Schon in den Tagen rund um die diesjährigen Siegesfeiern am 9. Mai hatte ich in Moskaus Innenstadt nur noch Rot gesehen. Es gab riesige blutrote Stoffbanner und Parolen, denen man nicht entkommen konnte. Dazu wurde dem Heldenmythos Genüge getan, und sei es in einem speziell ausstaffierten U-Bahn-Waggon, mit dem man inmitten groß gemalter Kriegshelden und -szenen durch den Untergrund fuhr. Die leisen Einwände alter Menschen, die dem Krieg kein Heldentum abgewinnen können, gingen unter. Stattdessen waren in der Metro Mütter mit kleinen Kindern in Militäruniform unterwegs, rote Fähnchen in der Hand. Die Kostümierung galt als patriotisch und chic. Eine russische Psychologin warnte auf Facebook eindringlich davor, Kinder in Uniform zu stecken: Es sei die Vorbereitung auf den Krieg, ja, auf den Tod. Sie erhielt jede Menge Hass- und Schmähkommentare. Bevor dann am Nachmittag des 9. Mai das „Unsterbliche Regiment“ mit einem Mix aus sowjetischen und russischen Flaggen sowie riesigen Fotos der im Großen Vaterländischen Krieg Gefallenen über die Hauptmagistrale Twerskaja zog, floh ich zu Freunden in einen der grünen Randbezirke Moskaus. „Das ist alles Propaganda, Maskerade!“, beschwerte sich eine Freundin, Jelena, eine Redakteurin. „Die Regierung arbeitet wieder mit Bildern und Symbolen aus der Stalin-Zeit, um das Gefühl eines starken Imperiums zu vermitteln. Stalin ist dafür die geeignete Figur, er wurde stets damit identifiziert. Viele, die in der Sowjetzeit aufwuchsen, wollen das als Bestätigung und Belohnung. Sie wissen nicht mehr, was wahr ist und was nicht.“
Kneten und basteln
Ich erinnere mich noch gut an die Ausstellung Agitation zum Glück im Petersburger Russischen Museum, die 1994 sowjetische Kunst aus der Stalin-Zeit zeigte. Was man sah, vermittelte einen zwiespältigen Eindruck, einerseits hohes professionelles Niveau und Idealismus, andererseits ein unkritisches Verhältnis zum System. Die meisten Besucher bekundeten große Sympathie. Mit der Stalin-Zeit verknüpfen viele in Russland bis heute Jugend, schöne Gefühle, den Aufbruch zu hohen Zielen – weniger Terror und Repression.
Es war ein Schock, als ich vor Jahren in einer Buchhandlung auf dem Alten Arbat in Moskau neben der Kasse einen Kalender mit zart nostalgischen Fotos der 1918 ermordeten Zarenfamilie sah und gleich daneben ein Almanach mit Stalins Porträt auf rotem Grund angeboten wurde. Hatten sich viele Bürger nur die Ohren gerieben, als Wladimir Putin 2001, ein Jahr nach Übernahme der Präsidentschaft, die alte sowjetische Hymne mit polierten Versen wiedereinführte, so wurde ab 2013, zum 60. Todestag Stalins, die öffentliche Präsenz sowjetischer Symbole von einst gezielt verstärkt. Inzwischen ist der einstige Diktator erneut zum lieben Väterchen und Gottersatz mutiert, umgeben von einer Flut von pseudowissenschaftlicher Literatur. Was da an Propaganda dargeboten wird, trägt Früchte. Beunruhigend und heftig diskutiert sind die Ergebnisse einer Umfrage des Levada-Zentrums aus diesem Jahr, nach der weit über die Hälfte aller Befragten Josef Stalin als eine insgesamt positive Figur bezeichnen, die auch Menschenopfer rechtfertige.
Darüber ist nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Intelligenzija gespalten. Kritische Denker warnen vor einem Erinnerungskult, andere meinen, alles geschehe wegen der Korruption, die hätte es unter Stalin nicht gegeben. Auch seriöse Zeitgenossen in Moskau oder St. Petersburg beteuern, der Schriftsteller Alexander Solschenizyn (1918 – 2008) habe in seinen Büchern zum Gulag Lügen verbreitet. Erklärte Stalinisten zeigen in der Stadt Nowosibirsk offen Flagge und fühlen sich bestärkt, weil die dort von der KP gebildete Stadtregierung nicht nur eine neue Stalin-Statue errichten, sondern auch Festtage im altsowjetischen Stil veranstalten ließ. Kinder durften auf einer Tribüne unter dem Spruch „Dank dem Genossen Stalin für unsere glückliche Kindheit!“ eifrig kneten und basteln.
