien improvisieren lassen“, das ist der feuchte Traum von allen Regisseur*innen. Zumindest am Anfang. Wir Drehbuchstudent*innen hatten es schwer deswegen.
Aber wenn man „Laien improvisieren lässt“ kommt selten was Profundes bei heraus. Die meisten Regiestudent*innen merken das relativ bald, geben ihren Allmachtsanspruch auf und freuen sich dann doch über die Existenz von Schauspieler*innen und Drehbüchern. Manche bemerken im Laufe der Zeit, dass Geschichten auch über Bilder und Montage erzählt werden können, oder sogar, das Filmkunst ein Zusammenspiel von allen Gewerken sein kann.
Energetisch sehr unangenehm
Khrzhanovskiy aber nicht. Der hat ja auch einen Dachschaden. Deswegen fand ich Dau auch energetisch sehr unangenehm. Ich konnte sein geiles Lauern spüren, seine Gier nach „Echtheit“ und “echten Emotionen”. Manchmal schien mir, als hörte ich ihn flüstern: „Ja los, fasst euch an, zieh ihr an den Haaren, schrei mal, kreisch mal, lach hysterisch, lach hysterischer! noch hysterischer! küsst euch, jaaa geil, fickt euch, ja.“
Nach einer halben Stunde war es so weit. „Natasha“ und „Luc“ haben gefickt. Es war echter Sex! Es gab einen echten steifen Schwanz, gegenseitigen Oralverkehr, Missionars- und Reiterstellung. Leider keine Nahaufnahmen, leider keinen Cumshot. Sogar in Pornos steckt mehr Filmkunst als in Dau. Im Publikum wurde herzlich gelacht, als Luc es nicht gleich schaffte, Natashas altmodischen BH aufzumachen. Der hatte Knöpfe, keine Häkchen! Seit Anbeginn des Kinos finden das Menschen immer witzig, wenn jemand Schwierigkeiten hat, BHs zu öffnen.
Ich hatte mir ja eigentlich fest vorgenommen, wenigstens bis zu der Stelle auszuhalten, an der „Natasha“ im Verhör von einem echten KGB Mann gezwungen wird, sich eine Flasche in die Vagina einzuführen. „Für Natasha (und uns) eine „unsanfte“ Erfahrung“ nennt man den Vorgang auf der Berlinale-Webseite. Ich wollte wirklich sehen, wie sie das macht und wie der Typ sie dazu bringt und warum und ob das dann vielleicht doch noch Kunst wird und „Analyse des Totalitarismus“.
Aber ich bin direkt nach dem Sex abgehauen. Nachdem ich Natasha nackt gesehen hatte, hat sie mich überhaupt nicht mehr interessiert. Ich mochte ihren Body nicht. Ich wollte nicht mehr wissen, wie das aussehen mag, wenn sie sich eine Flasche reinsteckt.
Immer wenn ich früher gehe, scheint es mir, als schaute man mich ungläubig an, wenn ich mich im Dunkeln durch die Sitzreihen dränge. Dann fühle ich mich jung und punkig, wie damals, als ich noch nicht immer früher ging, sondern immer zu spät kam. Draußen, in den leeren Foyers des Berlinale-Palastes, tippten die Kartenabreißer auf ihren Handys herum und zeigten mir freundlich den Weg ins Freie.
Kommentare 22
tja,
über wieviel film-krücken muß man gehn,
um was passend-erhellendes zu sehen?
das kino ist eine anstalt, in der variantenreiche zumutungen lauern.
da ist das weg-zappen vom sofa aus:
empfindlichkeiten-schonender.....
Sie haben eine Pressekarte; entsprechend ist Ihre Aufgabe eine halbwegs anständige Berichterstattung. Wenn Sie, wie Sie selbst schreiben, Filme nicht abkönnen, sind Sie – meine Meinung – einfach die falsche Person für den Job.
Ihre Befindlichkeiten, und auf welcher persönlicher Ressentimentbasis Sie sich welche Filme NICHT angeschaut haben, interessiert hier jedenfalls kein Mensch.
Ich schließe mich Herrn Zietz an. Habe zuerst den umfangreichen, informativen taz Artikel gelesen, und mich dann gefragt, was dieser Beitrag hier noch sollte. Eigentlich eine Frechheit.
da widerspreche ich.
eine rezensentin sollte Ihre befindlichkeit/stimmung ruhig beschreiben.
das gibt mir hinweise auf die kommunikation im rezeptions-geschehen,
die wirkung auf einen in besonderer weise gestimmten.
die oft vorgestellte neutralität/optimale aufnahme-bereitschaft
eines ideal-konsumenten von kino-produkten bringt mir nichts.
zumindest sollte der rezensent seine vorlieben äußern:
für süßes oder saures.
