Blasen

Linksbündig Von Kitsch und Rütli-Schwüren

Als der VW-Manager im Französischen Dom an der Seite des Kanzlers König sein durfte für einen Tag, setzte er sich die Krone selber auf. Flugs glaubte er, von ihm so geadelte Profis der Nation hinter seine dürftigen Thesen zur Vollbeschäftigung versammeln zu dürfen. Allianz der sechs Millionen. Später salbte er sich selbst zum Heiland und erklärte, noch vom Rausch der Zeremonie benebelt, seine Kommission habe eine Bibel für den Arbeitsmarkt geschrieben. Dass ihm jetzt, zurück in den Wolfsburger Niederungen, die Dornenkrone des Unworts des Jahres aufgesetzt wurde, dürfte kein Zufall sein. Man hat Hartz schlicht auf Farce gereimt. So wenig aber der Reim ganz aufgeht, so wenig ist die Sache mit bloßem Gelächter abgetan.

Die Ästhetisierung der Politik mit Hilfe semantischer Aufrüstungen ist durchaus erfolgreich. Der schnelle Fall des Propheten der Ich-AG ist exemplarisch. Als Missionar aufgebaut, war Hartz um so nützlicher, je auto-suggestiver er seiner Rolle glaubte. Zugegeben, das Ästhetische im Politischen ist auch berechtigt, etwa wenn Symbole dazu dienen, Programmatiken zu bündeln wie in dem Namen »Bündnis 90 / Die Grünen«. Verdächtiger ist, wenn mit künstlichen Aufblähungen praktische Politik betrieben wird. Bedeutungshöfe aus Bibel, Dom und Allianzen inszenieren atmosphärisch den schönen Schein angesichts zwielichtiger Probleme.

Probleme sind schwer zu verkaufen. Nur selten taucht auf der Bühne öffentlicher Rede der Bürger auf, seitdem sie von Menschen bevölkert wird. Als ob die Werbestrategen der Parteien die Ästhetik der Weimarer Klassik zu ihrem Grundsatz erhoben hätten. Die alten Nationalheroen hatten versucht, Allgemein-Menschliches aus den Zänkereien des politischen Alltags zu destillieren, um dann mit dem gewonnenen Erhabenen die Streitereien zu befrieden. In der Kunst wiederbelebt, gälte das heute als naiv und kitschig. Im Reich der Politik, die Naivitäten aus Taktik künstlich erzeugen will, ist der Kitsch Programm. Der pastorale Ton der Politik spricht von Moral und verpflichtet in der Sache zu nichts.

Politischer Kitsch propagiert Lösungen, an die er selbst nicht glaubt. Worte wie »Trainingsmaßnahmen«, um beim Arbeitsmarkt zu bleiben, sind reiner Sprachkitsch. Sie führen semantisch das Thema in das Bedeutungsfeld des Sports und wollen suggerieren, das wesentliche Problem der Erwerbslosigkeit sei das persönliche Fitnessprogramm. Einmal von dem Wort auf das private Feld körperlichen Trainings geführt, geht man aber nicht selbst. Man wird gegangen, die Maßnahme ist ergriffen worden. Unschwer erkennbar, setzt sich hier der Kitsch aus seinen Bestandteilen zu einem Wort zusammen. Die ästhetisierende Verpackung weist sublim dem Arbeitslosen die Schuld zu: Du bist zu fett! Im Karton wird die Pseudotherapie plus Drohung gleich mitgeliefert.

Der von Kohl initiierte und durch Schröders Dramaturgen verfeinerte kitschig-pastorale Stil folgt der Regel: Je heißer das Thema, desto größer die metaphorische Blase. Verhandlungen werden dann zu »Bündnissen» umgedeutet. Das für Arbeit kommt als Rütli-Bündelei daher: »Bezähme jeder die gerechte Wut / Und spare für das Ganze seine Rache / Denn Raub begeht am allgemeinen Gut / Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.« Unfreiwillig komisch enthüllt das Tell-Zitat den Willen, komplizierte Verflechtungen gegenläufiger Interessengruppen quasi-symbolisch aufzuheben, um sie in voraus eilende Harmonie umzufälschen. Anders als bei Schiller gedacht, wo das Bündnis der Eidgenossen erst das Ergebnis von Gesprächen ist, wird vom Bündnis schon gesprochen, bevor erste offizielle Worte überhaupt gewechselt werden. Konsequent verpuffen solche Veranstaltungen dann gelegentlich auch im Äther ihrer eigenen Verblasenheit. Um bei besserer Gelegenheit wieder aufzutauchen, wie die Neuauflage der Gesprächsrunde zum Arbeitsmarkt.

Die bessere Gelegenheit besteht in sehr realen Verschiebungen. Der Arbeitsmarkt ist ein Stück weiter dereguliert, Arbeitslose sind bei höherem Druck wieder ein bisschen ärmer, dafür zahlreicher. Wenn dieses Mal die Verhandlungen zum Abschluss kommen, haben sich die Verhältnisse weiter zugunsten kapitaler Interessen verändert und die Regierung darf sich dafür im Licht ihrer Semantik sonnen. Immerhin wäre das ein weiterer PR-Erfolg eines pfiffigen Werbestrategen, der die Perücke des Kanzlers trägt.

Und was hätte Goethe dazu gesagt? Vermutlich: Mehr Luft!

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