Im Zentrum von St. Petersburg künden derzeit Plakate von einer neuen Produktion des Alexandrinsky-Theaters. Es geht um das Stück Die Geburt Stalins. Valery Fokin, Intendant und Regisseur des zweitältesten Staatstheaters in Russland, spricht von der Sezierung einer gigantischen Eiterbeule am Körper der Nation. Er ließ den Werdegang des als Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili Geborenen prüfen, montierte historisches Material mit Texten heutiger Autoren sowie Fragmenten aus Fjodor Dostojewskis Roman Böse Geister (auch unter dem Titel Dämonen bekannt).
Der Besucheransturm ist heftig, die Menschen stauen sich vor den Metalldetektoren der Security, die in den Theatern längst Routine sind. Die ersten Reihen im rotgoldenen Prachtsaal sind Prominenz und Presse vorbehalten. Der Vorhang öffnet sich – und erstaunt sieht man zunächst altes Illusionstheater: ein die ganze Bühne füllender Prospekt zeigt die pittoreske Ansicht des alten Tiflis Ende des 19. Jahrhunderts. Es spielen sich erste Zusammenstöße ab, aufmüpfige Jugend versus Staatsmacht. Gleichgesinnte finden sich, stimmen schöne georgische Lieder und Trinksprüche an, bald aber wechselt die idyllische Szenerie, und man erblickt das Innere eines orthodoxen Klosters. Dschugaschwili besuchte einst das Geistliche Seminar in Tiflis, ein überaus wichtiger Faktor! Ins Auge fällt, wie er als Novize heimlich die Regeln der Kirche untergräbt – nicht als Atheist, dann hätte er der Kirche nur den Rücken gekehrt, vielmehr als künftiger Antichrist (Antichrist und Menschengott sind Begriffe, ohne die man weder die russische Literatur noch Philosophie oder Religion wirklich versteht. Man denke an Dostojewski!). Die illusionistisch gehaltenen Requisiten der Theaterszenen, die mit jedem Bild räumlich schrumpfen, werden von Arbeitern gebracht und aufgestellt.
Inhaltlich wird der Zuschauer Zeuge der Hörigkeit seiner georgischen Freunde, ohne die „Soso“ (die georgische Koseform für Josef) niemals zu ihrem Anführer aufgestiegen wäre. Schließlich stachelt „Soso“ die Kameraden zum Anschlag auf einen Geldtransport an, bei dem es Tote gibt und Freunde verhaftet werden, während sich „Soso“ selbst in Sicherheit bringt. Alles kulminiert in einer Friedhofsszene. Am Grab ihres Vaters, den „Soso“ um Geld erpresste, indem er mit der Ermordung eines Sohnes drohte, wird Olga von „Soso“ vergewaltigt. Der Täter erprobt damit seine Allmacht als Menschengott in absoluter Freiheit von einem Gewissen. Die Botschaft: Der Mann ist ein gefährlicher Terrorist; später sitzt er im Kerker, die große Bühne ist nun ringsum kahl, bis ein Monster erscheint. Es ist der vom Totenbett auferstandene Generalissimus, der den geschlagenen „Soso“ besucht, mit ihm scherzt und ihm eine Papirossa der Marke Belomorkanal anbietet: „Super Name, du wirst das in 30 Jahren verstehen“ (Stichwort: Bau des Weißmeerkanals). Der Auferstandene lehrt „Soso“ nuschelnd in typisch georgischem Akzent, wie er zum allmächtigen Herrscher werden kann: „Nie an dir zweifeln! Töte ohne Mitleid, auch wenn es die eigene Mutter ist!“
Die Endphase des Putinismus?
„Bist du Gott?“, fragt „Soso“ ungläubig. Der Tote antwortet: „Ich bin Stalin, so wie du.“ Beide lachen. Dann weitet sich die kahle Bühne, „Soso“ und der Kerker verschwinden. Aus der Vorderbühne wird im Zeitraffer eine phallusförmige Stalin-Statue hochgezogen. Das Monument erhebt sich – sinkt langsam nieder und knallt auf die Bretter. Black. Vorhang. Kurzer, kräftiger Applaus.