Ich fühle mich nach der Lektüre des (für den Anfang durchaus aufschlussreichen) taz-Artikels zwar bei weitem noch nicht hinlänglich genug informiert. Allerdings doch gut genug um zu sagen, dass hier längst einige Staatsanwaltschaften hätten einschreiten und den übergriffigen Regisseur nebst einigen seiner politischen Förderer in den Bau hätten befördern müssen.
Bezeichnend insbesondere finde ich, dass das Hauptlager dieses über Jahre (!!) aufrechterhaltenen GULAGs in der Ukraine errichtet wurde – einem Land, dass mit westlicher Hilfe nicht nur zu einem Frontstaat des Neuen Kalten Kriegs gegen Russland ausgebaut wurde, sondern in dem auch organisierte faschistische Kräfte in nicht unbeträchtlicher Anzahl am Staatswesen mit partizipieren. Dass für dieses als »Kunst« deklarierte Straflager Oligarchen-Geld in Höhen, die man nur als astronomisch bezeichnen kann, geflossen ist, passt ebenfalls ins Bild.
Fazit so: Offensichtlich wurde ein politisch exterritoriales Projekt als »Kunst« deklariert, um unter diesem Banner einen Feldversuch zu starten, wie eine totalitäre Diktatur unter neoliberalem Vorzeichen errichtet und betrieben werden kann. Dass das Projekt fürsprechende Groupies unter einschlägigen Filmbiz-Promis gefunden hat, macht die Angelegenheit nur schlimmer. Ebenso, dass Dependancen dieses Lager-Komplexes auch in Berlin, Paris sowie anderen Niederlassungen geplant waren (oder sogar durchgeführt wurden). Im Grunde ist dieses ganze Projekt derart unglaublich, dass man nur hoffen kann, dass die Aufführung auf der diesjährigen Berlinale nicht das letzte Wort dazu ist und auch die Frage politisch-kultureller Verantwortung dafür in den nächsten Wochen auf das Allergründlichste aufgerollt wird.
Oder, anders gefragt: Wo bleibt #MeToo – jetzt, wo es darauf ankäme?
Ich fand zu Beginn die Berichterstattung schon ganz originell. Und ich habe auch nichts dagegen ,wenn die eigene Befindlichkeit und Meinung da mit einfließt.
Hier allerdings finde ich, dass es ein bisschen verräterisch ist, wenn über KUNST gelästert wird und der Text aber irgendwie auch eine Art von KUNST-und Originalitätsanspruch transportiert, der aber mit dem journalistischen Anspruch ein bisschen kollidiert.
Die LeserInnen sind irgendwie aus dem Blickfeld geraten. Wurstigkeit, die so mit der Haltung daherkommt: Für Euch muss das genügen.
++ "Ich kann das auch inhaltlich begründen: „Berlin- Alexanderplatz“ hat mich schon als Buch nicht gecatcht: Nachgemachter Ulysses, (War Döblin eigentlich mal in Dublin?) ohne Jokes, Schweinereien und Wortspiele, aber mit den nervigen Perspektivwechseln, innerem Monolog und Überlänge. Also im Grunde ein Buch, wie ein typischer Berlinalefilm.++"
Das ist ein Satz wie ein schöner runder Irrsinn. Ich begründe das auch inhaltlich, mich hat das Buch nicht gecatcht.
Berlin-Alexanderplatz ist kein nachgemachter Ulysses. Und die Idee, die Hauptrolle mit einem Migranten zu besetzen fand ich interessant.
Fazit: Die Berichterstattung ist mir zu selfish. "Ich kann das auch inhaltlich begründen": Sie ist mir zu selbstbezogen.
++Dann fühle ich mich jung und punkig, wie damals, als ich noch nicht immer früher ging, sondern immer zu spät kam.++
Ja, die Mittel zur Jungerhaltung belästigen manchmal auch die Mitwelt.
