Aus der kupfernen Kumme löffeln

K-u-J-Bücher Ulrich Jasper Seetzen entdeckte den Nahen Osten für die Europäer

Echte Abenteuer sind selten geworden in einer Zeit, in der selbst die höchsten Berge und die weitesten Wüsten von Touristen heimgesucht werden können. Wer als Jugendlicher trotzdem an der großen Herausforderung eines Lebens teilnehmen will, kann sehr gut in das 19. Jahrhundert zurückkehren. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts der Entdeckungen brechen Europäer in alle Teile der Welt auf, um noch nicht bereistes Land zu erkunden oder die Pflanzen- und Gesteinswelt fremder Kontinente zu erforschen. Einer von ihnen ist Ulrich Jasper Seetzen, der vor zwei Jahrhunderten, nämlich im Jahre 1802 zu seiner großen Fahrt aufbrach und nichts weniger als der Begründer der modernen Orientalistik werden sollte.

Geboren und aufgewachsen in Ostfriesland, in der Herrschaft Jever, ist der Traum des jungen Seetzen eigentlich, Afrika von Osten nach Westen zu durchqueren. Auch in dieser Idee ist Seetzen schon ein Pionier. Der schwarze Kontinent sollte noch während des ganzen Jahrhunderts dem Ehrgeiz von Entdeckern gehören. Doch Seetzen kam gar nicht so weit. Er bereiste zunächst für etliche Jahre den Nahen Osten, sozusagen als Vorbereitung für die Afrika-Expedition. Als er unter mysteriösen Umständen 1811 im Jemen ums Leben kam, war er jedoch für das Europa seiner Zeit der Mann, der den Libanon und Palästina, Syrien und die angrenzenden Gegenden "aufschloss".

"Sollten meine Leser einst finden, dass meine Beobachtungen nicht ohne Wert seien: so würde dies die reichste Belohnung für die Entbehrungen sein, welchen ich mich auf dieser Reise aussetzen musste", schreibt Seetzen in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen. Und er übertreibt nicht: Ständig muss er sich mit lebensbedrohlichen Überfällen, Betrug oder auch nur mit den eigenen von der Sonne geschwellten Gliedmaßen auseinandersetzen. Er bereist Aleppo und Damaskus, gerät in die Einflussgebiete der Araber und in die unwegsamen Regionen des einst so waldreichen Libanon. Er bestaunt wie so viele nach ihm die eindrucksvollen Ruinen von Baalbek, kommt nach Jericho und schließlich nach Jerusalem. Und er wird sogar zum absoluten Pionier: Nach großen Strapazen umrundet er als erster Europäer das sagenumwobene Tote Meer auch um die Ostseite.

Die Tagebucheintragungen, die jetzt Achim Lichtenberger herausgegeben hat, sättigen diese dürren Reisedaten mit Leben. Mit Seetzen streifen wir durch Gassen, Basare und Barbierstuben, essen die ölgetränkten frischen Brote, tunken unsere Brocken in die dicke saure Milch und nehmen das traditionelle Weizengraupen-Gericht mit Hammelfleisch-Stücken. Seetzen wird überall verdächtigt, Schätze zu suchen, weil er ständig auf der Suche nach Inschriften ist. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich so weit wie möglich den Gewohnheiten der jeweiligen Bevölkerung anzupassen. Für das frühe 19. Jahrhundert sind seine Reiseanleitungen bemerkenswert: Sich ebenso kleiden wie die Bewohner, aus derselben kupfernen Kumme löffeln und versuchen, nicht aufzufallen - das sind seine Hinweise für künftige Reisende. Das Arabische hat er in monatelanger Vorbereitung vor Ort gelernt.

So weit geht der Gelehrte, der an der damals modernsten Universität Göttingen Naturkunde und Medizin studierte, dass er sogar zum Islam konvertiert. Mekka konnte er besuchen und fertigte dort offenbar - verbotenerweise - Skizzen an, ein kostbarer Einblick für Europa, wäre Seetzen wiedergekehrt. Aber das sollte nicht sein: Offenbar in Verdacht geraten, wird er im Jemen festgehalten und schließlich dort unter bis heute ungeklärten Umständen getötet.

Was dem heutigen Leser bleibt, ist vor allem eines: Eine sehr detaillierte und klare Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Nahen Osten des 19. Jahrhunderts. Frappierend ist, dass auch damals schon die Atmosphäre um Jerusalem und das Jordanland, in Syrien und Palästina regelrecht religiös aufgeladen war. Die wichtigste Frage bei allen Begegnungen war die nach der Religion. Sie konnte über Tod und Leben entscheiden. Dieser Rückblick auf eine Zeit der religiösen Entladungen und gleichwohl auch menschlicher Größe gewinnt angesichts der derzeitigen Schlüsselbedeutung des Nahen Ostens für den Weltfrieden eine erstaunliche Aktualität.

Ulrich Jasper Seetzen: Unter Mönchen und Beduinen. Hrsg. von Achim Lichtenberger, Edition Erdmann, Stuttgart 2002, 320 S., 22,- EUR

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