Benommen verlassen die Zuschauer das Theater. Die Inszenierung wühlt auf, schafft Zwiespalt und schürt Streit. Wer 1987/88 den Film Pokajanie (Reue) von Regisseur Tengis Abuladse (1924 – 1994) gesehen hat, in dem der Leichnam eines toten georgischen Massenmörders der Stalin-Zeit von Nachfahren der Opfer immer wieder aus dem Grab geholt und ausgestellt wird, deutet das Theaterstück als Zitat dieses Films: Das heutige Russland hat sein Monster nicht bewältigt, es steht immer wieder auf …
Ähnlich wie Valery Fokin in St. Petersburg wollte der Journalist und Hipster Jurij Dud den Stier bei den Hörnern packen. Er nahm die Angst, die seiner sowjetisch sozialisierten Elterngeneration in den Knochen sitzt, zum Anstoß, deren Ursprung zu untersuchen. So trieb er Mittel auf, um den mehr als zweistündigen Dokumentarfilm Kolyma – Heimat unserer Angst zu drehen. Dazu begab er sich auf Spurensuche und bereiste die 2.000 Kilometer lange sibirische Trasse des Gulag mit den Straflagern und der Geschichte von Millionen Opfern. Ohne Pathos zeigt Jurij Dud Orte und Dokumente des Terrors, Listen der Erschießungskommandos mit Stalins Signatur, er spricht mit Betreibern kleiner Gedenkstätten für die Opfer und befragt deren Nachkommen. Seine Gesprächspartner antworten freimütig – und skandalös, wenn sie trotz der Fakten an Stalin als Gottesfigur festhalten. Der Film erreichte seit April bereits über 15 Millionen Zuschauer.
Ein Indiz dafür, dass es im Land gärt? Unzufriedenheit und Unruhe wachsen, sie entladen sich in Protesten. Wenn Bürger gegen die Willkür von Behörden oder Oligarchen opponieren, nutzen sie zusehends die sozialen Netzwerke. Sei es, wenn es gegen eine mächtige Müllmafia geht, die im ökologischen Schutzgebiet von Archangelsk illegal Abfall entsorgt, oder wenn ein intaktes Waldgebiet im Umland von Moskau abgeholzt werden soll, um eine Deponie zu errichten, was auf den Sohn eines dubiosen Staatsanwalts namens Tschajka zurückgeht. Die Bürger wehren sich, wenn die quasi staatliche russisch-orthodoxe Kirche auf dem Theaterplatz in Jekaterinburg eine weitere Kathedrale errichten will. Aktuell laufen Proteste gegen die Willkür der Polizei mit ihren „fabrizierten Anklagen“ gegen nicht genehme Bürger.
Heißen also doch nicht so viele Menschen den Stalinismus gut? Ist der Putinismus in seiner Endphase, wie Beobachter vermuten? Alexander Zheleszov ist davon überzeugt. Der Autor und Dramaturg ergänzt jedoch: „Die meisten Menschen sind nun einmal Nachkommen von Konformisten, die den Bürgerkrieg und die Sowjetzeit überlebt haben. Sie sagen nur laut, was genehm und gewollt ist. Das können Russen perfekt. Tatsächlich wissen wir nicht, was diese Bürger wirklich über Stalin denken.“
Auf einem riesigen Bildschirm am Neuen Arbat in Moskau flimmerten im Frühsommer in Endlosschleife Szenen mit Fallschirmjägern, die in grüner Landschaft landen und Hügel erklimmen. Die russische Armee warb für Freiwillige. Später war dort Werbung für den Moskauer „Wiener Opernball“ zu sehen, das größte Event des Jahres. Seit 2003 sind diese Bälle samt Wohltätigkeitslotterie im postsowjetischen Russland wiederauferstanden. Dabei treffen sich Geldadel und Prominenz. Wache Beobachter sprechen von einer neuen feudalen Struktur im Land.
Kommentare 43
Die sowjetischen Soldaten waren es, nicht Stalin. Aber, ist schon interessant, wenn Führerfiguren "in Ehren " gehalten werden. Stalin hat später sowjetische Soldaten, die kriegsgefangen waren, noch einmal ins Lager gesperrt.
Meine ersten Anschaffungen nach 1989 waren einige Bücher zum Thema, obwohl ich mich schon vorher damit intensiv befasst habe. Jewgenija Ginsburgs zwei Bände "Marschroute des Lebens" und "Gratwanderung". Solshenizins "Denissowitsch". Ganz belangvoll und schrecklich ist Warlam Scharlamow mit seinen Erzählungen aus Kolyma.
Was mich sehr wundert ist, dass die so zahlreichen Dokumentationn über diese Zeit auf einmal kaum noch beachtet werden. Demnächst wird es einen Spielfilm geben
https://www.programmkino.de/content/Filmkritiken/und-der-zukunft-zugewandt/
der sich mit den Erlebnissen einer deutschen Kommunistin, die im GULAG eingekerkert war, beschäftigt und vor allem damit, wie lange sie schweigen musste darüber und sich auch daran gehalten hat und vor allem warum.
Denn vielen Kämpfern war dieser Spruch von Stalin, der Hitler das Genick bricht ein Schweigegebot.
https://www.berliner-woche.de/pankow/c-politik/gedenktafel-fuer-eine-unbeugsame-pankower-frauenbeirat-erinnert-an-zenzl-muehsam_a87453
mein gott, lethe, ihr abgehobenes aus-der-zeit-sein,
das zeit-genössisches ringen mit der behauptung ewiger kreisläufe
relativiert, ist mir, gerade zu diesem thema: schwer erträglich.
miss-mut haben Sie bei mir nicht ausgelöst, eher widerspruch.
und der hat ja was belebendes.
und verwunderung darüber, daß sich jemand aus der
prometheus verehrenden tradition
so auf die seite der götter schlägt.