"Bezeichnend insbesondere finde ich, dass das Hauptlager dieses über Jahre (!!) aufrechterhaltenen GULAGs in der Ukraine errichtet wurde – einem Land, dass mit westlicher Hilfe nicht nur zu einem Frontstaat des Neuen Kalten Kriegs gegen Russland ausgebaut wurde, sondern in dem auch organisierte faschistische Kräfte in nicht unbeträchtlicher Anzahl am Staatswesen mit partizipieren. Dass für dieses als »Kunst« deklarierte Straflager Oligarchen-Geld in Höhen, die man nur als astronomisch bezeichnen kann, geflossen ist, passt ebenfalls ins Bild."
Naja das ist ein Aspekt, den ich nicht sehe. Denn das Anliegen, stalinistischen Terror und Diktatur zu zeigen, wäre in der Ukraine durchaus am Platze. auch dieses Land hat darunter sehr gelitten. Allerdings ist der Film wohl dafür weniger geeignet.
Schlimmer ist, dass das Filmunternehmen mit russischen Neonazis und auch offenbar mit russischen Oligarchen irgendwie kontaminiert ist und einem russischen Regisseur gesegnet, der in der Tat eine Art Kunstteufel ist. Dass das auf der Berlinale nun laufen muss, verstehe ich auch nicht, denn es ist ja in Berlin früher auf - Gottseidank - entschiedene Ablehnung getroffen.
(& natürlich @alle Interessierten:)
Habe die Stoßrichtung dieses bemerkenswerten Films in einer eigenen Glosse thematisiert.
Geistig Zerrüttete, vom Leben Gebrochene, dann noch Porno im Totalitärgewand ... Aber hey - Lassie ist doch auch wieder im Kino.
Ernst beiseite: Herrlich, Ruth Herzbergs trockene Beiträge!
Rom 2.0 - Öffentliche Kopulation! L`effondrement!
Dieser Text ist irgendwas zwischen Bekenntnis, Selbstironie, Glosse und Glossolalie, aber keine Rezension. Er versucht sich der Aufgabe der Rezension zu entziehen, ohne auf ein Urteil des kommentierten Kunstprodukts zu verzichten. Er ist durchaus witzig, aber die Aussagen sind nicht stichhaltig, er antwortet gefühlsmäßig vielleicht richtig, aber er argumentiert nicht – und dennoch ist das Urteil berechtigt.
Krschanowski ist ein Besessener, ein Monomane, und insofern eine interessante Persönlichkeit. Ein Künstler ist er nicht, allenfalls im Sinne des sich selbst zum Kunstwerk gemacht habens. Er versteht nicht, was Kunst ist, dabei unterlaufen ihm zwei fundamentale Fehler: die Gleichsetzung (Engführung) von Kunst und Leben sowie der Authentizitätswahn.
Kunst ist Fiktion, wenn man so will, Lüge. Seine Idee ist, das Leben so gut nachzuspielen, daß das Spiel wahr wird. Aber so wäre Kunst nur die Imitation des Lebens, und umso mehr sie dem Leben gleicht, vernichtet sie sich als Kunst. Kunst ist Sublimation. Sie zeigt nicht das Leben, sondern zeigt etwas am Leben, das nicht ohne sie sichtbar ist, und im Kontrast etwas, was dem Leben fehlt. Um das zu können, muß sie sich vom Leben unterscheiden. Die Authentizität des Unmittelbaren ist Schein. Wer eine echte Vergewaltigung „spielt“, IST ein Vergewaltiger, die „Schauspielkunst“ simuliert nur die Vergewaltigung. Es ist Kunst, den Eindruck der Echtheit zu erzeugen, es ist größere Kunst, wenn der Eindruck echter wirkt als das „Echte“. Es ist schwere, verstörende, selbstquälerische Arbeit, das Häßliche, Schäbige, Lächerliche, Gemeine, Peinliche, Entblößende darzustellen, die Kunst fordert das, der Künstler verlangt sich das selbst ab, aber man hat (von Kunst) nichts verstanden, wenn man nicht mehr den Unterschied vom Darstellen einer Sache und der Sache selbst macht oder ihn leugnet. Wenn die Kunst der Darstellung die Differenz zur Sache verloren hat, hat auch der Rezipient die künstlerische Differenz verloren, wird zum (passiven) teilnehmenden Beobachter (oder wie in DAU gedacht zum Mitspieler). Wer die gespielte echte Vergewaltigung rein rezeptiv erlebt, ist Voyeur und begeht die Straftat der unterlassenen Hilfeleistung.
