Collage: Gabor Farkasch für der Freitag, Material: iStock
Für die einen sind die eigenen vier Wände ein Zuhause, für die anderen sind sie Gold. Und Berlin ein ganzes Bergwerk, wo nach diesem Gold gegraben wird. Die einen, das sind Menschen wie die Mieter der Taborstraße 3 in Kreuzberg, die anderen, das sind Investoren wie die Holding des Architekten Stephan Gmyrek aus Braunschweig. Ein Konflikt zwischen Hauseigentümern und Hausbewohnern, zwischen Geldvermehren und Zuhausesein.
In Berlin wohnen mehr als vier Fünftel der Menschen zur Miete. Und während die Löhne hier zwischen 2005 und heute um ein Drittel zulegten, verdoppelte sich die durchschnittliche Angebotsmiete. Der Wohnraum ist knapp geworden, bei Wohnungsbesichtigungen stehen die Interessenten in Schlangen vor dem Haus. Um in den Markt einzugreifen, ha
reifen, hat die Politik zwei Instrumente: das im Baugesetzbuch verankerte Vorkaufsrecht der Gemeinden und den im Januar 2020 eingeführten Mietendeckel (siehe Kasten). Ein Gesetz, bisher einzigartig in Deutschland, das nicht nur Mietobergrenzen festlegt, sondern seit Ende November 2020 auch dafür sorgt, dass für circa eine halbe Million Wohnungen die Mieten gesenkt werden: Viele Berliner:innen müssen nun nur noch die Hälfte ihrer bisherigen Kaltmiete zahlen. Und trotzdem: Der Mietendeckel lindert die Not, das Problem löst er nicht.Ein Treffen Anfang September im Kreuzberger Bezirksamt. Bezirksstadtrat Florian Schmidt bestätigt den Mietern der Taborstraße 3, was sie bereits befürchtet hatten: Ihr Haus soll verkauft werden. Schmidt spricht von „Vorkaufsrecht“ und „Abwendungsvereinbarung“ – Begriffe, die die Mieter vielleicht kennen, deren Bedeutung aber nicht. Das soll sich in den darauffolgenden Wochen ändern. Denn die Taborstraßen-Mieter beschließen, dieses Vorkaufsrecht geltend zu machen. Aus Angst vor steigenden Mieten und davor, ihre Wohnung zu verlieren.Placeholder infobox-1Privatisierung 2004So erzählt es Nicole Kieslich zwei Monate später, Anfang November. Kieslich, die seit der Ankündigung der Verkaufspläne als Sprecherin der Hausgemeinschaft eingesetzt wurde, faltet Hosen zusammen. Ihre Wohnung im dritten Stock sieht aus wie nach einem Überfall. Klamotten verteilen sich auf Sofa, Bett und Boden. Sie miste aus, sagt sie. Es ist ihre Art, mit dem Stress der vergangenen Wochen abzuschließen. Ordnung tröstet. Aufräumen, sortieren, nach vorne schauen.Nicole Kieslich hat eine Petition gestartet, Flyer gedruckt, Interviews gegeben, Videos und etliche Facebook-Posts abgesetzt. An Halloween gab es eine Kundgebung, dazu Treffen mit der Nachbarschaft und Mieterinitiativen. Die Bewohner der Taborstraße 3 haben einen Verein gegründet, um in Zukunft ihr Haus selbst zu verwalten. Sogar eine Stiftung haben sie in den acht Wochen gefunden, die die 2,4 Millionen Euro für ihr Haus finanziert.Rückschau: Nach der Wende bis ins neue Jahrtausend hinein verkaufen Städte ihre kommunalen Wohnungen. Berlin ist damals so pleite, dass der Senat im Frühjahr 2004 eine komplette Wohnungsbaugesellschaft, die GSW, abstößt. 