Hier erzähle ich, was wir als "Nachkommen faschistischer Barbaren" gerade so angefasst haben. https://www.freitag.de/autoren/magda/eine-von-vielen
Ziemlich dreist übrigens, Ihre Anmerkung.
Wenn man moralische Kriterien mal beiseite lässt, ist die Frage doch, welcher sowjetische Führer das Kaliber sowie entsprechende Programm gehabt hätte, den Nazis Paroli zu bieten.
Antworten zu suchen in Stalins Zusammenbruch während der ersten Invasionswochen – oder umgekehrt: dem Umstand, dass er sich verglichen mit Hitler später recht wenig einmischte in die Detailoperationen seiner Generalität – greift da etwas zu kurz; in der Gesamtheit waren das wohl 35 Prozent Fehler und 65 Prozent richtige Entscheidungen. Die Schlüsseljahre, in denen der sowjetische Weg offen stand, liegen weitaus früher: 1924 und 1928. Beide Daten beinhalten zwei Fragen: a) die Frage, ob der Lenin’sche Notbehelf der NEP als mittel- bzw. langfristiger Normalzustand etabliert werden soll (was grosso modo auf eine halbwegs kommode sozialistische Mischwirtschaft hinausgelaufen wäre), b) die Frage der Führung – wobei neben Trotzki unter anderem Bucharin in Frage gekommen wäre.
Die große Frage ist weiterhin, ob die Sowjetunion ohne die Zwangsindustrialisierung der 1930er (mitsamt ihren horrornen Katastrophen und Irrtümern) das Know-how gehabt hätte, dem NS letztlich die Stirn bieten zu können. Natürlich hat die Rechnung »mit Stalin« Negativpunkte: die sicher katastrophal zu beurteilenden Säuberungen in Partei und Armee oder auch den – ideologisch vielleicht noch desaströser wirkenden – Hitler–Stalin-Pakt (mit dem sich der »Worschd« und sein Team Zeit erkauften, die Katastrophe jedoch nicht abwenden konnten respektive vielleicht sogar größer machten). Last but not least führen derlei Überlegungen zu der Frage, wie die Sowjetunion »alternativ« hätte den Krieg gewinnen können.
Da nicht nur in der Geschichte am Ende vor allem der Erfolg zählt, wundert mich der neuerlich aufflackernde Stalin-Kult nur wenig. Sicher hat dieser heute eine nationalistische Funktion (und, der Zweck heiligt eben immer die Mittel: das »System Putin« zu stabilisieren). Unsicher bin ich mir mittlerweile bei der Frage, ob diese Entwicklung sich mittels weniger westlichem Druck noch korrigieren ließe. Meiner Meinung nach hätten zu Anfang des »Systems Putin« hier noch kommode Chancen bestanden. Mittlerweile jedoch ist das Regime in Russland ein Selbstläufer.
Was man da am besten macht, weiß ich nicht. Vielleicht ist die Opposition gegen Putin am nähesten dran. Kann sein. Wie auch immer: In hundert Jahren werden wir sicher besser Bescheid wissen.
Wir dürfen vielleicht nicht vergessen, dass Deutschland ein Sonderfall ist. Nur hier wurde es politische Richtlinie, mit den Staatsverbrechern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollkommen zu brechen. Warum und wie das kam, ist bekannt.
Nicht mit Franco in Spanien, nicht mit Mussolini in Italien, nicht mit Stalin in Russland, nicht mit den Militärs in der Türkei usw. ist es dergleichen zugegangen.
Wir wundern uns, wenn in Italien völlig offen Mussolini gehuldigt werden kann, Franco in Spanien bis heute sein Ehrengrab bewohnen darf, die Türkei bis heute den Genozid an den Armeniern leugnet und in Russland nun auch offenbar Stalin wieder hervorgeholt wird (in Georgien musste er auch bisher seinen Sockel nicht verlassen). Nur ist es leider der Normalfall, dass Nationen die Reihen ihrer “Recken“ und “Führer“ geschlossen halten. In D wäre es auch nicht anders, wäre es 1945 nicht derart von einer internationalen Allianz niedergeworfen worden.
Tja, leider ist es so, mit dem Nationalismus.
Na, noch ne Schippe drauf und noch eine? Dabei weiß ich überhaupt nicht, woher Sie kommen. Von daher ist das ziemlich albern.
