Bevor der Hurrikan die amerikanische Ostküste erreichte, sind vor dem Weißen Haus mehrere Hundert Klimaaktivisten bei Sit-Ins gegen die auf fossile Ressourcen geeichte US-Energiepolitik festgenommen worden. Doch Hurrikan-Vorbereitungen beschränken sich in den USA weitgehend auf das Evakuieren, Deiche verstärken, Bretter vor die Fenster nageln, die Taschenlampe suchen und Liegestühle von der Terrasse entfernen. Nach jedem Wirbelsturm zeigen sich gesellschaftliche Trennlinien knallhart, auch wenn die Naturgewalten „nicht so schlimm waren“ wie bei der zum tropischen Sturm degradierten Irene: Entweder man hat Wasser im Keller oder nicht. Entweder man hat Strom oder nicht – wie fünf Millionen Haushalte, darunter der halbe Bundesstaat Connect
ecticut.Für Politiker sind Unwetter, vom Karrierestandpunkt aus gesehen, gar nicht so ungünstig, wenn sie es richtig machen wie Gerhard Schröder in legendärer Manier beim Elbehochwasser 2002. Wer es falsch macht, geht in die Geschichtsbücher ein wie George W. Bush nach seinem Überfliegen der Hurrikan-Katrina-Verheerung vor sechs Jahren. Bewohner von New Orleans retteten sich auf Hausdächer, andere flohen mit ein paar Habseligkeiten in Plastiktüten zum Football-Stadion Superdome. Rund 1.800 Menschen kamen ums Leben. Bush lobte trotzdem sein Krisenmanagement.Bei Irene gingen alle auf Nummer sicher. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg (sieben Pressekonferenzen), der verhinderte Urlauber Obama und Gouverneure entlang der ganzen Ostküste mobilisierten nach Kräften. Bemerkenswert waren Verrenkungen im republikanischen Lager, wo sonst Dauerkritik am Moloch Regierung angesagt ist. Jetzt brauchte man Washington. Der Tea-Party-nahe Gouverneur von Virginia, Bob McDonnell, bemühte sich um finanziellen Beistand und um Hilfe von der Katastrophenschutzbehörde FEMA. Doch warnte der Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, Gelder für Irene müssten woanders wieder eingespart werden. Und der republikanische Präsidentenbewerber Ron Paul übte in einem Interview bei NBC grundsätzliche Kritik an der Behörde, die man nicht mehr brauche. Sie sei ein Beispiel „bürokratischer Planwirtschaft“.Keystone-XL-PipelinePauls Rivalin Michele Bachmann sah im Hurrikan Gottes Wirken und meinte beim Wahlmeeting in Florida, wie die Zeitung St. Petersburg Times berichtete: „Ich weiß nicht, was Gott noch tun muss, um die Politiker zu erreichen.“ Man habe ein Erdbeben gehabt. Und nun der Hurrikan. Gott habe gesagt: „Wann hört Ihr auf mich?“ Die Politiker müssten – nach Ansicht Gottes – auf das amerikanische Volk hören, das aufschreie gegen die ständig wachsenden Regierungsauslagen. Bachmanns Pressesprecherin gab inzwischen Entwarnung: Das mit Gott sei ein Scherz gewesen.Irene stellte die Fernsehsender vor große Herausforderungen. Berichtet wurde 24 Stunden am Tag. Was Schwierigkeiten bereitete, denn der „Monstersturm“ lieferte nicht die befürchteten und erhofften Katastrophenbilder, obwohl 38 Menschen ums Leben kamen. Irgendwann stand jeder Lokalpolitiker vor der Kamera, um zu warnen, die Zuschauer sollten während des Hurrikans unbedingt zu Hause bleiben. Ausgeklammert wurde weitgehend der Gedanke, dass Klimaerwärmung etwas mit derartigen Wirbelstürmen zu tun haben könnte.Republikanische Präsidentschaftsanwärter wie Rick Perry – nach Umfragen derzeit Spitzenreiter – liegen mit ihrer Klimaerwärmungsskepsis gar nicht so weit weg vom Mainstream. Mehreren Umfragen zufolge ging die Zahl der Amerikaner, die an den Klimawandel „glauben“, in den vergangenen Jahren zurück, dem Pew Center zufolge von knapp 80 Prozent im Jahr 2006 auf weniger als 60 Prozent 2010. Noch skeptischer sind die Männer und Frauen, die der Öffentlichkeit auf dem Bildschirm den Wetterbericht bringen. Der George-Mason-Universität in Virginia zufolge sind nur 54 Prozent der Fernsehmeteorologen der Ansicht, das Erdklima erwärme sich. Von denen wiederum erklärt nur ein Drittel, Klimaerwärmung gehe auf menschliches Handeln zurück.In der Hurrikan-Woche gab es in Washington Proteste gegen die geplante Keystone-XL-Erdölpipeline vom kanadischen Alberta nach Texas, ein nach Ansicht der Klimaaktivisten geradezu irrsinniges Projekt, Auswuchs einer auf fossile Energien fixierten Energiepolitik. Durch 2.700 Kilometer Pipeline sollen pro Tag mehr als eine Million Barrel Öl fließen, das mit riesigem Energieaufwand, ebensolchem Wasserverbrauch und dem Einsatz umweltgefährdender Chemikalien aus Albertas Teersand gewonnen wird. Das US-Außenministerium hat bereits das grenzüberschreitende Projekt abgesegnet. Präsident Obama wird im September über die Genehmigung entscheiden.