65.000 Wohnungen für 405 Millionen Euro, die Schulden inbegriffen, gehen an ein Konsortium aus dem Whitehall-Fonds, der der Investmentbank Goldman-Sachs gehört, und an die Fondsgesellschaft Cerberus.Treiber der Privatisierung ist der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin, der ein paar Jahre später mit rassistischen Thesen einen Bestseller veröffentlichen wird: Deutschland schafft sich ab. Doch Anfang der nuller Jahre ist Sarrazin noch unumstritten. Seine Pläne, die Schulden Berlins loszuwerden, ebenso. Von der linken PDS bis zur CDU, die Volksvertreter der Hauptstadt sind sich einig: Die kommunalen Wohnungen zu privatisieren, ist die einzig richtige Idee. Im Rückblick ist das nicht mehr so eindeutig. Und schon damals gibt es einige wenige, die davor warnen, die Wohnungen zu verkaufen.Einer von ihnen ist Sigmar Gude, Soziologe und Stadtforscher. Im Dezember 2002, also zwei Jahre bevor die GSW verkauft wird, veröffentlicht Sigmar Gude eine Studie. Auftraggeber ist Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Heute sagt er, auf kaum eine andere Arbeit sei er so stolz wie auf diese.Mit den Daten der Mikrozensus von 1996 und 2000 untersucht Gude damals den Wohnungsmarkt in Berlin. Wie viele Menschen wohnen wo und wie zur Miete, wer kann oder könnte sich Eigentum leisten und was folgt daraus? Die Ergebnisse widersprechen dem damals vorherrschenden Narrativ, das Wohnungsproblem in der Hauptstadt sei gelöst. Gude schreibt: „Im Segment der preisgünstigen Mietwohnungen ist also weder zurzeit eine Entspannung eingetreten, noch ist das zu erwarten.“ Grund dafür ist, dass in vielen billigen Wohnungen gut verdienende Mieter leben, die eigentlich höhere Mieten zahlen könnten. Für Menschen mit geringeren Einkommen heißt das, dass sie in Wohnungen ziehen, die für sie eigentlich viel zu teuer sind. Laut der Studie sind das Anfang der nuller Jahre bereits einhundertsiebzigtausend Haushalte. Eine Empfehlung der Studie lautet deshalb: „Den Privatisierungsdruck von den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften nehmen.“ Übersetzt: Verkauft auf keinen Fall die GSW! Hätte der Senat die Studie anerkannt, der Verkauf von über 65.000 Wohnungen wäre nicht vertretbar gewesen. Doch stattdessen verschwand sie in den Schubladen. Thilo Sarrazin, der Finanzsenator, heuert seinen eigenen Gutachter an, der ihm das bescheinigt, was in seine Pläne passt: Die Mieter in Berlin, die reichen wie die armen, leben gut.Die Privatisierungen der nuller Jahre zahlen sich für die Städte nur kurzzeitig aus. Langfristig sind die Folgen verheerend: Die Mieten sind rasant gestiegen, die Kaufpreise für Wohnungen explodiert. Auf eine freie bezahlbare Wohnung kommen Hunderte Bewerber:innen. Die Angst, die eigene Wohnung zu verlieren oder erst gar keine zu finden, ist groß.Und da sind nun die Mieter der Taborstraße 3 in Berlin-Kreuzberg. Sie tun alles, um ihr Zuhause zu retten und den Verkauf an den Investor aus Braunschweig abzuwenden. Den Antrag gaben sie beim Bezirk ab, am 30. Oktober, einem Freitag. Fristgerecht, wie sie denken. Am Sonntag, dem 8. November, sind sie mit dem Bezirk zu einem Videocall verabredet. „Wir waren aufgeregt“, sagt Nicole Kieslich, der Champagner sei schon kalt gestellt gewesen. Doch der Zuschlag ging an den Braunschweiger Architekten. Weil jemand im Bezirksamt eine E-Mail nicht weitergeleitet hatte.Es habe einen „Fehler in der Kommunikation“ gegeben, teilt die Sprecherin des Bezirksamtes mit. Eine Mail mit dem Kaufvertrag sei am 1. September eingegangen, aber nicht an die zuständige Abteilung gesendet worden. Der gleiche Antrag kam per Post eine Woche später an. Von da an kursierten