Stalin war ein paranoider, verbrecherischer Gewaltherrscher, der die Rote Armee 1937 entscheidend schwächte durch den Schauprozess gegen Tuchatschewski und die anschließenden blutigen "Säuberungen", in deren Verlauf drei Marschälle (außer Tuchatschewski noch Blücher und Jegorow), 13 Generäle sowie ca. 5000 weitere Offiziere hingerichtet wurden (etwa 45 Prozent des gesamten Offizierskorps der Roten Armee). Dieser Aderlass war verheerend für die Rote Armee, als der deutsche Vernichtungskrieg im Osten am 22. Juni 1941 durch den Überfall auf die Sowjetunion fortgesetzt wurde.
Ohne den paranoiden Schlächter hätten die deutschen Vernichtungskrieger keine so weitreichenden Anfangserfolge erreichen können und die bedingungslose Kapitultion Nazideutschlands wäre nicht erst im Mai 1945 erfolgt.Stalins brutale, jeden erfassende Schreckensherrschaft richtete sich bis 1945 und darüber hinaus in erster Linie gegen die eigene Bevölkerung.
Hitler, der andere, der deutsche wahnsinnige Großverbrecher, terrorisierte hingegen alle, die sich den deutschen Herrenmenschen nicht fügen wollten. Der Rassenwahn kulminierte in der mörderischen Shoah, ermordet wurden die jüdischen Menschen, gläubig oder nicht, Kind, Mann, Frau oder Greis, nur auf Grund ihrer Geburt, weil sie jüdischer Abstammung waren. Bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gröfaz nicht auch späte Verehrung erfährt. Auch wenn die ersten braunen Sumpfblüten für den Ehrenkranz schon zu sprießen beginnen .
- ist es sinnvoll, nach alternativen staatsführern der SU zu suchen,
die hitler vom (welt-)krieg-führen abgehalten hätten?
- wo doch stalin dafür gesorgt hat, daß es in seinem reich
keine alternative zu ihm geben konnte!
- daß die völker der SU letztlich mit den polen die höchsten opfer
gebracht haben,
um die erstarkte kriegs-macht der NS-diktatur(mit den zusätzlichen
ressourcen der besiegten länder in europa) zu stoppen,
ist auch nicht zu erklären ohne die kollaboration/hilfe stalins,
die die aggressions-kraft der hitler-truppen potenzierte
(daß er die widerstands-kraft frankreichs überschätzte,
ist nur eine facette seines despotischen un-vermögens).
- ob und wann eine bewußte weichen-stellung
für eine bessere entwicklung der SU möglich war,
muß man wohl vor die zwanziger jahre legen:
nach der bildung einer kritik-scheuenden,
auf gewalt setzenden partei
war der zug abgefahren.
die rede der sterblichen mit göttern ist höchst ein-wegig.
>>aber keinen Tropfen arisches Blut in meinen Adern.<<
Hab ich wohl auch nicht. Ein paar keltische, slawische, und nach Meinung meiner Mutter primär KuK-österrreichische Gene. Slawische Gene sagt mir übrigens eine enge Freundin (Gesangslehrerin) nach, weil ich russische Volkmusik mag. Als hätt ich kein Gespür für Musik entwickelt, sondern wäre ein pawlowscher Hund.
Geboren wurde ich in einem Verwaltungsgebiet namens "Trizone". Nach wissenschaftlicher Einschätzung als "homo sapiens". Nicht dass ich stolz drauf wäre, es ist halt so.
- die oktober-revolution be-endete nicht den WK I.
das ausscheiden der russischen streitkräfte ermöglichte
den dt. militär-diktatoren die michael-offensive im westen.
- die O-R war auch nicht nur ein gewalt-akt, sondern auch eine
kalkulierte politische irre-führung durch die bolschewiki,
die unhaltbare versprechungen machten und keinesfalls
eine regierung durch sowjets/räte beabsichtigten.
- stalin und kamenew wollten noch (in der prawda)
die kerenski-regierung unterstützend, den krieg weiterführen
bis zu einer friedens-regelung.
lenin hatte politische bündnisse
mit anderen oppositionellen der zaren-opposition längst abgewiesen.
= fehl-informierten kann auf die schnelle wikipedia abhelfen:
--->oktoberrevolution. --->friedensvertrag von brest-litowsk.
erg.: kamenew und josef stalin waren 1917 chefredakteure der prawda.
»ist es sinnvoll, nach alternativen staatsführern der SU zu suchen, die hitler vom (welt-)krieg-führen abgehalten hätten? (…)«
Auch wenn kontrafaktische Geschichte einen schlechten Ruf hat, sind Fragen, welche Alternativen an dieser oder jener Weggabelung möglich gewesen wären, unabdingbar. KEINE Fragen an die Geschichte haben letztlich nur systemaffirmative Hofhistoriker wie etwa Münckler und Winkler – für die alle Protagonisten (etwa: die deutsche SPD) immer richtig gehandelt haben, letztlich auch nie Alternativen hatten und bei denen einfach eine höhere Macht in Gestalt der allgemeinen Zeitenläufe dafür gesorgt hat, dass D glücklich im Westen (= der Ist-Zustand) angelangt ist.
