Schon wieder herrscht Erleichterung im progressiven Amerika.Vor vier Wochen war es die ganz große bei der Wiederwahl von Barack Obama. Nun steht der Streit mit den Republikanern um Einsparungen, Steuererhöhungen und den Haushalt für das kommende Jahr auf der Agenda. Bisher zeigt der neue alte Präsident Rückgrat und die Erleichterung darüber ist bei seiner Klientel erneut spürbar – wenn auch vorsichtiger. Obama tut bislang, was seine Wähler erhoffen und zeigt damit, dass er lernfähig ist. Denn Kompromissangebote an die Republikaner haben ihm in der Vergangenheit wenig gebracht.
Wer sich in diesem Streit am Ende durchsetzt, ist noch lange nicht entschieden – obwohl die Frist zum Vermeiden der so genannten „fiskalen Klippe“ E
e“ Ende des Monats ausläuft. Sollte es bis dahin keine Einigung zwischen Demokraten und Republikanern geben, treten automatisch drastische Einsparungen in Kraft, die die USA in eine Rezession stürzen könnten.Was man so schätztVorläufig treibt Obama die Oppositionspartei erst einmal in die Enge. Er hat ein Konzept zum Defizitreduzieren vorgelegt und dabei die Akzente klar auf höhere Steuern für die Reichen gesetzt. Die Steuererleichterungen aus der Bush-Ära müssten reformiert werden, so Obama. Steuernachlässe für die rund zwei Prozent Amerikaner mit Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Dollar sollen gestrichen, die Erleichterungen für den Rest hingegen erhalten werden. Die Republikaner haben andere Prioritäten: Sparen sei angesagt, außer beim Militärhaushalt. Genau diese Debatte lief bereits im Wahlkampf – mit einem Unterschied: Der wahlkämpfende Mitt Romney blieb bei seinen Forderungen nach Haushaltskürzungen ausgesprochen vage. Nun jedoch müssen sich der republikanisch dominierte Kongress und das Weiße Haus auf Zahlen und Prozente einigen. Wenn nicht die Steuervergünstigungen – was genau würden die Republikaner dann kürzen wollen? Den Politikern fällt die Antwort auf diese Frage schwer. Denn so gern der konservative Amerikaner über die Bevormundung aus Washington schimpft: Er schätzt so manches Regierungsprogramm, nicht zuletzt Medicare, das Gesundheitsprogramm für Senioren.Doch die „fiskale Klippe“ zwingt zum schnellen Handeln. Der auf Ben Bernanke, den Direktor der US-Notenbank, zurückgehende Begriff vermittelt das Gefühl einer bevorstehenden Krise. Wer will schon von einer Klippe stürzen? Da muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Die Sache mit der Klippe geht zurück auf die Lage vor einem Jahr, als demokratische und republikanische Kongressmitglieder in einem „Superkomitee“ zu keinem Konsens über den Schuldenabbau kamen. Alle Beteiligten vertagten das Problem – und schufen die „fiskale Klippe“: Wenn bis Ende 2012 noch immer keine Einigkeit erzielt sei, beschloss der Kongress, würden automatisch Steuererleichterungen auslaufen und – gewissermaßen nach dem Rasenmäher-Prinzip – Haushaltskürzungen eintreten.Lobbyisten vor!Die Warnungen vor der „Klippe“ passen zu einem Vorgehen, das die Autorin Naomi Klein als „Schock-Strategie“ bezeichnet hat, wie sie eben für einen Katastrophen-Kapitalismus bezeichnend sei. Die Drohung mit den Folgen der „fiskale Klippe“ solle genutzt werden, um unbeliebte neoliberale Projekte durchzusetzen. Dabei hoffen die Republikaner auf ein überparteiliches Agreement, das die Verantwortung für noch mehr Austerität verteilen und den Eindruck vermitteln würde, „soziale Leiden“ müssten alle ertragen, um einer besseren Zukunft willen.Von Seiten der Wirtschaft und Finanzindustrie kommt starker Druck, einen „Großen Deal“ zu beschließen, also eine langfristige Steuerreform und entsprechende Auslagenkürzungen. Führende Vertreter der größten US-Konzerne und Banken – Microsoft, General Electric, Bank of America, Dow Chemical, JP Morgan Chase, Citigroup und Merck – haben sich zum Lobbyverband Fix the Debt (Löse die Schuldenkrise) zusammengetan, der angeblich ganz volksnah „vernünftige Lösungen“ zur Schuldenkrise anbietet. Der Tenor lautet: Die USA lebten über ihre Verhältnisse. Man müsse Sozialprogramme und selbst die staatliche Rentenversicherung Social Security und Medicare reformieren.Das heißt im Klartext, das Eintrittsalter höher zu schrauben. Denn, so das Argument, die Menschen lebten immer länger. Was freilich nicht stimmt. Beim Altern zeigen sich in den USA ganz krass die Klassenunterschiede: Weiße Männer mit weniger als High-School-Abschluss, also Geringverdiener, hätten eine durchschnittliche Lebenserwartung von 67,5 Jahren, weiße Männer mit College-Testat dagegen eine von 80,4 Jahren, berichtet das Fachmagazin Health Affairs kürzlich. (Die High School ist vergleichbar mit der deutschen Hauptschule.) Die Lebenserwartung der weißen Männer ohne High-School-Abschluss sei zwischen 1990 und 2008 um drei Jahre zurückgegangen.Naomi Klein hat nicht übertrieben: Man müsse die „fiskale Klippe als Chance nutzen“, heißt es tatsächlich auf der Website des Fix-the-Debt-Verbandes. Es geht den Konzernen damit auch um ihre Steuern. Inmitten des Tumults über die Einkommenssteuer bemühten sich US-Unternehmen um eine Reform der Unternehmenssteuern, schreibt die Washington Post in dieser Woche. Sie wollten – angeblich wegen verbesserter Wettbewerbsfähigkeit – im Ausland erzielte Profite bei einer Rückführung in die USA nicht mehr versteuern müssen. Eine Studie des Institute for Policy Studies hat errechnet, dass die Mitgliedskonzerne von Fix the Debt durch eine solche Refom Dutzende Milliarden Dollar kassieren würden.Am 21. Januar legt Obama seinen zweiten Amtseid ab. Bis dahin werden seine Wähler wissen, ob sie bei der Wiederwahl wirklich gewonnen haben. Mehr als ein Indiz wird sein, ob der Präsident Konzessionen macht beim republikanischen Angriff auf Medicare und Social Security. Und ob er die Reform der Unternehmenssteuern tatsächlich in Betracht zieht.