Jean-Luc Godard, der vom Kino am Ende wohl doch etwas mehr versteht als von der Politik, behauptete einmal, für einen Film brauche es nicht mehr als ein Mädchen und eine Waffe. Selbst wenn man Geschlecht und Requisit variieren würde, muss man doch festhalten, dass die Filmgeschichte sich zum Glück selten an diesen Rat gehalten hat.
So sind die Einhandsegler im Kino stolze Solitäre geblieben. In letzter Zeit werden sie allerdings häufiger gesichtet. 127 Hours, Life of Pi, Gravity und All Is Lost beschränken sich allesamt auf den Überlebenskampf einer einzelnen Figur gegen ein Element, dem sie unausweichlich ausgeliefert ist. Solche one-hander sind erzählerische Kraftakte, die von ihren Machern nicht unschuldig bewältigt werden, sondern insgeh
nicht unschuldig bewältigt werden, sondern insgeheim stets Aufforderung sind, Beifall zu spenden.Natürlich klingt in der regelmäßig und bestimmt auch ein bisschen pflichtschuldig aufgebrachten Bewunderung ein „trotzdem“ mit: Im Zweifelsfall würde der Zuschauer doch lieber des Lebens Überfluss auf der Leinwand sehen, zur Abwechslung lässt er sich einmal auf dieses Exerzitium ein. Darin darf man eine Metapher sehen für die Vereinzelung in der Gesellschaft, mit deren narzisstischer Variante die Telekommunikationsindustrie Milliarden verdient. Aber zugleich sind solche Arbeiten eine kinetische Herausforderung für alle Beteiligten. Es ist schon eine verlockende Wette: Wie viele Elemente kann man fortlassen, und es bleibt am Ende doch ein Film übrig?No Turning Back, die zweite Regiearbeit des britischen Drehbuchautors Steven Knight (Kleine schmutzige Tricks, Tödliche Versprechen), nimmt die Wette mit Verve an. Den Part des Mädchens übernimmt bei ihm ein Bauleiter, den der Waffe ein BMW mit Freisprechanlage. Dessen nächtliche Fahrt von Birmingham nach London schildert Knight in Realzeit: ein packender Laborversuch der Jetztbetrachtung.Es hat eine sehr kurze und sehr schmale Tradition im britischen Kino, Experimentelles im Mainstream zu drehen. Diese Lust trieb einst die Kinomagier Michael Powell und Emeric Pressburger um, die allerdings keine Minimalisten, sondern Exzentriker waren und schon allein deshalb kaum Nachfolger fanden. Knight beerbt sie mit ehrgeiziger Genügsamkeit. No Turning Back gerät keinen Moment in die Verlegenheit, sich aus dem Korsett seines Vorhabens befreien zu müssen. Vielmehr hält er eine heikle Balance aus Präsentieren und Vorenthalten.Erstaunlich affirmativMan ist es gewohnt, solche Filme vornehmlich als Gefäße zu betrachten. Die Form scheint hier souverän über den Inhalt zu triumphieren. Es versteht sich, dass das Spiel der Hauptfigur facettenreich sein (und dennoch die Kontinuität wahren) muss, dass der Kameramann agil die Perspektiven wechselt und Schnitt sowie Sound Design einen hinreichend spannungsvollen Rhythmus herstellen, damit die Monotonie nicht das letzte Wort behält. All diese Disziplinen beherrscht das Team souverän, sodass Knights erzählerische Ambition weit darüber hinausreichen kann.In No Turning Back ist ein Leben wie unter einem Brennglas konzentriert. Die Autofahrt des Ivan Locke (Tom Hardy) ist Bewährungs- und Zerreißprobe. In Birmingham lässt er zwei enorme, unerledigte Probleme zurück, in London muss er ein drittes lösen. Am nächsten Morgen soll die Betongießung auf einer der größten Baustellen Europas stattfinden. In London wird die Geliebte einer Nacht ein Kind entbinden, was Locke seiner Ehefrau nicht verheimlichen will. Seine Fahrt ist keine Flucht aus der Verantwortung, sondern dem unbedingten Wunsch entsprungen, das Richtige zu tun. Wie die anderen one-hander der vergangenen Kinojahre ist auch dies eine Lektion in Krisenbewältigung. Wie stellt man in einer Ausnahmesituation wieder eine tragfähige Normalität her?Locke geht die Risiken mit kühlem Kopf ein. Er denkt methodisch, seine Argumentation ist klar, immer hat er den nächsten Schritt vor Augen. Er ist eine versierte Führungskraft, kann delegieren und versteht es, seinen ratlosen Untergebenen Zuversicht zu vermitteln. Hardys Telefonstimme ist von hypnotischer Ruhe. Die Nerven gehen ihm nur einmal durch.Nach einer Weile kennt sich der Zuschauer gut aus im Inneren seines Wagens. Neben dem Armaturenbrett ist ein bezeichnender Aufkleber zu sehen, auf dem „Help for Heroes“ steht. Dahinter verbirgt sich eine Wohltätigkeitsorganisation für Kriegsveteranen, auf die auch der Abspann hinweist. In der Tat zeichnet Knight ein erstaunliches, affirmatives, heroisches Porträt. Locke ist ein guter Mann. Die Fassade seines Lebens mag in diesen anderthalb Stunden brüchig werden, hinter ihr kommt jedoch nichts Hässliches zum Vorschein. Die Affäre, die er vor neun Monaten hatte, war ein kleiner, flüchtiger Fehler, der seine Ehe nicht zu Fall bringen dürfte. Was nach der Fahrt nach London aus Lockes Leben wird, überlässt der Film der Fantasie seiner Zuschauer.