Seit 2014 schwelen Konflikte um einen ungarischen Separatismus in der Ukraine, nur wen interessiert das? Dabei ist die Lage im Oblast Transkarpatien mit seiner multiethnischen Bevölkerung derzeit so explosiv wie nie. Aus Budapest ertönen Reden von einem drohenden Bürgerkrieg, aus Kiew gießt der Außenminister Öl nach. Und der ukrainische Geheimdienst SBU spielt seine Rolle. Bei meinen Ukrainefahrten in den Nullerjahren war mir aufgefallen, dass SBU-Leute eine geradezu mythische Verehrung genießen. Es war im September 2004 auf der Datscha des SBU-Vizechefs, wo der spätere Präsident Juschtschenko vergiftet wurde, und es war in einem Schlafwagen Odessa-Uschgorod, wo die laszive Freundin eines transkarpatischen SBU-Offiziers zwei Passagiere (einer wa
war ich) zu unbedachten Handlungen verführte.Ende 2020 kam es zu transkarpatischen SBU-Razzien an vier Adressen, die alle mit László Brenzovics, der Führungsfigur der transkarpatischen Ungarn, in Verbindung standen. Kurz zuvor tauchte ein Video auf. Es zeigte einen ukrainischen Nationalisten, der den ukrainischen Ungarn drohte. Das Timing weckte den Verdacht, die SBU hätte das Video selbst lanciert. Da es von einer prorussischen Journalistin in Belgrad online gestellt wurde, kamen auch Liebhaber der russischen Spur auf ihre Kosten.Ich fuhr ins Zentrum der 150.000 ukrainischen Ungarn, nach Berehowe/Beregszász. In der Pädagogischen Hochschule, der die Kleinstadt ein paar studentische Cafés verdankt, empfing mich Karolina Darcsi. Die Professorin für Politologie und Philosophie trug eine schwarze Tüllbluse und eine Handtasche aus Wuschelfell, ihr enger Lederrock bremste ihre Stechschritte aus. Die Uhren zeigten MEZ, „Kiewer Zeit“ gilt nur im Umgang mit Ukrainern. „Wir sind proeuropäisch“, so Darcsi. Die hagere Minderheitenpolitikerin sprach ein charmantes russisch-ukrainisches Kauderwelsch, ihre Stimme war schmerzhaft laut.Da Ungarn auch Drohmails bekamen („wir wissen, wo deine Kinder zur Schule gehen“), fragte ich sie eingangs: „Haben Sie Angst?“ – „Nein, ich bin tapfer, ich fürchte auch den Teufel nicht mehr.“ Kinder hatte sie keine. Laut Darcsi „begann das Problem vor fünf Jahren“, als ukrainische Nationalisten im äußersten Osten der Ukraine „keine Separatisten fanden, also suchten sie bei einer 0,2-Prozent-Minderheit“ im äußersten Westen. Die Zahl der „anti-ungarischen Attacken“ explodiere, extemporierte sie, auch wenn eine dazu angefertigte Broschüre zumeist nur feindselige Zeitungstexte auflistet.Darcsi erzählte: Als sie 2017 aus ihrer calvinistischen Kirche kam, brüllten 50 Vermummte vom „Rechten Sektor“ Parolen wie: „Das ist ukrainische Erde! Ungarn, benehmt euch wie Gäste!“ Die Polizei blieb fern, „weil sie wusste, dass die viele Waffen haben“. Als Darcsi 2019 aus Ungarn kommend nach Hause fuhr, wurde sie drei Stunden an der Grenze festgehalten. Ihr ungarischer Pass, den sie angenommen hatte, „um ein Papier zu haben, in dem mein Name und Vorname korrekt geschrieben ist“, wurde als „illegal“ dokumentiert. Mit Antritt von Präsident Selenski sei es noch schlimmer geworden: „Als kommunale Abgeordnete musste ich schon zehn Mal bei der SBU in Uschgorod aussagen. Im Internet bezeichnen sie mich als Junkie, Provokateurin und führende Separatistin der Stadt“, dabei würde sie die ungarische Hymne immer nach der ukrainischen singen und auch nur bei festlichen Anlässen. Eine SBU-Razzia erlebte Darcsi am Arbeitsplatz mit, als auch eine Großungarn-Karte konfisziert worden sei. Ich fragte: „Kann der Separatismus-Verdacht damit etwas zu tun haben?“ Ungarn wirkte auf ihrer Karte ziemlich groß, auch mein burgenländischer Wohnort gehörte dazu. Darcsi winkte ab: „Das ist Geschichte.“Die russische SpurDie ukrainische Ungarin war überzeugt, dass das Drohvideo von der SBU gedreht worden war. Warum stellte es dann eine prorussische Serbin online? „Das sagen sie immer, dass Russland dahintersteckt.“ Arbeitet die SBU also auch für Russland? Eine rhetorische Frage, versteht sich, doch würde ich aufgrund meiner Erfahrungen bei diesem Geheimdienst rein gar nichts ausschließen.Zum Jahreswechsel eskalierte die Lage. Nach Absingen der ungarischen Hymne im Gemeinderat des Dorfs Siurte wurde ein Verfahren wegen Hochverrats eingeleitet. Es kursierte die Drohung, das Trinkwasser von Berehowe mit Arsen zu vergiften. Die SBU schwieg kurz, um dann mitzuteilen, das sei ein Fake. „Können Sie sich vorstellen, dass jemand so etwas tut?“, fragte ich Karolina Darcsi. „Ja. Sie können alles tun, aber ich habe nicht vor, hier wegzugehen.“ Ganz nebenbei fragte ich sie nach den SBU-Offizieren. Das seien alles ethnische Ukrainer, so Darcsi, aber durchaus gebildete Leute. Zumindest böten sie ihr während der Verhöre Kaffee an.