Für ökonomische Laien scheint es ein logisches Mittel zur Bekämpfung der Inflation zu sein: Wenn die Preise durch die Decke gehen, Deckel drauf! Umgekehrt reagieren die meisten Ökonomen allergisch auf Vorschläge staatlicher Preiskontrollen, sei es bei Mieten, Lebensmitteln oder beim Benzin. Preise seien doch wichtige Indikatoren von Knappheit! In den USA trat die Ökonomin Isabella Weber im Dezember 2021 eine Debatte los, als sie Preiskontrollen zur Bekämpfung der dort noch stärker als in Europa grassierenden Inflation als Möglichkeit erwog.
der Freitag: Herr Elrod, in den letzten Monaten wurde immer wieder hitzig über Preiskontrollen diskutiert: Sie hingegen blicken nüchtern auf dieses Instrument der Wirtschaftspolitik. Warum?
Andrew Elrod: Vor dem Kalten Krieg war Preisregulierung ein alltägliches Instrument ökonomischer Politik. In den Vereinigten Staaten begann etwa der New Deal in den 1930er Jahren mit der sogenannten National Recovery Administration, einer riesigen Behörde mit über 500 verschiedenen Industriebehörden, die für jede Branche Kodizes für fairen Wettbewerb festlegten. Die führenden Unternehmen eines Marktes setzten sich zusammen und einigten sich auf Kostensätze und Preisraten, die sie alle rentabel halten sollten, und gaben diesen Vereinbarungen dann Gesetzeskraft – eine Art legales Kartell.
Warum denken viele an Preiskontrollen nur noch im Zusammenhang mit Kriegszeiten?
In den Vereinigten Staaten ist die Erinnerung an Preiskontrollen im Zusammenhang mit der Kriegsmobilisierung am greifbarsten. Das liegt daran, dass die Legislative der Regierung damals eine Art Vollmacht erteilt hat, jeden Preis zu kontrollieren. Aber das ist nicht das einzige Beispiel für Preiskontrollen. Auch heute gibt es insofern kontrollierte Preise, als diese auf vielen Märkten nicht durch Wettbewerb festgelegt werden. Diese Preissetzungen beruhen häufig auf privater Organisation und Macht. Nicht Regierungen, sondern die größten Produzenten legen die Preise selbst fest. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Vorschriften für einzelne Branchen, die Preiskontrollen darstellen. Das offensichtlichste Beispiel sind die öffentlichen Versorgungsbetriebe für Wasser oder Strom. Diese Unternehmen erheben Benutzungsgebühren, die – zumindest in den Vereinigten Staaten – von den Public Utility Commissions kontrolliert werden. Dabei handelt es sich um staatliche Gremien, die die Renditen festlegen.
Was halten Sie von dem Argument, dass Preiskontrollen Anreize unterbinden, die Produktion zu erhöhen, und dass dadurch Marktverzerrungen entstehen?
In Branchen, in denen steigende Preise für Verbraucher problematisch sind, bestehen oft bereits unzureichende Kapazitäten. Die Preiskontrolle hilft, die Rationierung eines festen Warenangebots an die Kunden auf einer anderen Grundlage als dem Preis sicherzustellen. Wenn die Nachfrage zu hoch ist, muss sie durch staatliche Rationierung ergänzt werden. Ich möchte der Annahme widersprechen, dass es in der Gesellschaft ein „Gesamtgleichgewicht“ gebe, von dem aus gesehen Preiskontrollen „Verzerrungen“ verursachen. Preise und Mengen ändern sich ständig, oft unter dem Einfluss widersprüchlicher Kräfte. Zu sagen, dass es der Staat ist, der „Verzerrungen“ in den privaten Markt einführt, halte ich für Ideologie.
Gucken wir uns noch mal die Preiskontrollen während des Zweiten Weltkriegs an. Wie funktioniert ein solches System? Es scheint kompliziert zu sein: Die Regierung muss wissen, welche Preise kontrolliert werden und welche Preisänderungen tolerierbar sind, außerdem braucht sie Leute, die kontrollieren, dass sich alle an diese Preise halten ...
Es ist in erster Linie eine Überwachungsmaßnahme. Während des Zweiten Weltkriegs gab es einen nationalen Stab von etwa 70.000 Beamten, ein Dutzend Regionalbüros und dann noch Organisationen auf Bezirksebene, die mit Freiwilligen besetzt waren. Wenn man die Freiwilligen mitzählt, waren in den Vereinigten Staaten eine halbe Million Menschen an den Preiskontrollen des Zweiten Weltkriegs beteiligt. Das liegt daran, dass jeder Konsumartikel kontrolliert wurde.