Alle anderen fragen – auch wenn entsprechende Plan-Szenarios naturgemäß immer hypothetisch sind. Haffner etwa stellte die Frage, ob die brutale Niederschlagung der Pariser Kommune notwendig war (der über die Commune schreibende Historiker Thankmar von Münchhausen – ein Konservativer übrigens – ebenso). Die Rolle der SPD 1918 bis 1921 wird zu Recht von immer mehr Historikern kritisch gesehen. Stalin – muß man sicher hinterfragen; ein paar Gründe führen Sie ja selbst auf. Dann aber stellt sich schon aus der Sache heraus die Frage: Was wären die Alternativen gewesen? Exakt das, was kritische Geschichtsforschung eben tut – die Geschichte befragen. Anstatt – was immer einfacher ist – moralische Schulnoten zu verteilen.
Sehr richtig. Mir geht hier in Beitrag und Thread die analysefreie Beurteilung auf den Geist. Man müßte auf Grundlage der umfassenden Analyse der Umstände und Dynamiken zuerst die Frage stellen, ob Stalin ein Paranoiker oder ein skrupelloser Machtpolitiker war, ihm beides zu bescheinigen, ist eine schon in der Überschrift vorgenommene Dämonisierung. Solche Aufarbeitung aus der scheinbar sicheren bürgerlichen Komfortzone braucht die Linke nicht, die Einsicht in die Gründe, wie die große Idee so pervertieren konnte, daß Menschen voller Überzeugung den stalinschen Weg mittragen konnten, ist für Linke unverzichtbar. Und die konsequente Reformulierung der großen Idee, die die Wiederholung solcher Irrwege möglichst verhindert.
muß heißen: pervertiert werden konnte
- ja, manches "hätte auch anders kommen können".
aber bei historischen gedanken-spielen derart:
-"wenn trump oder hannelore kraft 47 tsd stimmen weniger gehabt hätte...
"wenn hitler bei einem attentat hops gegangen wäre.."
ist gerade auf die geschichts-nähe der simulierten konstellation zu achten,
damit geschichts-mächtige faktoren deutlicher werden.
- einem eingefleischten allein-herrscher,
der einen apparat auf sich zugeschnitten hatte,
opposition und vermeintliche gegner systematisch eliminierte,
gedanklich auszutauschen gegen eine alternative:
ergibt kein szenario, aus dem was zu lernen wäre.
im gegenteil: die faktizität der entgleisung eines
sozio-ökonomischen befreiungs-experiments
(bolschew.-oktober-rev.) in eine tyrannei,
die die eigene widerstands-kraft gegen eine
aggression von außen(faschist.hitler-koalition)
so schwächt, daß sie auf hilfe des "klassenfeinds"
(churchill,roosevelt) angewiesen ist und diese stärkt.
Schenke ich Ihnen.
++ Einsicht in die Gründe, wie die große Idee so pervertieren konnte, daß Menschen voller Überzeugung den stalinschen Weg mittragen konnten, ist für Linke unverzichtbar. Und die konsequente Reformulierung der großen Idee, die die Wiederholung solcher Irrwege möglichst verhindert. ++
Meine Güte, Sie stellen sich damit wieder an die Spitze der Welterklärer. Es geht eben nicht ohne Definitionsmacht. Es gibt ne Menge gute Bücher dazu, auch - übrigens - aus der "bürgerlichen Komfortzone". Und auch mit Empathie und der Fähigkeit zu trauern, die Sie in Ihrem Theoriegebäude sorgfältig draußen lassen.
es geht nicht nur um die re-formulierung einer idee,
die emanzipation von besitz-herrschaft versprach.
es geht um die bedingungen einer gewalt-fernen,
auf einsicht-gründenden bündnis-politik,
die das k-system transformiert,
die gesamt-gesellschaftliche produktivität
nach zu bestimmenden bedürfnissen ausrichtet
und die mit-bestimmung bisher passivierter organisiert/sicher-stellt.
der hase liegt bei der formulierung "voller überzeugung" im pfeffer.
blinde hingabe, un-(des-)informierte gehorsam-keit,
angst-gesteuerte folgsamkeit von naiven, überwachten, vom apparat
ent-machteten recht-losen : wirft kaum fragen auf.
