In diesen Tagen scheint sich im Fernsehen alles um den Fußball zu drehen. Da die Spiele dummerweise vormittags und mittags stattfinden, muss die restliche Programmzeit mit Randberichterstattung gefüllt werden. Endloses Geplappere von angeblichen Fachleuten, heitere Glossen ohne Witz, Interviews ohne gescheite Fragen geschweige denn intelligente Antworten, Spieler-Porträts ohne Sinn und Verstand, Ratespiele mit hohem Debilitätsquotienten und immer wieder Sponsorenhinweise.
Wer Premiere bezahlen kann und will, sieht die Spiele anderthalb Sekunden später als etwa bei ARD und ZDF, hat dafür das große Vergnügen, Marcel Reif statt Heribert Faßbender zu hören. Der WDR-Sportchef Faßbender und sein Klon Wilfried Mohren vom MDR haben sich im Han
h im Handstreich alle von der ARD zu übertragenden Spiele gesichert, was die Zuschauer des Ersten Programms nur unter starkem Schmerzmittel ertragen können. Ob die Krankenkasse im Falle einer nachgewiesenen Faßbender-Allergie zahlt? Was sagt die Bundesgesundheitsministerin dazu? Nichts, wer Franz Müntefering als Generalsekretär der eigenen Partei erträgt, der regt sich über Faßbender und Mohren nicht mehr auf. Fürchterlich dumm ist die Weltmeisterschaft für Jörg Wontorra gelaufen. Der Grandseigneur des Sports von SAT 1, der für seinen Sender noch in jede Bresche gesprungen ist, musste gerade angekommen, schon wieder die Heimreise antreten. Sein eigener Werbevertrag passte nicht zu dem seines Senders. So durfte er nicht auf den Schirm, und die Werbegelder kann er auch abschreiben. Bleibt die Frage, für wen oder was wirbt Faßbender? Gelegentlich blitzen dann doch andere Sportarten und Ereignisse in das von Fußball bestimmte Tages-Programm hinein. Tennis aus Paris beispielsweise, das man am besten auf Eurosport genießt. Etwa am Tag des Eröffnungsspiels in Süd-Korea. An diesem Abend besiegt der Spanier Alex Corretja den Franzosen Arnaud Clement knapp in fünf Sätzen. Im letzten Satz sieht Clement wie der sichere Sieger aus, nutzt aber seine Chancen nicht. Nach Abwehr mehrerer Matchbälle dreht Corretja das Spiel noch und gewinnt den fünften Satz mit 8:6. Dummerweise endet das Spiel erst nach 21.00 Uhr. Zu dieser Zeit läuft seit fast einer halben Stunde auf ARTE der Fernsehfilm Toter Mann von Christian Petzold. Wer der Versuchung erliegt, direkt vom Tennisspiel in den Film zu schalten, wird um eine der schönsten Expositionen in einem deutschen Fernsehfilm seit Jahren betrogen. Der Film wird zunächst aus der Perspektive eines Rechtsanwaltes (André Hennicke) erzählt, der sich in eine junge Frau (Nina Hoss) verliebt, der er im Schwimmbad begegnet. Er spricht sie an, doch sie bleibt zurückhaltend und reserviert. Sie treffen sich zufällig ein zweites Mal. Zur verabredeten Essenseinladung kommt die Frau viel zu spät. Aber die Einladung zur aufgewärmten Pizza nimmt sie an. Sie bleibt diese Nacht beim Rechtsanwalt, sie essen zusammen, trinken Wein und hören Musik (darunter den Song What the world needs now von Dionne Warwick), doch mehr als ein Bild der Schlafenden erobert er von ihr nicht. Am nächsten Tag ist die junge Frau verschwunden. Erst als der Film die Erzählperspektive wechselt und die junge Frau zeigt, wie sie voller Trauer ein Tatfoto auf dem von ihr entwendeten Laptop des Rechtsanwaltes betrachtet, beginnen wir zu ahnen, wie sich die Geschichte weiterentwickelt.Toter Mann erzählt die Geschichte einer Rache. Zugleich erzählt er die Geschichte einer Liebe. Und er erzählt davon, wie sich die Rache hilflos erschöpft, und wie die Liebe nur in einem Musikstück überlebt. Der Rechtsanwalt betreut einen Gefangenen (Sven Pippig), der wegen Mordes und Vergewaltigung 14 Jahre im Gefängnis saß. Nun wird er in der erleichterten Vollzug übergeben, wo ihn die junge Frau auftreibt. Sie ist die Schwester der Vergewaltigten und Ermordeten. Wieder nähert sie sich wie zufällig einem Mann. Wieder gefällt diesem die Nähe zu der alles andere als mit ihren Reizen wuchernden Frau. Und so geht der Mann der Frau in die Falle. Die Qualität dieses von Petzold geschriebenen und inszenierten Filmes beruht auf seiner klaren Bildsprache, auf dem Verzicht überflüssiger Dialoge, auf der physischen Präsenz der durchweg sehr guten Schauspieler und auf seiner ausgeklügelten Dramaturgie. Ein Film, der den Zuschauer durch die Blicke seiner Protagonisten, durch die Stimmung seiner Farben, durch die Musik so gefangen nimmt, dass er selbst das Erlösungsfinale akzeptiert, in dem der Täter von einst sich opfert, um das Rache-Verbrechen der Schwester seines Opfers zu verdecken. Wer den Film von Petzold auf ARTE verpasste, konnte ihn drei Tage später im Hauptabendprogramm des ZDF wiederfinden. Und vielleicht wird manch ein Zuschauer dieses Filmes, der das Lied von Warwick noch im Ohre hatte, am späten Abend beim Durchschalten der Sender bei RTL 2 hängen geblieben sein. Hier konnte er die Live-Übertragung eines Popkonzertes bewundern, das die BBC zum Thronjubiläum der englischen Königin veranstaltete. Zur späteren Stunde traten vor allem ältere Herren wie Tom Jones, Rod Stewart, Joe Cocker und Paul McCartney auf, um der Queen ihr Ständchen zu bringen. Die Königin schien amüsiert, auch wenn sie nicht so exstatisch wie die Frau von Tony Blair mitwippte und sang. Als sie auf die Bühne gebeten wurde, zeigte sie deutlich Berührungsängste. Sehr vorsichtig defilierte sie in ihrem blauen Kostüm an den versammelten Popgrößen vorbei. Dabei hielt sie ihre Handtasche ängstlich fest, als glaubte sie nicht ganz an die lauteren Absichten all der Musiker. Besonders der Blick, den sie mit Ozzy Osbourne wechselte, hatte schon Klasse. Ein Treffen der Kulturen: Hier der Heavy-Metal-Veteran, der jetzt auf MTV seine Familie in einer Real-Soap (The Osbournes) ausstellt, dort die kleinbürgerliche Queen, die mit ihrer Familie eine ganze Industrie an Klatschmagazinen unterhält. Zugleich ein Treffen von zwei Medienstars, die beide ihre vorgegebenen Rollen zu erfüllen verstehen. Jede Wette, beide werden sich über das Unentschieden der englischen Mannschaft gegen die Schweden geärgert haben. Womit wir wieder beim Fußball sind. Für mindestens weitere drei Wochen.