Das neue Rom rüstet zum Krieg gegen den Diktator am Tigris. Mit allem propagandistischen Aufwand dämonisiert George W. Bush seinen Gegenspieler Saddam Hussein. Und ob sie es wollen oder nicht, die Europäer finden sich im Kielwasser einer neuen US-Strategie wieder, die mit ihrem Drang zur Eskalation für Unbehagen sorgt. Der Irak soll zum Präzedenzfall einer Doktrin der "präventiven Schläge" gegen Staaten werden, die im Verdacht stehen, dass von ihnen eine potenzielle Bedrohung der USA ausgehen könnte. So steht es im Nuclear Posture Review (NPR) der Bush-Administration, so wird es der NATO auf ihrem nächsten Gipfel in Prag vorliegen. Es geht den Amerikanern nicht allein und noch nicht einmal vorrangig um Saddam Hussein, sondern vor allem um das "E
r allem um das "Exempel Irak", das mit Blick auf die europäischen Verbündeten statuiert werden könnte. Sie sollen sich darauf einrichten, zwischen Interventionskriegen, Terrorbedrohung und einem fragilen Frieden gefangen zu bleiben oder noch mehr - als es schon der Fall ist - in die Zweitklassigkeit entlassen zu werden. Wer sich dem widersetzen will, kann das nur politisch tun - alles andere wäre aufgrund der militärischen Dominanz der USA absurd. Insofern überrascht es kaum, wenn das Irak-Kalkül der Amerikaner im eigenen Lager nicht auf ungeteilten Beifall stößt: Die "Vasallen und Tributpflichtigen im amerikanischen Protektorat West- und Mitteleuropa", wie sie Zbigniew Brzezinski, der einstige Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten Jimmy Carter, neuerdings zu nennen pflegt, sind widerspenstig bis reserviert. Sie zieren sich, die ihnen von der Hegemonialmacht zugedachte Rolle zu erfüllen. Allen voran die deutsche Regierung, die in Richtung Washington verkündet, Deutschland werde keinesfalls an einem Präventivkrieg teilnehmen, wolle dadurch aber mitnichten einen atlantischen Bruch riskieren. Prompt hat die Debatte darüber begonnen, ob und inwieweit die Bundesrepublik vertragsrechtlich verpflichtet wäre, den USA und ihren hier stationierten Truppenverbänden die Nutzung eigenen Territoriums zur logistischen Unterstützung zu gestatten. Was also wäre etwa Ramstein in Rheinland-Pfalz für die Amerikaner im Kriegsfall noch wert? Um eine schlüssige Antwort zu finden, lohnt ein Blick in den NATO-Vertrag und das NATO-Truppenstatut. Der NATO-Vertrag verpflichtet alle Vertragsparteien, "in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege" zu regeln, "und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist". Da ein Präventivkrieg gegen Bagdad einen eklatanten Bruch geltenden Völkerrechts und einen Angriff auf die kollektive Sicherheit insgesamt darstellt, ist er mit dem NATO-Vertrag unvereinbar. Aus ihm resultiert keinerlei - wie auch immer geartete - Pflicht, einem Krieg Tribut zu zollen, den ein anderes NATO-Mitglied auslöst. Der von der Atlantischen Allianz nach den Anschlägen von New York und Washington deklarierte Bündnisfall ändert an dieser Rechtslage absolut nichts.Auch aus dem "Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen" - kurz: "NATO-Truppenstatut" -, das nach der deutschen Vereinigung 1990 völlig neu verhandelt wurde, lässt sich kein Automatismus herleiten, der dazu führt, US-Truppen bei einem Angriff auf den Irak zu sekundieren. Im Gegenteil, einer der wichtigsten Artikel des Statuts besagt, dass "eine Truppe und das zivile Gefolge, ihre Mitglieder sowie deren Angehörige die Pflicht haben, das Recht des Aufnahmestaates zu achten und sich jeder mit dem Geist dieses Abkommens nicht zu vereinbarenden Tätigkeit, [...] zu enthalten". Die sich aus dem Statut ergebenden Rechtspflichten der in Deutschland stationierten alliierten Truppen werden akribisch in den mehr als 80 Artikeln eines Zusatzabkommens definiert. Selbst der deutschen Gesetzeslage in Sachen Abfallbeseitigung und Umweltschutz muss sich der Gast in Uniform unterwerfen. Der entscheidende Rechtskodex jedoch, den in Deutschland stationierte Truppen zu achten haben, ist zweifelsohne das Grundgesetz. Und das stellt in Artikel 26 "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten" als verfassungswidrig unter Strafe. Daraus ergibt sich zwingend: Jede Bundesregierung hat nicht nur das Recht, sondern aus Verfassungsgründen auch die Pflicht, alliierten Truppen den Gebrauch deutschen Territoriums - inklusive des Luftraums - im Falle eines Angriffskrieges gegen wen auch immer zu untersagen. Dies gegenüber der atlantischen Hegemonialmacht durchzusetzen, mag Berlin politisch wenig angenehm erscheinen, aber wenn Schröder mit seiner Irak-Politik glaubwürdig sein will, darf ihn nichts daran hindern.Schließlich ist Helmut Schmidt als einer seiner Amtsvorgänger im Jahr 1973 während des "Yom-Kippur-Krieges" ähnlich verfahren, als er den Amerikanern untersagte, ihren israelischen Alliierten von deutschen Basen aus mit Nachschub zu versorgen. Auch Nachbar Frankreich mag als Vorbild dienen: Die Pariser Regierung hatte im April 1986 den Luftraum für US-Jets gesperrt, die von Großbritannien aus nach Libyen gestartet waren, um (zur Vergeltung für einen Anschlag in Berlin) Tripolis und Benghazi zu bombardieren - nota bene ein ebenso völkerrechtswidriger Akt wie der jetzt geplante Präventivkrieg gegen Bagdad.Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.