Das Licht unter dem Himmel

Ausstellung Man muss nicht nach Venedig fahren, um die Lichträume des Kaliforniers James Turell zu betreten. Ein Ausflug in einen ehemaligen Brauereikeller in Unna tut es auch

Im östlichen Ruhrgebiet verbirgt sich in den Kellern einer ehemaligen Brauerei eine der aufregendsten Sammlungen zeitgenössischer Lichtkunst. Und doch nehmen sie viel zu wenige wahr. Die Kunstwelt schielt nach Venedig, wo die Biennale mit Getöse und zahlreichen Besuchern unter dem Titel Illuminations stattfindet. Dort ist auch The Ganzfeld Piece von James Turrell zu sehen.

Dabei muss man nicht weit reisen, um die Lichträume des Kaliforniers zu betreten. In Unna steigen im Zentrum für Internationale Lichtkunst überschaubare Gruppen zu Führungen in die unterirdische Flucht der Lindenbrauerei hinab. Sie nähern sich im Zwielicht, über Treppen, Stahlgitter und auf grauem Beton, den Installationen elf namhafter Künstler in einer Dauerausstellung.

Dabei geht es auch hinauf – in den doppelstöckigen Komplex Third Breath von James Turrell, der den Himmel über Unna in einem stockdunklen Raum mittels einer Linse in der Decke bündelt. An guten, in diesem Fall: bedeckten Tagen entstehen so auf einer kreisförmigen, weißen Steinfläche zu Füßen der Besucher faszinierende Wolkenbilder.

Der Eröffnung des Zentrums im Frühjahr 2001 war eine Debatte über die Nutzung des unterirdischen Gebäudeteils vorausgegangen. In deren Verlauf entschied man, die leeren Gewölbe so zu lassen, wie sie waren. Ein verblüffend simpler Entschluss in einer Region im Strukturwandel, die auf dem Weg zur touristisch sauber zu vermarktenden Industriekultur den Kohlenstaub aus den letzten Winkeln von Zechen und Halden fegt. Nun darf man sich einen Besuch der Unnaer Lichtkunst-Sammlung nicht als Parcours über unwegsames Gelände vorstellen. Den Keller prägt ein „rustikaler Charme, der aufrechterhalten werden soll“, wie es heißt. Mit dessen Architektur und Atmosphäre setzten sich die eingeladenen Künstler auseinander. Stolperstellen sind fürsorglich mit gelb-schwarzem Klebeband markiert. Bis auf den Floater 99, ein weiteres Werk von Turrell, entstanden alle Installationen in situ, das heißt an diesem spezifischen Ort.

Den Transfer vom Tageslicht ins Schattenreich vollzieht Jan van Munster mit der Skulptur Ich (im Dialog) im Paternoster der Brauerei. Durch ein Bullauge im Boden blickt man als Erstes auf seine Wortskulptur, die in Neonblau das „Ich“ zehnsprachig in den Schacht einschreibt. Betritt man danach die Ausstellungsräume, verliert sich der Abstand zur Kunst. Sie nimmt den Betrachter mit Stimmungen, Farben, sphärischen Klängen und glitzernden Tropfen ein (Olafur Eliasson: Der reflektierende Korridor).

Zugleich denkt die Kunst den Ort immer mit: Für das vollständige Erfassen eines Heine-Zitats mit Neonröhren durchquert man einen Raum zweimal (Joseph Kosuth: Die Signatur des Wortes). In einem anderen wackeln Schattenfiguren, die Urängste symbolisieren, über Wände und Decke (Christian Boltanski: Totentanz). Aus der Tiefe von Gärbecken im Schwarzlicht steigen Naturgeräusche empor, die synthetisch erzeugt sind (Christina Kubisch: Schlohweiß und Rabenschwarz). Das Abenteuer Licht findet in Unna unter Tage statt. Man muss es nur leuchten lassen.

Unna, Zentrum für InternationaleLichtkunst Katalog mit deutschen und englischen Texten, 2004, 34 lichtkunst-unna.de

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