Ich habe am Anfang prononciert hart kritisiert. Allerdings ist die Ursache nicht auf diesen Text allein zurückzuführen (den man wegen mir als Glosse, Ironie oder was auch immer sehen kann), sondern auch auf die aus diesem, diesem und diesem Text bestehende Berlinale-»Berichterstattung« derselben Autorin.
Selbstverständlich ist gegen Ironie, Polemik, wegen mir auch subjektive Momente sowie subjektiven Weltschmerz nichts einzuwenden – jedenfalls, so lange letztere in dosierter oder immerhin nachvollziehbarer Form erfolgen. Hier hat allerdings pure Wurschtigkeit das Heft übernommen – möglicherweise resultierend aus den dargelegten privaten Turbulenzen, vielleicht aber einfach nur aus wetterbedingten Gründen (ja, es ist grau; das Wetter macht derzeit wenig Freude). Mich persönlich ärgern bei alldem zwei Dinge: a) das im ersten Artikel beklagte Nichtvorhandensein einer Pressekarte, über deren Erhalt, der als genauso Scheiße hingestellt wird, dann in den Folgeartikeln zusätzliche Abläster-Elogien folgen, b) die stringent durchscheinende Haltung »alles eh Kacke«.
Kann man machen oder so sehen – ich will niemanden über den Wert von Filmen missionieren. Allerdings ist es in meinen Augen wenig nachvollziehbar, einerseits ein Genre ziemlich »fürn Arsch« zu finden, sich andererseits jedoch über die Berichterstattung dafür zu reißen. – Ergibt für mich einfach Null Logik. Und wozu soll ich dem via Kommentar nicht Ausdruck verschaffen?
Werdet nicht "frech" und schreibt "anständig"? Das gehört wohl jetzt auch zur Gratis-Mentalität, Ansprüche an die Produzentinnen von Gratis-Content zu richten? Die Zeiten, wo man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaute, scheinen vorbei. Tja, ihr werdet es - zum Glück - weiterhin nehmen müssen, wie es kommt.
Mit so einer Argumentation kam Herr Jäger vor ein paar Jahren auch schon mal. Überzeugt mich weiterhin nicht. Lieber gar kein Schund, als Gratisschund. Hier in der Community wird ja auch kritisiert, wenn ein Beitrag nicht gefällt, und ich kann mich nicht erinnern das jemand mal mit dem "Gratis"-Argument kam. So etwas wie das hier gelieferte kann ich mir sonst zur Belustigung auch bei vice durchlesen. Falls es Sie interessiert, was mich eigentlich aufregt (Herr Zietz hat ja einige Punkte ausführlich angesprochen), antworte ich gern darauf. Aber nur, falls.
Off-Topic:
Wenn der Freitag Geld braucht um Qualität zu liefern, dann meinetwegen bitte ein bezahltes Online-Content-Modell einführen, wie die taz (wo ich seit geraumer Zeit überlege zu deren Community zu wechseln, weg vom Freitag btw.) es auch hat, meinetwegen auch verpflichtend. Papierzeitungen kaufe ich persönlich aus vielerlei Gründen nicht mehr.
Es handelt sich hier nur um einen Text, nicht um ein Produkt, das man nach irgendwelchen allgemeinverbindlich definierten Standards, deren Einhaltung verlangen zu dürfen man sich das Recht erwirbt, einzig, indem man es mit seiner geschätzten Aufmerksamkeit beehrt.
Ein Text. Die Redaktion hat ihn bestellt, die Autorin schrieb ihn, ein Textredakteur erfand die Head- und Subline. Und ein Foto suchte dazu auch noch jemand aus. Das Gesamtergebnis muss niemandem gefallen. Wer eine konkrete Kritik hat, kann konkret argumentieren. Aber zuhause aus dem bequemen Sessel als Gratis-Genießer den Daumen heben oder senken ("Schund"), und Ansprüche als Stöckchen hinhalten, über die gefälligst zu springen ist, das wirkt doch ziemlich bräsig.
Zur »Gratis«frage:
Hinzuzufügen wäre zur Beschreibung der Abläufe, dass für den werten Text an irgendeinem Punkt auch Geld fließt – wenn alles seinen üblichen Gang nimmt, in Richtung der Verfasserin. Unter normalen Umständen wäre das nicht weiter der Punkt – ebenso wie die »Freien« arbeiten auch die »Festen« beim Freitag nicht (allein) für Gotteslohn. Und trotzdem erwarten sie – zu Recht –, dass erfreute oder unerfreute Kommentare die jeweilige Artikelthematik betreffen.