<einem (soll wohl heißen: einen) eingefleischten allein-herrscher ... gedanklich auszutauschen gegen eine alternative: ergibt kein szenario, aus dem was zu lernen wäre.>
Das ist eine wunderliche Behauptung. Kritisches Denken ist virtuelles Denken, das sich womöglich an der Realität mißt und Bestätigung sucht. Würde man der Behauptung folgen, kann man sich das Denken gleich sparen.
<im gegenteil: ….>
Die Logik dieses unvollständigen Satzes verstehe ich nicht.
tja, nach einer ent-gleisung
untersucht man am besten die räder
oder das gleis-bett.
und wenn man weiß, daß der lok-führer spinnert war,
fragt man sich, wie der auf die lok kam.
<Meine Güte, Sie stellen sich damit wieder an die Spitze der Welterklärer.>
Unsinn. Ich habe gefordert, die Geschichte nüchtern zu analysieren, ich habe keine Analyse geliefert.
Und ich unterstelle nicht, daß es keine gute Analysen gibt; daß ich solche nicht kenne, ist (gegebenenfalls) meiner Unkenntnis geschuldet. Meine Aussagen hier betreffen nur das Kommentierte. Und sie sprechen sich in keinster Weise gegen die Trauer um die Opfer der gemachten Geschichte aus. Und es ist Ihr gutes Recht, zu meinen, man solle auf nüchterne Analyse angesichts des Leidens verzichten, in Trauer innehalten. Ich finde es besser, zu verstehen zu suchen, daß sich Geschichte nicht wiederholen möge. Das Thema habe nicht ich hier eingestellt, habe mich nur an der Diskussion beteiligt.
Ich verstehe ja, daß meine Bemerkungen nicht in Ihr Vorurteil passen.
soo links waren die bolschewiki gar nicht:
siehe lenins: "der linke radikalismus, die kinder-krankheit im kommunismus"
Dem stimme ich zu. Am besten beides. Aber Vorrang hat natürlich eine Untersuchung eines vermuteten sytemischen Fehlers, des Gleisbetts.
Die Antwort liegt in der Interpretation des Aufstands von Kronstadt.
++ Und die konsequente Reformulierung der großen Idee, die die Wiederholung solcher Irrwege möglichst verhindert. ++
Es sind solche Sätze. Und dazu brauche ich kein Vorurteil, um zu sehen, dass daraus nichts als Unheil entsteht.
Soso, Sie meinen, aus der großen Idee der Befreiung, der Autonomie und Solidarität, aus der Idee der Aufklärung, die in ihrer selbstkritischen Reflexion durch die KT, in der die Dialektik von Subjekt und Objekt, die Dialektik der Aufklärung bewußt gemacht wurde, um die Fehler der Umsetzung zu vermeiden, daß aus dieser Idee nichts werden kann. Daher setzen Sie sich konsequent dafür ein, die großen Ideen, insbesondere diese marxistische, in den Orkus der Geschichte zu werfen und sich auf die kleinen Ideen der Verbesserung im Hier und Heute zu konzentrieren, die unselige Hybris, ans Ganze zu denken, aufzugeben.
Na, das ist eine Ansage. Das nennt man Sozialdemokratismus (nicht den heutigen, sondern den klassischen). Mehrheitsfähig ist er wohl nicht mehr, und daran ist nicht die Linke schuld, dafür sorgt der Rechtstrend. Also kämpfen Sie ruhig auf diesem verlorenen Posten weiter und verschließen die Augen davor, daß es keine sozialdemokratische Verbesserung der Welt geben kann. Die Linke wird sich von Ihnen nicht die große Idee zerstören lassen. Es ist natürlich völlig unklar, ob die Linke eine Chance hat, aber Sie stehen auf der falschen Seite (von links aus gesehen).
Im ersten Satz muß es heißen: die in ihrer selbstkritischen Reflexion ... reformuliert wurde, daß aus dieser Idee ...
<<Ich frage mich manchmal ob die sowjetische Geschichte weniger blutig verlaufen wäre, wenn statt Stalin sein Widersacher Trotzki Chef der UdSSR geworden wäre? >>
Warum so zurückhaltend. Fast regelmäßig zu Jubiläen fragt man sich in Russland, was denn aus dem Land ohne die Oktoberrevolution geworden wäre?
https://www.kp.ru/daily/26753/3783772/
Man nimmt an, dass:
- der Erste Weltkrieg ein halbes Jahr früher zu Ende gewesen wäre mit territorialen Gewinnen für Russland,
- Finnland und die Ukraine würden immer noch zu Russland gehören
- die Industrialisierung wäre noch grandioser geworden als bei Stalin. Die Anfänge waren ja schon da und die besten Köpfe wären nicht in Lagern verschwunden oder hätten das Land nicht verlassen,
- einen Hitler hätte es nicht gegeben, weil man ihn nicht als Gegenstück zu Stalin gebraucht hätte,
- die russische Industrie würde heute nur mit der amerikanischen und deutschen konkurrieren.
