Absurd

Schönes Scheitern Anmerkungen zu zwei Beckett-Inszenierungen

Wenn Anton Tschechow seit 100 Jahren der Seelenarzt für Frustrationen über "bürgerliches Heldenleben" ist, so ist Samuel Beckett seit 50 Jahren der Therapeut für die sublimen Psychosen einer "heimatlosen", desperaten und handlungsunfähigen Intelligenzia. Seine Couch: das Nagelbrett der salomonischen Erkenntnis, dass alles unter der Sonne absurd und eitel sei. Dieser existentialistische Befund lässt als "Prinzip Hoffnung" bestenfalls noch die Haltung "Wir sind gescheitert. Auf zu besserem Scheitern" zu. Für das Gemüt des "zahlenden Publikums" wird der "schwarze" Beckett dann zu einem intellektuellen Aphrodisiacum oder zu einer masochistischen Selbstgeisselung, die durch die Ironie Becketts als souveräne Selbstenthebung genossen werden kann.

Für ersteres wäre so recht die Inszenierung von Becketts Letztem Band in der Schinkelschen Schlosskirche von Neuhardenberg (das zu DDR-Zeiten Marxwalde hieß) angetan: Ein alter Mann spielt sich wieder einmal ein Tonband vor, auf dem seine Erinnerung an die Jugend, an Eltern, vor allem aber an die Bootsfahrt mit einer Frau festgehalten ist, und das er als 39-Jähriger aufgenommen hatte. Diesem Sentimentalismus glaubt er schließlich widersprechen zu müssen, schläft darüber ein und bekennt zum Schluss über seine "besten Jahre" von damals: "Aber ich wünsche sie nicht zurück. Jetzt nicht mehr, wo dies Feuer in mir brennt."

Dieses wohl menschlichste Stück Becketts trägt sich als Monolog zu, der mittels der Tonaufnahme als innerer Dialog geführt wird. Seine Attraktivität liegt gerade darin, dass die Hör-Erinnerung nicht nur den Schauspieler, sondern auch das Publikum zu eigener Imagination auf- und herausfordert. Was aber lassen sich Regisseur B. K. Tragelehn und mit ihm der Darsteller des alten Krapp Josef Bierbichler einfallen? Sie schminken der Figur eine rote Schnapsnase an und versehen sein weißgeschminktes Gesicht mit Nietzsche-Schnauzbart und einer struppigen Einstein-Perücke, verfremden sie also fast ins Clowneske. Dann muss die Figur vom erhöhten Podest in der Apsis der Kirche aus der Tiefe mühselig das Gerät hochtragen, aber nicht ein Tonband, sondern einen Videorecorder mit Monitor und dazu eine Videokamera mit Stativ, die neben dem Tisch aufgebaut wird. Von da an ist der Darsteller dazu verurteilt, dem Publikum den breiten Rücken zuzuwenden, auf dass er erst mit dem Gesicht des jüngeren, dann dem angeschminkten Clownsgesicht des alten Krapp auf dem Monitor wahrgenommen werden kann. Bierbichler gibt sich dieser zweidimensionalen Verflachung seiner selbst mit offensichtlichem Spaß hin, schreit fuchtig seine Wut aus, verspottet und versöhnt sich selbst, ist aber um seine dreidimensionale Bühnenpräsenz, geprägt durch Lakonismus und Präzision, gebracht. Selten sprang die "Vidiotisierung" des zeitgenössischen Theaters so evident in die Augen.

Geradezu gegenläufig dazu die Inszenierung des Beckettschen Endspiels im Deutschen Theater. Regisseur Jan Bosse setzt sich über die Bühnen- und Spielanweisungen des Autors hinweg: Alle Dekoration, jegliches Mobiliar entfällt. Sogar die Figuren werden reduziert: Übrig bleiben Hamm und Clov. Worauf es dem Regisseur anzukommen scheint, ist die Herausstellung des überlebten Herr-Knecht-Verhältnisses. Die Imagination einer immer unwirtlicher werdenden Welt wird durch die beiden "Endspieler" im Wortsinn erspielt.

Ulrich Matthes, in einem Silberlaméanzug steckend, blind, bewegungsunfähig an seinen Stuhl gefesselt, gibt Hamm die Arroganz, die Allüre, die schneidende Logik von Macht im Zerfall in einem Maße, dass die bescheidenen Ansätze zu Einsicht fast weggespielt werden. Wolfram Koch als Clov, in einer Kittelschürze steckend, an den nackten Beinen Sandalen, gibt auf kongeniale Weise die ererbte Abhängigkeit, die wiederholten Anläufe zur Selbstbefreiung aus dieser Unmündigkeit, den hilflosen Zorn in symbolisch erteilte, endlich doch wirklich gesetzte Ohrfeigen wieder. Er entlässt sich schließlich selbst, während Hamm sich einen hochmütigen letzten Ruck, die Pose heroischen Fatalismus einnehmend, mit den Worten verpasst: "Da es so gespielt wird ... spielen wir es ebenso."

Gerade weil in diesem glänzend gespielten Endspiel das zerbrechende Herr-Knecht-Verhältnis zum zentralen Thema gemacht wird, fällt auf, dass dieses Theater mit den gerade in diesen Tagen vordemonstrierten Anstrengungen, am Herrn-Knecht-Verhältnis in der Realität im Weltmaßstab zu rütteln, nicht das geringste zu tun hat. Es bleibt ästhetischer Schaubudenzauber.


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