zwei Fristen: eine am 2. November und eine am 9. November. Letztere wurde den Taborstraßen-Bewohnern mitgeteilt. Doch offensichtlich war die erste bindend. Erst kurz vor dem Ablauf der zweiten Frist, am 8. November, einem Sonntag, fiel das „Missverständnis“ auf. Der Antrag der Taborstraßen-Mieter kam zu spät. Dabei sagen sie, sie hätten ihren Antrag bereits vor Halloween abgegeben. Damit hätten sie doch beide Fristen eingehalten? Eine Antwort darauf bleibt die Sprecherin des Bezirksamtes schuldig.Jochen will bleibenAn dem Samstag nach dem Videocall versammeln sich die Bewohner der Taborstraße 3 abends vor ihrem Haus. Die Stimmung ist gedämpft, die Enttäuschung gegenüber dem Bezirksamt groß. Die Bewohner verstehen nicht, woran sie gescheitert sind. Was nun mit dem neuen Eigentümer auf sie zukommt, wissen sie nicht. Jochen, der Hausälteste, sagt, er wollte bis zu seinem Tod eigentlich nicht mehr umziehen. Ob sein Plan aufgeht, ist unklar.Ein Radio steht auf der Bierbank. Bizim Kiez, die Stadtteilinitiative, hat zu einer Radio-Demo gegen Verdrängung aufgerufen. Anstelle einer Straßendemo schalten die Demonstrierenden auf eine UKW-Frequenz, manche drehen die Lautstärke so laut, dass Musik und Reden bis auf die Straße schallen. Es ist eine kleine Radiosendung vom Kiez für den Kiez. Ein Mieter der Wrangelstraße berichtet von seiner Angst vor Verdrängung. Seine Wohnung ist eine von 3.902, die im September vom schwedischen Konzern Heimstaden gekauft wurden. Jetzt hängen überall in der Stadt alte Bettlaken von den Balkonen: „Stoppt Heimstaden!“ Der Mieter aus der Wrangelstraße sagt: „Wohnen als Ware ist ein Modell, das nicht funktioniert.“Es ist zumindest ein Modell, das für viele Mieter nicht funktioniert. Denn Häuser werden weiterhin aufgekauft, trotz Mietendeckel. Der ist nur auf fünf Jahre begrenzt, somit bleibt das Geschäft mit Immobilien weiterhin lukrativ für Investoren.Placeholder infobox-2Die Unsicherheiten auf dem Wohnungsmarkt – sie führen dazu, dass viele in ihren alten Wohnungen bleiben, auch wenn die zu klein oder groß geworden sind, auch wenn Paare sich trennen oder Kinder ausziehen. Zu anstrengend die Suche, zu unwahrscheinlich, etwas Besseres zu finden. Damit friert der Wohnungsmarkt ein und steht still, noch mehr in Zeiten der Pandemie, wo Arbeitsplatz, Gesundheit und Zukunft unsicher geworden sind.Daher ist der Mietendeckel für viele Berliner:innen eine „Atempause“, so drückt es der Stadtforscher Sigmar Gude aus. Denn er kappt nicht nur die Mieten und führt seit November dazu, dass sie sogar sinken, sondern begrenzt auch die Modernisierungsumlagen, die Kosten, die die Vermieter für renovierte Bäder oder neue Fenster auf die Mieten aufschlagen. Für Gude ist diese Regelung zentral: Dass die ganzen Altbauwohnungen in den Innenstadtbezirken nach und nach saniert worden sind, sieht er als Ursache für die Verdrängung ärmerer Haushalte. Gude sagt, man hätte schon viel früher verhindern müssen, dass Altbauwohnungen aufgewertet wurden, sodass sie heute nur noch für Gutverdienende erschwinglich sind. Langfristig, so Sigmar Gude, müsste das Land Berlin viel mehr in den Wohnungsbau investieren. In Eigentumsrechte und Verträge eingreifen, Preise festsetzen, das ist genau das Gegenteil von dem, was 2004 noch als gute Idee galt: Der Markt regelt das.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.