Soldaten der Bundeswehr würden sich zwar selbst so nicht bezeichnen, aber 50 Prozent der Offiziersanwärter würden sich durchaus als „Kämpfer“ sehen. Der in Potsdam lehrende Militärhistoriker Sönke Neitzel lässt in seinem Buch Deutsche Krieger Erinnerungen an die Krieger- und Veteranenvereine mit ihrem preußischen Militarismus wachwerden, deren Traditionen eine wachsende Zahl von Anhängern finden. Der Titel Deutsche Krieger sei „nur“ eine Provokation, überdeutlich wird das zentrale Anliegen des Autors aber doch, sein Buch ist keine Mililtärgeschichte im klassischen Sinn, die Bundeswehr soll endlich fit für Interventionskriege werden.
Im Rahmen von Professur und Studiengang War and Conflict Studies (in strikter Abgrenzung zur „Friedens- und Konfliktforschung“) lässt Sönke Neitzel forschen, sein Buch Deutsche Krieger kommt wie eine Art popularisierter Zwischenbericht daher. In vielen Medienauftritten hat Neitzel schon deutlich gemacht, wozu die Bundeswehr gebraucht wird, nämlich keineswegs nur zum Brunnenbohren und Helfen beim Corona-Testen. Im WDR-Hörfunk erklärte er beispielsweise, wir hätten die Bundeswehr zur Androhung von Gewalt und „at the end of the day“ fürs Kämpfen, Töten und Sterben.
In Litauen stehen schweres Gerät und Panzer für ein potenziell „hochintensives“ Gefecht. Wir geben eine horrende Summe für Leopard 2, Eurofighter und so weiter aus. Das müsse doch einen Sinn haben, so Neitzel. Er hält den Verantwortlichen vor, die Soldaten zum Teil mangelhaft ausgestattet in Auslandseinsätze geschickt, ja vielleicht sogar verheizt, mindestens in folgenschwere Dilemmata gebracht zu haben. Er nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, benennt Verteidigungsminister wie Volker Rühe und Ursula von der Leyen, Generäle wie den ehemaligen Generalinspekteur Volker Wieker.
Verdächtigungen gegen die Bundeswehr, es gäbe im Vergleich zur Gesellschaft überproportional viele rechtsextreme Soldaten, seien falsch, findet Neitzel. Der Zuspruch für solcherlei Ideen betrage hier wie da höchstens drei Prozent. Neitzel geht es um die Bewahrung kriegerischer Haltungen und Posen, die sinnstiftend sind. Zwar werden Traditionen „des hehren Soldatentums“, wenn sie zu offensichtlich Verbrechen begünstigten, als nicht zu bestreitende Fakten beschrieben. Die Sammlung von soldatischen Wehrmachts-Devotionalien in den Stuben, für den soldatischen Ethos, seien aber wichtige Motivationsgrundlage für die Bundeswehr im Einsatz. Ein Blick zurück auf Traditionen der Wehrmacht und preußischer Armeen seit 1871 mache verständlich, „wie deutsche Soldaten bis heute ticken“, erläuterte Neitzel dem WDR. Und die gilt es zu bewahren, weil sie dem Zusammenhalt der Streitkräfte dienen. Er nennt das Kampfkulturen, „tribal cultures“, die seit den Zeiten amerikanischer Indigener (!), der Kaiserarmee über die Wehrmacht bis zur heutigen Bundeswehr gelebt werden. In Fahrt gerät der Militärhistoriker richtig, wenn er dann Operationen und Kriegseinsätze der Wehrmacht als beispielgebend hervorhebt.
Das Kriegshandwerk, ein Beruf
Natürlich weiß Neitzel, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegt, an Tabus rüttelt. Wo das gesellschaftliche Bewusstsein noch an der „Friedensarmee“ hängt, versucht er abzuschwächen, ohne das Eigentliche verschweigen zu wollen: Das Kriegshandwerk sei ein Beruf sui generis, Handwerk wie jedes andere, mit der Ausnahme natürlich, dass es ums Töten geht. Er hat die Chuzpe zu behaupten, dieser Akt könne quasi „handwerklich“ erledigt werden, wenn nur der Befehl dazu demokratisch legitimiert sei.