Zur Person
Andrew Elrod, 30, ist Historiker und Autor. Er lebt in Los Angeles. Elrod hat an der University of California, Santa Barbara, über die Geschichte von Lohn- und Preiskontrollen in den USA zwischen 1940 und 1980 promoviert. Er arbeitet nun in der Forschungsabteilung der United Teachers Los Angeles, einer Gewerkschaft mit 36.000 Mitgliedern.
Und wie ging es nach dem Zweiten Weltkrieg weiter?
Bald kam der Koreakrieg, in dem wir ebenfalls eine staatlich kontrollierte Wirtschaft hatten. Danach gab es oft freiwillige Richtlinien, aber jahrzehntelang keine obligatorischen Preiskontrollen. Das war der Versuch, die Quadratur des Kreises zu schaffen: also die Wirtschaft weiterhin zu steuern, trotz der Vorbehalte vieler Geschäftsleute gegenüber Regulierungen. Aber eigentlich sollten diese Richtlinien dem gleichen Zweck dienen wie Preiskontrollen: Sie sollten die Lohn-Preis-Spirale unterbrechen und es den öffentlichen Gremien ermöglichen, die Einkommensentwicklung bewusst zu steuern. Es gab ein zulässiges Niveau für Preiserhöhungen, beziehungsweise einen erwarteten prozentualen Anstieg der Löhne. Aber diese waren nicht obligatorische, sondern nur freiwillige Leitlinien.
Und sind diese ernst genommen worden?
Ja, zumindest von den Gewerkschaften. In den 1960er Jahren ist die Demokratische Partei das, was einer Arbeiterpartei in den USA am nächsten kommt, und die Demokraten werden mit der Unterstützung der organisierten Arbeiterschaft gewählt, die sagt: „Wir werden diesen Leitlinien zustimmen, wir werden nicht darauf drängen, dass die Löhne über 3,2 Prozent pro Jahr steigen. Aber wir erwarten von der Regierung, dass sie sich für die Gesetze einsetzt, die die organisierten Arbeitnehmer wollen.“ Und so haben wir in den Vereinigten Staaten Medicaid und Medicare (also eine staatliche Krankenversorgung, Anm.d.Red.) bekommen. Das war ein politischer Austausch, der stattfand.
Und die Unternehmen?
Während sich die Gewerkschaften in den USA auf die vorgeschlagenen Lohnerhöhungen einließen, haben die Unternehmen sich nicht selbst beschränkt. Sobald in den USA die Ausgaben für den Vietnamkrieg beginnen, steigen die Produktionspreise, weil diese Märkte oft so konsolidiert sind, dass drei oder vier Unternehmen den Preis festlegen und die Produktion zum gleichen Preis verdoppeln können. Eine höhere Kapazitätsauslastung der vorhandenen Anlagen senkt die Kosten pro Einheit. Wenn die Preise bei steigender Produktion nicht sinken, erzielt man also höhere Gewinne. Zusätzlich zu diesen wachsenden Gewinnen begannen die großen Unternehmen tatsächlich, die Preise zu erhöhen. Das ist eine sich wiederholende Erfahrung unter den Präsidenten Kennedy und Johnson: Die Leitlinien betrafen die Löhne, nicht die Gewinne.
Wie hat die Regierung darauf reagiert?
John F. Kennedy war irritiert, er lud die Präsidenten der größten Stahlunternehmen ins Weiße Haus ein und forderte sie auf, sich an die Richtlinien zu halten. Im Frühjahr 1962 setzt sich U. S. Steel dann öffentlich über den Präsidenten hinweg, sodass Kennedy und seine Berater überlegen: Wie können wir U. S. Steel dazu zwingen, die Preise ohne Preiskontrollen zu senken? Sie denken sich alle möglichen Alternativen aus: zum Beispiel über Regierungsaufträge für die Konkurrenz zu niedrigeren Tarifen.
Sie gehen an die Presse und nennen U. S. Steel unpatriotisch. Und auch Marilyn Monroe bringt sich in die Angelegenheit ein!
Heute ist die Erinnerung an Marilyn Monroe, die „Happy Birthday, Mr. President“ singt, eine Art Mythos des Amerikas der Jugend der Babyboomer-Generation. Aber wenn man sich das Video anschaut, in dem Monroe in ihrem Paillettenkleid singt, dann lautet der Text: „For all the things you’ve done, the battles that you’ve won, the way you deal with U. S. Steel and our problems by the ton.“ Es war also eine Zeit, in der die Kontrolle der Preise als männliche Handlung angesehen werden konnte. Es geht nicht nur um den Glanz, den Kennedy als junger Präsident ausstrahlte, sondern auch um den Mut, gegen unverantwortliche Unternehmen vorzugehen.
