Am Anfang

Linksbündig Breyten Breytenbach in Neuhardenberg

Wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, lautet ein alter Politikerwitz, den man in den letzten Tagen wieder öfter lesen konnte. Neu ist, wie kläglich er klingt. In Zeiten, in denen der sieggewohnte Kapitalismus seinen Fortbestand offenbar nur mit Einschränkungen ziviler Rechte und dem Abbau sozialer Sicherheiten retten kann, werden die Pragmatiker kleinlaut; und gar als Pfeifen im Walde klingen ihre Konzepte, wenn sie, wie derzeit, nicht von einer rasanten New-Economy gestützt, sondern von ihrem Zerfall unterminiert zu werden drohen.

Wo "Reformen" bedeuten, dass das einstmals mit Stolz präsentierte Regelwerk der sozialen Marktwirtschaft reduziert wird, wo es um nichts anderes mehr geht, als das ökonomische Räderwerk zu sichern, könnten nun wieder die gefragt sein, die den Aufbruch in eine neue Wirtschafts- und Weltordnung propagieren und dafür umfassende Theorien vorlegen. Doch wie "Reform" nicht "mehr Demokratie wagen" heißt, also kein Wagnis nach vorn, scheint auch die umwälzende Alternative, der Aufbruch zum utopischen ganz Anderen, keine Nahrung zu finden, heute, wo neben der schlechten Wirklichkeit das Chaos des Terrorismus aufscheint.

Eher schon schlägt die Stunde des "autonomen Intellektuellen" (Habermas), der den Dingen seinen Blick leiht, der sie ins Gespräch kommen lässt ohne voreilige Tabuisierungen, an abgelegeneren Orten wie Tutzing, Loccum oder jetzt auch nahe Berlin im brandenburgischen Neuhardenberg. Dort war kürzlich, eingeladen von der Stiftung Schloß Neuhardenberg und Lettre International, Breyten Breytenbach, der Poet und Schriftsteller, der wegen seines Widerstandes gegen die Apartheid sieben Jahre in Südafrika im Gefängnis saß. Heute lebt er in New York und Paris und vor allem bei Dakar im Senegal, wo er mit einem Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Kultur den demokratischen Gedanken in Afrika fördert. Kein Eiferer, einer, der die Menschenrechte konkret vorangebracht hat. Und doch konnte man beim Titel seines Vortrags glauben, hier würde die Schraube des Antiamerikanismus um eine weitere Windung angezogen: Die USA gegen den Rest der Welt? - Die Neuordnung der Machtverhältnisse nach dem 11. September, die Herausbildung eines amerikanischen Empires und die internationalen Reaktionen. Breytenbach sprach vom Irak, von der aberwitzigen Logik, als Vorbeugemaßnahme Krieg zu führen, um den Frieden zu sichern. Ein Exkurs führte ihn zu jüngsten Zahlen aus dem New York Times Magazine: Die 13.000 reichsten Amerikaner haben zusammen ein Einkommen, das so groß ist wie das der 20 Millionen ärmsten. In den letzten 30 Jahren stieg das durchschnittliche Einkommen der Amerikaner um 10 Prozent, der Hundert Bestverdiener um 2.500 Prozent. Die zitierte Studie macht diese ungleiche Verteilung dafür verantwortlich, dass in den USA die Armut größer und die Lebenserwartung geringer ist als in vergleichbar hoch entwickelten Staaten. Und doch, meinte Breytenbach mehr resignativ als polemisch, falle den Wirtschaftsstrategen nichts besseres ein, als zu fordern, für die Ankurbelung der Konjunktur müssten die Reichen noch reicher werden.

Er sprach von einem "Allzweck-Feigenblatt" für die Verletzung von nationalen und internationalen Rechten, von der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten wie der Unschuldsvermutung oder der Überwachung legal eingereister ausländischer Gäste, über die Unverletzlichkeit der Staaten bis hin zur gemeinsamen Sorge um den Planeten.

Obwohl Breytenbach sich nicht um moderate Töne sorgte, stellte sich keinerlei antiamerikanische Stimmung ein. Im Gegenteil: Zwei Amerikaner im Publikum bedankten sich für die klarsichtige Situationsbeschreibung. "Alle Weisheit", zitierte Breytenbach Konfuzius, "ist darin begründet zu lernen, die Dinge beim Namen zu nennen" - das ist der Beitrag des Intellektuellen an Orten, wo sie gehört werden können. Ohne dass dabei freilich Lösungen entstünden: Indem er sie vermisste, klagte Breytenbach die klassischen bürgerlichen Werte ein, Gerechtigkeit, Freiheit, Selbstbestimmung und Solidarität. Als Hoffnungszeichen wertete er die vielen Antikriegsdemonstranten im Central Park von New York - "Not in our name, not with our money, not with our blood" - und machte sich schließlich das Motto der Attac-Bewegung zu eigen: "Eine andere Welt ist möglich". Wenn aber statt Theorien Werte und statt Strategien Losungen beschworen wurden, war das meist ein untrügliches Zeichen, dass man wieder einmal ganz am Anfang stand.

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