Deutsche Krieger enthält Schwingungen und Strahlungen, die irritieren, auch die engen Beziehungen des Militärhistorikers zu bestimmten Personen im Bundesverteidigungsministerium, bis hin zu Soldaten und Offizieren der Truppe. Neitzel fehlt die Distanz. Sie ist Voraussetzung für jede Wissenschaft an sich. Manche Narrative lassen an Ernst Jüngers In Stahlgewittern denken. So erinnert sich der Afghanistan-Veteran und Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert im Buch: „… Sie agierten dabei wie im Flow – die Zahnräder einer eingeschworenen Gemeinschaft mit eigenem Kriegerhabitus. Einige wirkten aufgepeitscht, andere abgekämpft. Aber sie wussten sehr genau, wer sie waren. Sie waren die, die für den deutschen Staat an vorderster Front die Drecksarbeit erledigten. Und darauf waren sie verdammt stolz. Ihre Gesichter wirkten verwegen und ihre Gesichter hatten eine durchdringende Stärke. Viele trugen Bärte. Ihre Haut war gebräunt von Sonne und Staub.“ Neitzel versteht das so: „ … im Kundus des Jahres 2010 wurde der Staatsbürger zum Krieger. (…) Er war Panzergrenadier eines stolzen Verbandes: des Lehrbataillons 92, das im April 1956 als eines der ersten der Bundeswehr aufgestellt worden war…“ Er interpretiert: Der Krieg in Afghanistan offenbare etliche Parallelen zum Zeitalter der Weltkriege. Vor allem die situative Wirkung der Gefechte, aber auch der Fremdheitsgefühle gegenüber der einheimischen Kultur, die zuweilen in Verachtung umgeschlagen wären. Und doch seien die Unterschiede größer als die Ähnlichkeiten. Neitzel kommt zu dem Schluss, dass die Kultur der Bundeswehr vor allem von der Begrenzung der Gewalt, nicht von deren Eskalation geprägt sei. Gefangene Gegner oder gar Zivilisten kurzerhand an die Wand zu stellen oder Dörfer anzuzünden, mochte in der Fantasie manches Soldaten herumgespukt haben. Dergleichen umzusetzen, habe aber außerhalb jeder Vorstellung gelegen. „Und so waren selbst hartgesottene Soldaten des KSK erschüttert, als ihnen Amerikaner nonchalant davon berichteten, wie sie gefangene Taliban exekutierten.“
Deutsche Krieger ist ein verstörendes Buch, weil es Kriegs- und Kriegernarrative transportiert, die von einer Gruppe von Afghanistan-Kämpfern vorgetragen werden. Das vermittelt einen Eindruck von Kriegsführungsfähigkeit und die Botschaft: Politik und Gesellschaft sollen die Soldaten der Bundeswehr nicht beim Kämpfen, Töten und Sterben im Stich lassen, sondern sich mit Einsatz und Kämpfern identifizieren. Dass Marcel Bohnert in die rechte Szene geraten ist, wie Panorama, Stern und Spiegel berichteten, wirft einen Schatten auf den Wissenschaftler Neitzel und lässt eine Nähe vermuten, die zwischen ihm und bestimmten Militärs entstanden ist.
Info
Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte Sönke Neitzel Propyläen/Ullstein Buchverlage, Berlin 2020, 816 S., 35 €
Kommentare 3
Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein: Getreu diesem Motto agierte Neitzel 1998 auch als fachwissenschaftlicher Gutachter bei der damals zur Disposition stehenden Verabschiedung des »Gesetz(es) zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege «. Konkret ging es bei dieser Gesetzesvorlage um die Frage, ob Urteile gegen Deserteure der NS-Wehrmacht generell annulliert werden sollten oder aber – wie Union und FDP wollten – lediglich nach gründlichen Einzelfallprüfungen.
Ein Teil der zum Teil hanebüchenen Einzelfall-Beispiele, mit denen die Bürgerlich-Liberalen sich argumentativ aufmunitioniert hatten, ist in diesem Bericht aufgeführt. Einen speziellen Vorbehalt setzen wollten sie speziell beim Tatbestand des sogenannten »Verrats« – also der Kenntnisgabe militärische Geheimnisse an die Alliierten. Dies ungeachtet der Frage, dass der Angriffs- und Vernichtungskrieg der Nazis auch im engeren rechtlichen Sinn unrechtmäßig und so bereits aufgrund international praktizierten Rechts nicht bindend war. Mehr Infos zu dieser causa gibt es im entsprechenden Abschnitt des Wikipedia-Eintrags zu Neitzel.
Das Gesetz zu den sogenannten Wehrmachts-Deserteuren nahm schließlich doch noch einen guten Ausgang. OHNE Einzelfallprüfungs-Klausel verabschiedet wurde es 1999 von der Rot-Grünen-Regierung – eine der wenigen Gesetzesänderungen, die man dieser Regierung vorbehaltlos zugute halten muß.
für mich ist neitzel eher ein "aufdecker" als ein gedanken-loser traditionalist.
wenn eine organisation militanten zuschnitts nötig ist
(das können nur die leugnen, die gewalt-bedrohungen in der welt leugnen),
dann sollte viel blut-sparendes hirn-schmalz in konzepte fließen
und flankierende un-gewaltsame maßnahmen erdacht werden.
Wie drückte es der großartige Gerog Schramm in seiner Rolle als Oberstleutnant Senftleben so treffen aus: Der "Weichzielverlust" ist der denkbare Feierabend eines Soldatenalltags.
Der Grundwehrdienstler Neitzel sollte dem Vorschlag von Jürgen Todenhöfer für alle Kriegslüsternen folgen und sich mitsamt seiner Familie dem Krieg vor Ort stellen!
Welche Erfolge die "Auslandseinsätze", sprich unerklärte Kriege im Namen der selbsternannten westlichen Demokratie zeitigen, kann man gerade in Afghanistan sehen.