Im konkreten Fall jedoch hat die Autorin die Aquisesituation selbst ausgiebig zum Thema gemacht (hier und hier). Nicht, weil es irgendwelche Turbulenzen gab. Vielmehr nimmt sie das Glatt-Laufen zum Anlass, sich lang und breit über ihre private Situation auszulassen beziehungsweise den Umstand, dass sie eine Woche Filmprogramm frei hat, mit sarkastisch-abfälligen Allerweltsbetrachtungen zu kommentieren.
Verboten ist das zwar nicht (und – ja: auch ich präferiere in solchen Fällen die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Kunst und alle Paragraphen, die sonst noch in Frage kommen). Umgekehrt muß man es jedoch nicht zwangsläufig gut finden – was einige, darunter Daniel Uxa und ich, zum Ausdruck gebracht haben, andere wiederum doll oder zumindest nicht sehr störend fanden.
Mit Letzterem muß ich ebenfalls leben. Ansonsten: Die Berlinale ist ja nun vorbei. Mal sehen, mit welchen Alltagskatastrophen uns Frau Herzberg als nächstes erfreut.
Und mich nerven die Idioten, die beim Abspann aufstehen und mir durchs Bild laufen. Sie waren bestimmt auch schon dabei.
Man muss es nicht gut finden - richtig. Sagte ich ja auch. Zu der Frage, ob ICH den Text "gut" oder "schund" finde, habe ich mich, nebenbei gesagt, gar nicht geäußert. Jede Kommentatorin, jeder Kommentator hat auch noch das Mittel zur Verfügung, sich NICHT zu äußern. So wie man im Supermarkt an den Schokoriegeln, die einem nicht schmecken, auch vorbeigeht, ohne die Marktbetreiber aufzufordern, die Sorte aus den Regalen zu nehmen.
Den Bloggerinnen-Ton, den RH hier anschlägt, muss man nicht mögen, wie gesagt. Aber quasi zu verlangen, solche Texte aus dem Content herauszunehmen, den man hier gern jeden Tag ohne die geringste eigene Mühe genießt, ist...siehe oben.
Wer eine "seriöse" Rezension von "Dau. Natasha" im Freitag lesen will, kann noch hoffen, denke ich. "Touch Me Not" (sehr umstrittener Preisträger 2018) ist ja später hier auch noch besprochen worden.
Kürzeste Beschreibung von Urbanität: Irgendeine(r) läuft immer durch irgendein Bild.
"Es handelt sich hier nur um einen Text, nicht um ein Produkt, das man nach irgendwelchen allgemeinverbindlich definierten Standards, deren Einhaltung verlangen zu dürfen man sich das Recht erwirbt, einzig, indem man es mit seiner geschätzten Aufmerksamkeit beehrt."
Wie genau verstehen Sie das denn dann mit dem Journalismus so? Keine Qualitätskriterien? Keine Standards? Aufmerksamkeit egal, muss keiner lesen?
"Ein Text. Die Redaktion hat ihn bestellt, die Autorin schrieb ihn, ein Textredakteur erfand die Head- und Subline. Und ein Foto suchte dazu auch noch jemand aus. Das Gesamtergebnis muss niemandem gefallen."
Denn wenn es das allein ist, was Sie unter selbigem verstehen ... dann haben wir da stark unterschiedliche Ansichten. Und ich wundere mich nicht weiter über Ihre Reaktion.
"Aber zuhause aus dem bequemen Sessel als Gratis-Genießer den Daumen heben oder senken ("Schund"), und Ansprüche als Stöckchen hinhalten, über die gefälligst zu springen ist, das wirkt doch ziemlich bräsig."
Werden Sie ruhig weiter persönlich ... Mir egal.
Frau Herzberg selbst schreibt übrigens auf Ihrer Website:
"Nach einem Studium an der Filmhochschule bin ich seit 2008 als Redakteurin und freie Autorin tätig. Meine Themenschwerpunkte sind unter anderem Kultur, Literatur, Neue Medien, Politik, Literatur, Gesellschaft, Gesundheit und Wellness. Ich arbeite mit hohem Anspruch an mich selbst und habe den Ehrgeiz gute Texte zu verfassen."
Nehmen wir den letzten Satz halt ernst, im Sinne der Autorin.
Unsachlicher und "persönlicher" als "Schund" ist "bräsig" wohl auch nicht.
"Schund" ging gegen den Beitrag, nicht die Autorin.