Bier im Schuh

Sportplatz Als ich vom Sportschwimmen die Nase voll und durch ebendiese genügend Chlor inhaliert hatte, meldete ich mich im Handballverein an, denn Handball ...

Als ich vom Sportschwimmen die Nase voll und durch ebendiese genügend Chlor inhaliert hatte, meldete ich mich im Handballverein an, denn Handball hatte mir im Schulsport immer schon gefallen. Beim Handball wurdest du nicht als einzelner, als dem notengebenden Schleifer Ausgelieferter examiniert, wie etwa beim Pferdsprung oder beim Ringen an den Ringen, sondern du warst aufgehoben in einem Kollektiv, das dich agieren ließ, ohne dich zu traktieren. Nun war ich endlich erlöst vom endlosen Kachelzählen der Schwimmerexistenz, und ich startete meine neue Karriere bravourös. In der dritten oder vierten Trainingssitzung brach ich mir den linken Ringfinger, weil ich ein Zuspiel mit nur einer Hand angenommen hatte, aber ich machte weiter, ich zeigte Härte. Ich biss den Schmerz hinunter und ließ mir nichts anmerken. Denn ich wollte spielen, an den Wettkampfsonntagen. Das war das Ziel.

Ich erreichte mein Ziel, doch mit dem Erreichen des Ziels waren neue Ziele verbunden. Die neuen Ziele kündigten sich schon vor dem eigentlichen Ziel, dem Spiel, an. Schon vor dem Spiel, als man sich vor einer Handballhalle des Rhein-Sieg-Kreises traf, in der man gleich das so fiebrig erwartete Match zu bestreiten hoffte, sagten einem die Mitspieler, dass sie schon sehr gut, ja hervorragend "drauf" seien heute morgen. Doch, doch, man habe da schon mal, heute sei ja Sonn- und Spieltag, ein, zwei Große gewuppt und sich von innen her schön geölt, sagten mir der Lange, der Center, und der Kurze, der Dicke, unisono, das gehöre sich so. Wir standen vor dieser Halle, und ich war nervös. Der Lange und der Kurz-Dicke kicherten, sie demonstrierten eine Leichtigkeit, die mir ganz fremd war, mir, der von einem Fuß auf den anderen trat, weil ich ja doch endlich ein Spiel bestreiten wollte und mich bewähren musste. Sonst, im Falle des Versagens, drohte "die Bank".

Hinterher fragte ich mich oft, ob sie nicht auch in der Halbzeitpause irgendwo ein Großes zischten. Jedenfalls spielten der Lange und der Dicke in der zweiten Hälfte immer noch waghalsiger und befreiter auf als in der ersten. Bayern-Trainer Udo "Pilslatte" Lattek hatte ja seinem nervösen Fohlen Karl-Heinz Rummenigge vor dem Anpfiff öfter mal einen Cognac verordnet und einpfeifen lassen. Was dem Fußballer der Schnaps, das dem Handballer das Bier.

Unser Trainer hatte einen sehr schönen prallen roten Ballonkopf. Er schnaufte beim Gehen, aber wenn er mal zwei Meter an der Seitenlinie entlangstapfte, war er sehr agil. Es lag vielleicht an seinen immerweißen Spezialhandballturnschuhen, die ihn dann gegen alle Gesetze der Bierschwerkraft herumfedern ließen, als sei er ein Balletthandballer.

Ich war Linksaußen. Das ist, wie im Fußball, die Idiotenposition. Von links außen werden im Handball mehr "Hundertprozentige" versiebt als von sonst einer Position. Das kann ich beweisen. Man setzte mich auf die Bank.

Des Trainers Glatze glänzte wie eine blankpolierte Messingtresenarbeitsfläche. Hinterher, um etwa vierzehn Uhr, gingen wir in ein Rustikallokal per se und par excellence. Jetzt, sagten der Trainer, der Lange und der vorbildlich unsportive Kurz-Dicke unisono, werden wir einen Stiefel trinken. Wer einen Bierstiefel zum Munde führt und das Bier nicht in den Schlund schleust, sondern es über das Gesicht schwappen lässt, ist ein Idiot.

Es war früher Nachmittag, und man lachte mich aus. Der Trainer lachte, und seine Glatze leuchtete im gelben Schein der Bierkneipenlampe. Der Lange lachte, und der Kurz-Dicke, sein kleiner Reinschüttbruder, kicherte. Das hat meiner Liebe zum Bier nicht nachhaltig geschadet, aber es war dies, ohne dass ich es damals ahnte, doch das genaue Gegenteil des stillen Tresentrinkens, das ich manchmal schätze, wenn das Tresenkollektiv um mich herum randaliert und kollabiert und ich eine Wand angucke.

Es gibt gute Gründe, betrunken sein zu wollen. Aus einer Gruppe, zumal einer Gruppe von Sportlern, kommen sie nicht. Ein drogenfreies Leben ist wahrscheinlich ein Fluch, ein protestantischer. Ein Sportlerdrogenleben ist ein Fatum, ein fürchterliches, ein doppelt protestantisches Zwanghaftigkeitsdasein. Saufen gegen und als Leistung.

Damals, 1983, gab es noch nicht diese Turnschuhe mit Plastikbausteinen im Absatz. Hätte es sie gegeben, ich bin mir sicher, in den Sichtfensterchen der Turnschuhe meiner Handballergenossen wäre Bier geschwappt. Ja, geflossen. Nein, geschwommen, hin und her, ohne Schwimmflossen.

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