Nicht dass es bei Wahlentscheidungen eine wichtige Rolle spielte, ob im Auswärtigen Amt der "dümmste Minister seit Ribbentrop" (AA-Klatsch über Klaus Kinkel) oder der "klügste seit Rathenau" (AA-Klatsch über Joschka Fischer) sitzt. Aber eine kleine spielt es vielleicht doch. Diese Bundesregierung hat aus ihren außenpolitischen Erfolgen weniger gemacht als jede andere vor ihr. Willy Brandt siegte mit der Ostpolitik, Helmut Schmidt brillierte auf Weltwirtschaftsgipfeln und Helmut Kohl liebte die großen Gesten und historischen Schulterschlüsse. Gerhard Schröder dagegen delegiert alles Weltpolitische an seinen Außenminister. Seine eigenen Auftritte, meist nach nächtelangen EU-Gipfeln, riechen nach Sitzungsschweiß, nicht nach Geschicht
chte. Fischer ist populär, aber das sind Außenminister fast immer. Sie kommen gepflegt daher und reden milde, bei den großen Schlammschlachten stehen sie abseits. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die rot-grüne Regierung, gemeinsam mit Javier Solana und Günter Verheugen und den vielen sozialdemokratisch geführten Regierungen in der EU, tatsächlich historische Weichen gestellt. Erst zu Schröders und Fischers Zeit ist wirklich die Entscheidung gefallen, die Union nach Osten zu erweitern. Seit 1990 galt die fatale Formel, dass die einstmals kommunistisch geführten Länder politische und wirtschaftliche "Bedingungen" erfüllen mussten, damit sie der im Grundsatz offenen EU irgendwann beitreten konnten. Sie hat dazu geführt, dass sich die Verhältnisse in Ländern wie Ungarn und Rumänien krass unterschiedlich entwickelt haben: Das eine Land prosperiert, das andere verelendet. Wer bei dem Wettlauf zusammenbrach, interessierte nicht. Die Formel hat im Übrigen kräftig mitgeholfen, Jugoslawien zu zerstören: Die reicheren Republiken Slowenien und Kroatien wussten seit dem EU-Gipfel von 1990, dass sie nur ohne ihre armen Vettern in Bosnien, Mazedonien und dem Kosovo eine Chance haben würden, jemals in Europa zu landen. Beim großen Wettlauf beschränkte sich die EU auf die Rolle des Zeitnehmers. Für Erste Hilfe bei gestürzten Läufern fühlte sie sich nicht zuständig. Was mit Fischer kam, darf man getrost eine "neue Ostpolitik" nennen, auch wenn das in Berlin mit Rücksicht auf eine missgünstige Wählerschaft niemand getan hat. In den Verhandlungen mit den Kandidaten der "ersten Runde" hat Brüssel die Stoppuhr weggelegt und die Boxhandschuhe angezogen: Seither wird konkret um Agrarsubventionen und Regionalförderung gestritten. Seit 1999 ist aktive "Heranführung" der südosteuropäischen Staaten die offizielle EU-weite Strategie. Die umkämpften Grenzen sollen uninteressant werden, weil ein größerer Staatenverband alles umgreift. Seither herrscht auf dem Balkan Frieden. Die letzte Krise in Mazedonien konnte knapp vor dem Ausbruch eines Krieges beigelegt werden. Den Übergang von der einen Phase zur anderen markiert der "Stabilitätspunkt für Südosteuropa", eine Initiative Fischers, lanciert noch mitten im Kosovo-Krieg im Frühjahr 1999 und wenige Wochen später beschlossen. Auch wenn der Stabilitätspakt seit dem Sturz Milosevics in Belgrad an Dynamik verloren hat, hat sich doch an der Grundsatzentscheidung nichts geändert. Die Beitrittsfähigkeit der ex-jugoslawischen Staaten versteht die EU als ihre eigene Aufgabe. Verheugen setzte mit Rückenwind aus Berlin durch, dass für Bulgaren und Rumänen die Visumspflicht aufgehoben wurde. Serben und Albaner sind die nächsten Kandidaten. Das ist für vier Jahre eine stolze Bilanz. Dass sie nicht selbstbewusst präsentiert wird, liegt nicht nur an der zitierten Rücksicht vor den Ängsten westdeutscher Spießer. Fischer hat, nach den eher komischen Auftrumpfposen seines Vorgängers Kinkel, die "Kultur der Zurückhaltung" wieder eingeführt. Deutsche Diplomaten treten leise auf und vertreten notfalls bis zur Selbstaufgabe die Linie der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Wählerstimmen gibt es für diese Erfolge nicht: Die einen wollen mit dem Osten möglichst in Ruhe gelassen werden und ziehen lieber starke Grenzzäune, die anderen verübeln den rot-grünen Machthabern die Teilnahme am Kosovo-Krieg. Beide Haltungen sind einander auf den zweiten Blick verblüffend ähnlich: Gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, dass Westeuropa für das Geschehen im Osten keine Verantwortung trägt - ein "kontinentaler Isolationismus", der sich je nach Geschmack pazifistisch oder wohlstandschauvinistisch begründen lässt. Wenigstens die pazifistische Begründung ist nicht schlüssig, denn die Rot-Grünen sind, wenn man es richtig, also politisch versteht, ihren Friedenszielen gar nicht untreu geworden: Hätte Deutschland am Kosovo-Krieg nicht teilgenommen, hätte er natürlich trotzdem stattgefunden. Er hätte nur länger gedauert und mehr Tote gekostet: Mit der Hineinnahme der Russen und der UNO in den Waffenstillstand hat Fischer Anfang Juni 1999 sein außenpolitisches Gesellenstück abgeliefert. Wahrscheinlich ging es der christlich beeinflussten Szene aber wieder nicht um Krieg oder Frieden, sondern um gutes oder schlechtes Gewissen: ´s ist Krieg und ich begehre, nicht schuld daran zu sein. Am Ziel ist die neue Ostpolitik aber noch lange nicht: Noch ist kein Staat beigetreten, und wenn es soweit ist, droht für die Kandidaten der zweiten Runde der große Rückschlag. Gespenster stehen noch reichlich am Weg: Benes-Dekrete, Atomkraftwerke, Sympathien katholischer CDU-Größen für "fromme" Polen oder Kroaten und Abneigungen gegen "deutschfeindliche" Serben oder Tschechen. Kein Gerhardt und kein Westerwelle hat Gewicht genug, diesen Stimmungen entgegenzutreten.