So die Kurzfassung.
++ Soso, Sie meinen, aus der großen Idee der Befreiung, der Autonomie und Solidarität, aus der Idee der Aufklärung, die in ihrer selbstkritischen Reflexion durch die KT, in der die Dialektik von Subjekt und Objekt, die Dialektik der Aufklärung bewußt gemacht wurde, um die Fehler der Umsetzung zu vermeiden, daß aus dieser Idee nichts werden kann. ++
Also, wenn es mal zu revolutionären Prozessen kommt, kriegen Sie das auf kein Transparent. :-)))))))
++Die Linke wird sich von Ihnen nicht die große Idee zerstören lassen. Es ist natürlich völlig unklar, ob die Linke eine Chance hat, aber Sie stehen auf der falschen Seite (von links aus gesehen).++
Ich komme sowieso nicht auf die Idee, dass ich irgendjemandes Ideen zerstören könnte. Lassen Sie sich von mir nichts versauen, auch wenn ich nicht glaube, dass Sie allein "die Linke" vertreten.
Interessanter Link. Wobei "Was wäre wenn-Fragen" so eine Sache sind.
++ - einen Hitler hätte es nicht gegeben, weil man ihn nicht als Gegenstück zu Stalin gebraucht hätte, ++
Na, das ist praktisch die Nolte Variante. Mir auch nicht so einleuchtend.
„… auch wenn ich nicht glaube, dass Sie allein "die Linke" vertreten.“ Das hoffe ich doch sehr. Und ich will überhaupt niemanden vertreten, ich spreche nur für mich selbst, und spreche mich für eine große Idee aus, die ich glaube mit vielen zu teilen.
<<Wobei "Was wäre wenn-Fragen" so eine Sache sind. >>
Auf jeden Fall. Es geht ja schon los mit der Frage, wann der Startpunkt für das "hätte" gesetzt wird.
Für mich war wohl die verblüffendste "Hätte Erfahrung", das Menschen in der Sowjetunion, natürlich nicht offiziell, drüber fantasierten, was wohl passiert wäre, wenn Hitler und Stalin sich nicht bekriegt, sondern gemeinsam die Welt aufgeteilt hätten ...
Es gibt - ich weiß jetzt nicht genau mehr wo ich das gelesen habe - Quellen, die erklären, es habe auf der sowjetischen Seite - im Baltikum und in der Ukraine - zu Beginn sogar eine "freundliche" begrüßung für die deutschen Soldaten gegeben. Erst als klar wurde, dass die Deutschen die Russen als minderwertig betrachteten, änderte sich das.
Ach doch, das ist hier zu finden. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/partisanenkrieg-im-osten.html
Nicht nur die Russen, im Grunde alle Völker östlich deutscher Grenzen. Ein Irrsinn.
Große Ideen und große Bewegungen sind ziemlich diskreditiert. Und ein prima Mittel, sich um die alltäglichen Sachen zu drücken.
<<Erst als klar wurde, dass die Deutschen die Russen als minderwertig betrachteten, änderte sich das. >>
Ich sag mal so, jein. Ich bin kein Historiker oder habe die Statistiken studiert. Mir haben sich nur irgendwie ein paar Geschichten eingeprägt, die mir die alten Leute im Westen Weißrusslands erzählten. Das war ein Gebiet welches ja mal zu Polen gehörte und plötzlich Teil der Sowjetunion wurden. Wie die Faschisten in Weißrussland wüteten, ist ja bekannt. Aber nicht davon erzählten mir die Leute, sondern von den Wehrmachtsoldaten, mit denen man handeln konnte, die einem auch mal etwas zusteckten. Vor 15 oder 20 Jahren konnte man, selten aber immerhin, solche Geschichten auch in den Zeitungen lesen, von den deutschen Soldaten, die ja eigentlich auch nur arme Schweine waren und auch mal nicht so genau hinguckten. Na und die Partisanen waren nicht automatisch gern gesehene Gäste in allen weißrussischen Dörfern.
<<Deshalb ist es auch so,schwierig - ganz unabhängig von den geopolitischen Interessen - mit der deutsche-russischen Zusammenarbeit, von Freundschaft will ich gar nicht reden.>>
Wenn man den Umfragen glauben kann, so schwankte der Anteil der Bevölkerung Russlands, die Deutschland zu den Feinden zählten im Zeitraum von 2006 bis 2018 zwischen 1% und 24%.
Eventuell bin ich manchmal zu realistisch. Aber ich habe mich schon immer darüber amüsiert wie sich Ausländer von großen Reden über die Freundschaft beeindrucken ließen. Wenn das ganze noch in exotischer, feuchtfröhlicher Runde stattfindet, dann ist "jeder" Ausländer hin und weg.