Diese Preisregulierungen waren freiwillig, auch wenn Kennedy öffentlich Druck auf Unternehmen aufbaute. Viele Leser werden vielleicht überrascht sein, dass es ein Republikaner war, der Preiskontrollen nach Jahrzehnten wieder eingeführt hat. Das war 1971. Drei Jahre nach Beginn der Nixon-Regierung und sechs Jahre nach Beginn einer Inflationsperiode, in der sich beide Parteien weigerten, irgendeine Art von Preiskontrolle in Betracht zu ziehen, sieht Nixon die Wahlen von 1972 kommen. Und er erkennt, dass er die Wahl verlieren wird, wenn die Inflation anhält, also führt er Preiskontrollen ein. Er hält diese bis kurz nach den Wahlen im November 1972 aufrecht, und es wird ein Erdrutschsieg. Er besiegt den Kandidaten der Linken, George McGovern. Die Preiskontrollen enden dann im Januar 1973, sie werden freiwillig. Die Folge ist eine sofortige Beschleunigung der Inflation.
Seit 50 Jahren gibt es nun keine obligatorischen Preiskontrollen mehr. Wenn die US-Regierung sie wieder einführen wollte, wäre das im digitalen Zeitalter nicht viel einfacher?
Vorausgesetzt, sie hätte die Befugnis dazu. Aber ja, die Überwachung wäre heute einfacher. Ein großer Teil der Bürokratie des frühen 20. Jahrhunderts war reine Informationsverarbeitung, ein riesiger Strom von Papierkram. Die Digitalisierung hat vieles vereinfacht, sodass der bürokratische Aufwand geringer wäre. Aber die Schwierigkeit der Preiskontrollen war nie technischer Natur. Schon bevor wir Computer hatten, haben wir die notwendige Bürokratie aufgebaut. Die Schwierigkeit ist politischer Natur. Es geht darum, mächtige Interessengruppen dazu zu bringen, sich in ihrem Geschäftsgebaren und ihrer Preissetzung kontrollieren zu lassen, also um nackte Interessenpolitik: Wer ist stark genug, um die Einkommensverteilung zu kontrollieren?
Kommentare 7
Politik hat die Grenzen festzulegen, innerhalb derer die Wirtschaft zu funktionieren hat. Dazu gehören auch Löhne und Preise. "Der Wirtschaft" hat es nicht gut zu gehen. Sie muß bloß funktionieren. Und wenn nicht, dann hat der Staat einzugreifen.
Wer das für zu sehr ideologiebelastet hält, ist in letzter Konsequenz Anarchist oder predigt das Faustrecht.
staatliche preis-intervention findet längst auch durch steuer-erhebungen statt.
beispiel: tabak-, mineralöl-steuer, befreiung des flug-verkehrs von kraft-stoff-steuern...
Preiskontrollen sind in einer "marktkonformen Demokratie" wie Deutschland ein sehr heikles Thema und deshalb in vielen konservativen Medien ein "Tabu".
Viele ungebildete Bürger aka Amateure denken, die real existierende "Marktwirtschaft" funktioniere wie ein türkischer Basar, der ZDF-Flohmarkt "Bares für Rares" oder ebay.
Es gibt auch viele "gebildete" Bürger, die sich selbst als Ökonom oder Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen, dabei aber den wichtigen Zusatz "neoliberal-konservativ" vergessen, die genauso denken wie die Amateure. Derlei "Experten" findet man sehr häufig bei den Mainstream-Medien der bürgerlichen Mitte wie der Frankfurter Allgemeinen oder der Süddeutschen Zeitung.
Auf einem türkischen Basar bzw. Flohmarkt treffen sich Mustafa Angebot und Frau Gudrun Meier-Nachfrage. Herr Angebot möchte eine "antike" Lampe verkaufen und bietet sie laut Preisschild für 200 Euro an. Frau Meier-Nachfrage findet die Lampe zwar wunderschön, sie möchte aber keine 200 Euro dafür zahlen, weil sie diesen Preis zu hoch findet.
Deshalb feilschen und handeln beide so lange um den "Gleichgewichtspreis" bis sich Herr Angebot und Frau Meier-Nachfrage irgendwo in der Mitte treffen (zum Beispiel bei 160 Euro) und beide wunschlos glücklich sind. Ist das nicht romantisch wie in einem Märchen?
Ja, liebe Kinderlein so denken neoliberal-konservative Ökonomen und viele Amateure in Deutschland glauben das. Aber so funktionieren viele Märkte in der real existierenden kapitalistischen Marktwirtschaft aka "marktkonforme Demokratie" nicht. Das ist so wie mit dem real existierenden Sozialismus, nur eben andersherum.
In der real existierenden kapitalistischen Marktwirtschaft regiert nicht der Markt, sondern das Kapital entscheidet, wo es in der Wirtschaft lang geht. Es sei denn, die Politik greift ein und setzt der Diktatur des Kapitals Grenzen.
Wenn Frau Meier-Nachfrage zum Beispiel in München oder Stuttgart eine Wohnung sucht, weil sie dort eine tolle neue Arbeitsstelle gefunden hat, aber Frau Meier-Nachfrage keine bezahlbare Wohnung findet, weil die Mieten in den letzten Jahrzehnten im Gegensatz zu den Löhnen/Gehältern explodiert sind, dann ist das richtig blöd für Frau Meier-Nachfrage und es wird wohl nichts werden mit dem tollen neuen Job. Da nützt es dann auch nichts, dass Frau Meier-Nachfrage am türkischen Basar einmalig 40 Euro "gespart" hat.
Es ist aber nicht nur blöd für Frau Meier-Nachfrage, es ist auch blöd für das Unternehmen, das Frau Meier-Nachfrage gerne eingestellt hätte. Es ist also auch blöd für die Wirtschaft insgesamt und das Wohl der Allgemeinheit.
(Es gibt selbstverständlich auch ein paar Bürger, die dabei massiv profitieren, das muss man ehrlicherweise auch dazu sagen. Dazu gehören zum Beispiel Frau Immobilienbesitz, Herr Dr. Spekulant und Gregor Grundstück, der erst vor kurzem mehrere unbebaute Grundstücke geerbt hat.)
Leider kennen viele neoliberal-konservative Ökonomen und Politiker das Wort "Marktversagen" nicht. Der Markt ist heilig und macht nie Fehler. Die Marktwirtschaft führt immer und überall zur optimalen Allokation der Ressourcen und macht alle Bürger irgendwann in ferner Zukunft glücklich und froh.
Und was sagen Maybrit Illner, Markus Lanz und der "neue" Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den "Grünen" zu Marktversagen, explodierenden Mieten und Preiskontrollen?
Naja, Preisdeckel funktionieren nicht und sind kontraproduktiv. Das wurde mittlerweile millionenfach bewiesen. Absoluter Blödsinn der Artikel.
Eine Preiskontrolle ist bei Knappheit nur mit einer Rationierung verbunden sinnvoll. Ansonsten ersetzt der Schwarzmarkt den regulären Markt.
Zitat: "Preisdeckel ... sind kontraproduktiv"
Da haddu recht. Preisdeckel sind vor allem kontraproduktiv für Immobilienspekulanten und andere Spekulanten, Miethaie und private Monopolunternehmen.
Das Wort "Miethai" hätte ich an Ihrer Stelle allerdings nicht verwendet. Das hat so einen negativen Touch und auch das Wort "Spekulant" klingt nicht besonders gut. Solche Begriffe sollten Sie in der öffentlichen Debatte weglassen. Die Moderatoren von ARD-Tagesschau und ZDF-heute-journal kennen diese Begriffe gar nicht.
Zitat: "Eine Preiskontrolle ist bei Knappheit nur mit einer Rationierung verbunden sinnvoll."
Sind bezahlbare Wohnungen am Wohnungsmarkt nicht auch ohne staatliche Preiskontrollen extrem knapp? Auch der "freie" Markt rationiert und das ganz gewaltig.
Was und wem nützt es, wenn ein Mieter 1.500 Euro netto im Monat verdient und die "billigste" Wohnung 1.000 Euro pro Monat kostet? Da bleibt nach Abzug der Miete fast nichts mehr zum Fressen übrig. Das nützt nur den Vermietern.
Die einzige (theoretische) "Preiskontrolle", die es in diesem unserem Lande bislang im Gesetz gibt, wäre der Tatbestand des sogenannten Wucher.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) - § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
Mir ist allerdings bislang kein Fall bekannt, bei dem ein Mieter in diesem unserem Lande nach Abschluss des Mietvertrages den Vermieter gerichtlich auf "Wucher" verklagt und vom Gericht Recht bekommen hätte.
Aber vielleicht ist Ihnen ein Fall bekannt.